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Wie sahne ich ab?

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von BEATE WILLMS

Das Ob ist keine Frage. Dass die Wirtschaft in Ostdeutschland gefördert werden muss, ist Konsens. Und bei einer offiziellen Arbeitslosenquote von rund 17 Prozent sollte auch klar sein, was das Ziel ist: Beschäftigung schaffen. Die Bundesregierung zeigt sich dabei jedoch besonders spitzfindig. In ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage der PDS zu „Auswirkungen der regionalen Wirtschaftsförderung auf die Zahl der Arbeitsplätze“ heißt es, Unternehmen könnten auch dann gefördert werden, „wenn am alten Standort mehr Arbeitsplätze abgebaut werden als am neuen Standort entstehen“. Dass die Förderrichtlinien das zulassen, haben in den letzten zehn Jahren schon einige Unternehmer gemerkt und genutzt. Dass jetzt klar ist, dass es sich nicht nur um ein Versehen handelt, könnte den Trend verstärken.

Gehören auch Sie zu den Unternehmern, die sich bislang einfach nicht getraut haben? Wollen Sie wissen, wie Sie die Fördermöglichkeiten am besten nutzen? Sehen Sie sich an, wie Karl Heinz Hemeyer es gemacht hat. Der gebürtige Schwerter übernahm 1976 die Bad Lauterberger Blechwarenfabrik und lässt dort seitdem Fässer und Kleingebinde produzieren. Mit fast 200 Arbeitsplätzen gehörte seine Firma lange zu den größten Arbeitgebern in dem strukturschwachen Exzonenrandgebiet. Die Zeiten sind vorbei. Eine Tochterfirma ist bereits 1998 nach Bitterfeld in Sachsen-Anhalt gewandert. Die zweite soll folgen. Ihre Kündigung haben die 46 Beschäftigten der Hemeyer Verpackungs GmbH seit Monaten vorliegen. Ende Februar sollte Schluss sein. Für Hemeyer ist klar: „Unternehmerisch wäre ich doch ein Idiot, wenn ich die Förderung nicht mitnähme.“ So geht’s:

1. Machen Sie deutlich, dass Sie mit dem alten Standort unzufrieden sind und viele Gründe haben, zu gehen. Nerven Sie alle Ämter. Fordern Sie mehr Platz, verlangen Sie Ausnahmegenehmigungen, kriegen Sie raus, was man Ihnen zu geben bereit ist. Hemeyer versuchte es mit Sonderkonditionen für ein 50.000-Quadratmeter-Grundstück im benachbarten Herzberg. Dass schon jetzt zwei der Hallen auf dem Betriebsgelände leer stehen, ficht ihn nicht an: „Da passt nichts rein, die sind doch völlig verbaut.“

Scheuen Sie sich auch nicht, Behörden gegeneinander auszuspielen. So rief Hemeyer beim Stadt- und Kurdirektor an, um längere Betriebszeiten genehmigen zu lassen, und verwies dabei auf eine bereits vorliegende Zustimmung der Gewerbeaufsicht. Direktor Otto Matzenauer: „Als ich fragte, mit wem er denn gesprochen habe, legte er auf und meldete sich nie wieder.“ Immerhin: Spätestens seitdem kann Hemeyer behaupten, sein Verhältnis zu den ortsansässigen Entscheidern sei „völlig zerrüttet“. Klar, dass ihm auch die 10.000 Quadratmeter, die ihm die Stadt Herzberg schließlich anbot, und 18 Prozent Förderung aus dem Wirtschaftsministerium in Hannover nicht ausreichten.

2. Warten Sie den richtigen Moment ab. Wenn es nicht gleich klappt mit dem neuen Standort, nutzen Sie die Wartezeit. Machen Sie sich schlau. Hemeyer hatte sich schon gleich nach der Wende im Osten umgesehen. 1992 bewarb er sich erstmals um ein Gelände in Bitterfeld. Damals bekam eine dänische Firma den Zuschlag, die mehr Arbeitsplätze versprach. Als deren Investition binnen fünf Jahren misslang, waren die Chancen für Hemeyer erheblich gestiegen: Der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben waren die ausländischen Bewerber längst laufen gegangen, und Hemeyer hatte aus den Erfahrungen anderer Firmen gelernt: „Ich wollte die gleiche Förderung wie Hüls oder Degussa.“ Was genau herausgekommen ist, weiß niemand. Alle Versuche des Betriebsrats, mit diesem befreundeter Verwaltungsangestellter, Bundestagsabgeordneter und sämtlicher Rechtsvertreter, die Verträge einzusehen, blieben erfolglos. Wenn Hemeyer nur die üblichen Mittel bekommen hätte, wären das für die geplanten Gesamtinvestitionen von rund 15 Millionen satte 5,25 Millionen Mark – 35 Prozent, die das Land Sachsen-Anhalt zahlt. Hemeyer: „Man hat mir einen roten Teppich ausgerollt. Unternehmerisch blieb mir gar nichts anderes übrig.“ 100.000 Quadratmeter hat das Gelände.

3. Zersplittern Sie die Firma. Halten Sie sich den Ärger mit der Mitbestimmung vom Hals. Eine unübersichtliche Unternehmensstruktur erschwert es, festzustellen, was Sie da nun machen: den „Betrieb oder wesentliche Betriebsteile verlagern“, was mitbestimmungspflichtig wäre, oder nur ein neues Tochterunternehmen schaffen, was Sie allein entscheiden dürfen. Da es dem Betriebsrat in der Regel schwer fallen dürfte, zu beweisen, dass er auch Gesamtbetriebsrat ist, sind Sie das lästige Interessenvertretungsorgan in den neuen Unternehmensteilen erst mal los. Haben Sie genug Zeit, können Sie dessen Einflussbereich auch schon vorher beschneiden: Gliedern Sie Unternehmensteile aus, gründen Sie neue. Bis es in den den Teilbereichen wieder Betriebsratswahlen gibt, dauert es.

Hemeyer gründete neben der Blechwarenfabrik – die er erst in Lauterberger, dann in Hemeyer Verpackungs GmbH umbenannte – schon früh erst die Lauterberger Industrietechnik und dann als deren Tochter die Lauterberger Montage GmbH. Er gliederte die Fässerfertigung in Lauterberg in die Hildebrandt Service Gesellschaft aus, die offiziell nicht zur Hemeyer-Gruppe gehört, aber mit desren Unternehmen auf dem Lauterberger Betriebsgelände firmiert, teilweise sogar in einer Halle. Vorerst letzter Coup: die Neugründung der Hemeyer Montage GmbH. Nach dem derzeitigen Stand ist der Betriebsrat heute nur noch für die Hemeyer Verpackungs GmbH zuständig, wo gerade mal 46 Leute arbeiten – die Einzigen, die nach Tarif bezahlt werden.

4. Machen Sie es Ihren Leuten so schwer wie möglich, mitzukommen. Drüben brauchen Sie nicht so viele Arbeitskräfte wie am alten Standort, schließlich müssen Sie ja auch ein paar modernere Maschinen kaufen, um die Förderung irgendwie zu rechtfertigen. Und Arbeit ist dort auch billiger. Wegen der hohen Arbeitslosigkeit gibt es nicht nur ohnehin niedrigere Gehälter, sondern auch noch ABM-, Lohnkosten- und Einarbeitungszuschüsse. Bei Langzeitarbeitslosen können Sie 50 Prozent sparen, wenn Sie die Einstellung mit dem Arbeitsamt absprechen. Und in den Arbeitgeberverband gehen und sich tariflich binden müssen Sie ja auch nicht.

In Bad Lauterberg zahlt Hemeyer seinen Leuten nach eigenen Angaben durchschnittlich 32 Mark, in Bitterfeld reichen 9 bis 15 Mark. „Wenn Ihnen jemand ein Auto für 30.000 Mark anbietet, zahlen Sie doch auch nicht mehr.“ Den paar Leuten, die Sie unbedingt mitnehmen müssen, bieten Sie so viel Geld, dass sich zwischen Ostlern und Westlern nie ein Vertrauensverhältnis entwickeln kann. Dann können Sie den Vertrag auch problemlos befristen: „Zwei Jahre mit dem alten Gehalt plus 2.000 Mark drauf – ich zahl denen eine goldene Nase“, sagt Hemeyer.

Es hat funktioniert. Die Mitarbeiter, die schon 1998 mit nach Bitterfeld gezogen waren, sahen sich beim Mittagessen geschnitten, erzählt man sich in Bad Lauterberg. Manche hätten nicht mal die zwei Jahre ausgehalten.

5. Extratipp: Bleiben Sie mobil. Denken Sie weiter. Schließlich sind die meisten Fördergelder degressiv. Statten Sie den neuen Betrieb so aus, dass möglichst viel transportabel ist. Wenn Sie die Gelder abgeschöpft haben, können Sie Ihre Sachen immer noch wieder zusammenpacken – ein Betriebsrat wird Ihnen keine großen Schwierigkeiten machen – und weiter nach Osten ziehen. Hemeyer hat auch schon ein Lager in Polen angelegt. Aber vielleicht warten Sie noch die EU-Erweiterung ab. Wegen der Fördergelder.

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