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Rosendüfte statt Lebertran

Der Bundesverband „Ecovin“ feierte in der Hauptstadt sein 15-jähriges Bestehen. Zum Jubiläum im „Treviso“ präsentierten 20 Mitgliedsbetriebe eine „Berliner Auslese“ quer durch die Anbaugebiete

von URSULA HEINZELMANN

Nur was wehtut, hilft wirklich! Unter diesem Motto sind sicher nicht nur mir aufgeschlagene Knie mit höllisch brennendem Jod bepinselt, eklige Lebertranpräparate eingeflößt und kneifende Zahnspangen in die Kauebene gesetzt worden. Die Befreiung von solchen Grundsätzen ist langwierig, denn schließlich lautet der Umkehrschluss: Was Spaß macht, himmlisch schmeckt, verführerisch duftet, kann nicht gut sein für uns Menschlein. Weiche Daunenbetten, heiße Schokolade – alles Teufelswerk!

Mit den Ökoweinen ging es mir ähnlich. Sie schienen von demselben puritanisch-moralisierenden Geist beherrscht. Ein nicht saurer, nicht beißender, vielleicht sogar saftig-leckerer Ökowein schien ein Gegensatz in sich zu sein. Dann lernte ich die Weine von Clemens Busch (Pünderich/Mosel), Randolf Kauer (Bacharach/Mittelrhein) und dem Weingut Dr. Becker (Ludwigshöhe/Rheinfront) kennen. Alle drei sind undogmatische Winzer mit hervorragenden Weinen, die mittlerweile zur deutschen Spitze gehören. Alle drei sind Mitglieder von „Ecovin“, dem vor 15 Jahren gegründeten Bundesverband Ökologischer Weinbau. Der Verband hat sich inzwischen vom schwärmerischen Idealismus gelöst und zu einer pragmatischen Organisation mit 200 Betrieben gemausert.

In Berlin hatte „Ecovin“ zur Jubiläumsveranstaltung „Berliner Auslese“ ins Restaurant „Treviso“ geladen. Es war der erste Auftritt in der Hauptstadt. 20 eher weniger bekannte Betriebe präsentierten die gesamte Palette deutscher Weine von trocken bis edelsüß, von enttäuschend bis grandios – wie im richtigen Leben!

Zum Auftakt schenkte das Weingut Gretzmeier aus Merdingen/Baden einen feinnussigen, klar strukturierten 99er Auxerrois Kabinett trocken aus, eine Rebsorte, die laut Heinrich Gretzmeier vor 40 Jahren am Kaiserstuhl 60 Hektar ausmachte und dann beinahe verschwunden war. Die Rebsorte ist empfindlich, aber der Wein „verkauft sich von selbst“. Artenschutz, auch das ist ökologisch.

„Viel Arbeit ist es schon“, sagt der sympathische Hubert Lay vom Weingut Lay in Ihringen/Baden einige Tische weiter. „Wenn es wie 1998 und 1999 während der Blüte warm und feucht ist, dann müssen wir beinahe täglich raus und Gesteinsmehl spritzen, so schnell wird der ‚Dreck‘ vom Regen abgewaschen.“ Die Plackerei hat sich gelohnt: Seine in alten Holzfässern ausgebauten Weine sind von bestechender Fleischigkeit; vom buntsandsteingeprägten Silvaner für alle Tage bis zur Grauburgunder Spätlese trocken aus dem Winklerberg, deren Power noch ein, zwei Jahre Flaschenreife braucht und dann nach einer Maispoularde ruft.

Das gute Leben kann so einfach sein: Der 99er feinherbe Riesling vom Weingut Trossen aus Kinheim/Mosel verlangt kein Nachdenken und kein Philosophieren, aber es besteht durchaus die Gefahr, dass er dazu anregt. Der ernste, zurückhaltende Rudi Trossen, einer der Gründer des Verbands, dichtet denn auch nebenbei: „Ohne künstlerischen Sinn gibt’s keine guten Weine.“

Am Tisch des Weinguts Pflüger aus Bad Dürkheim/Pfalz geht es ausgesprochen heiter zu, und auch das scheint ein Rezept für guten Wein. Die 98er Dürkheimer Michelsberg Riesling Spätlese trocken explodiert förmlich vor Frucht, erzählt von sonnigen Sommertagen inmitten von Mandel- und Pfirsichbäumen und lässt Fantasien von gebratenem Zander mit Currykarotten aufsteigen. Und die 99er Dürkheimer Feuerberg Gewürztraminer Spätlese trocken steht für reinen Rosenduft in flüssiger Form, verführerisch, sinnlich – und „trotzdem“ ökologisch.

Fazit: Gelungene Präsentation, einige schöne Weine, und es hat überhaupt nicht wehgetan!

Weingut Lay, Ihringen, Fon (0 76 68) 18 70, hubert.lay@t-online.de. Weingut Trossen, Kinheim, Fon (0 65 32) 27 14. Weingut Pflüger, Bad Dürkheim, Fon (0 63 22) 6 31 48, pflueger-wein@t-online.de. Weingut Gretzmeier, Merdingen, Fon (0 76 68) 9 42 30

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