Immer nur im Trainingslager

Das Sportmuseum Berlin ist ein Museum ohne Haus, Ausstellungsflächen und Mittel. Es nicht mehr als ein vollgestopftes Depot – obwohl es eine unvergleichliche Sammlung zur Sportgeschichte der Stadt besitzt. Und die wächst immer weiter

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Es müsste nach Schweiß riechen, nach großen Siegen und tragischen Niederlagen. Es müsste eine „Hall of Fame“ vor Medaillen glitzern. Es müsste vom Doping, von der Mode, von der Kommerzialisierung oder den Wehrsportübungen aus der Nazizeit oder den Jahren des DDR-Sports erzählen. Es müsste. Es kann aber nicht.

„Sportmuseum Berlin“ steht seit 1997 an der Tür zu einer Etage im früheren Verwaltungstrakt der britischen Armee auf dem Gelände des Olympiastadions. Doch mehr als ein vollgestopftes Depot zur Sportgeschichte der Stadt geben die Räume für die Wirkungsfläche der Museumsleiterin Martina Behrendt nicht her. Ein paar Schreibtische, eingezwängt von Aktenschränken und Regalen, signalisieren eine niederschmetternde Realität.

Eingemottet

Statt nach „Hall of Fame“ riecht es nach Kisten und eingemottenten Sportlerhemden. Pokale, Bücher, Urkunden und Fotografien von Turnvater Jahn über Max Schmeling bis zu Franziska van Almsick stapeln sich in Schränken. Man stolpert über Großsportgeräte und Skulpturen. Gleich auf dem Flur steht eine massige Büste des Ringers Werner Seelenbinder. „Eine wunderbare Plastik“, schwärmt Behrendt und fährt mit der Hand über die Bronzemuskeln. „Das ist Seelenbinder als Sportler, darum erhielt der Künstler auch keine Auszeichnung in der DDR.“ Die wollte das KPD-Mitglied und KZ-Opfer Seelenbinder lieber als Widerstandskämpfer stilisiert sehen. Von einem Vereinsheim im Brandenburgischen gestiftet, ist der Ringkämpfer nun in Behrendts Sammlung gelandet. „Schön, nicht?“

Schön? Während das Olympiastadion für die Kicker von Hertha BSC für 580 Millionen Mark hergerichtet wird, gibt es im Land Berlin für ein Sportmuseum weder Ausstellungsflächen noch Mittel für Präsentationen oder Veröffentlichungen. „Wir sind ein Museum ohne Haus“, sagt Behrendt. „Ein unvorstellbarer Zustand, angesichts des Bestandes zur Geschichte der Sportstadt Berlin“.

Sprachlos

Das Sportmuseum Berlin befindet sich im „Zustand“ der Sprachlosigkeit, es gibt kein Spiel und keine Kür. Bis auf eine Dokumentation zur Olympiabewerbung und eine Sonderausstellung 1997 zur Sportgeschichte hat das 1990 gegründete Museum kaum Gelegenheit erhalten, auf sich aufmerksam zu machen. Nach der Fusion des „Sammlungszentrums Zentrales Sportmuseum der DDR“ mit den Beständen des Ostberliner Sporthistorischen Kabinetts und des Westberliner „Forums für Sportgeschichte“ erhielt das Museum 1991 zwar den Status eines Landesmuseums. Seit dem Beitritt in die „Stiftung Stadtmuseum“ 1995, die 14 andere Museen in einer Art Museumsholding zusammenfasst, und einer Wanderschaft durch verschiedene Provisorien haben die Mitteleinsparungen im Haushalt des Landes und die Zuwendungen der Stiftung die Sportexperten nur zurückgeworfen.

Auf vier Stellen von einst zehn Mitarbeitern ist das Personal reduziert worden. Der Etat beläuft sich samt Personalkosten auf nicht einmal 500.000 Mark jährlich. Es fehlen Einkaufsmittel, Gelder für Ausstellungskonzepte, für Forschung und Veröffentlichungen. Für den Landessportbund Berlin (LSB), der ebenso wie die Sportverwaltung das Projekt immer unterstützt hat, ist die Finanzknappheit eine „Katastrophe“, wie LSB-Sprecher Dietmar Bothe meint.

Evident scheint, dass dies auch im kommenden Jahr so sein wird. Sowohl in der Stiftung als auch in der Kulturverwaltung existiert kein aktuelles Konzept für das Museum. „Im Frühjahr 2001“, vertröstet die Sprecherin der Kulturverwaltung, „soll der Entwurf eines Masterplans für alle Museen der Stiftung debattiert werden.“ Ob darin das Sportmuseum thematisiert wird, bleibt offen.

Dass die Institution in den knappen Jahren dennoch weiter „trainiert“ hat, gehört zu den Besonderheiten des Sportmuseums. Zu den Beständen aus Ost- und Westberlin haben die Museumsleute und Mitglieder des Fördervereins die Sammlung jährlich um sechs- bis zehntausend Museumsstücke erweitert.

Legendär

Diese beruhen im Wesentlichen auf Schenkungen und Dauerleihgaben, so Gert Steins, Vorstandsmitglied des Födervereins. „Das belegt auch die gewachsene öffentliche Akzeptanz des Museums.“ Zu den internationalen Unterstützern zähle seit 1994 die „Association of International Marathons an Road Races“ (AIMS), die dem Museum zum Aufbau einer umfassenden Sammlung zur Geschichte des Marathons und Langstreckenlaufs verhilft.

Hinzu kommen Nachlässe von Sportlegenden, Sportgeräte von Vereinen, Akten der Betriebssportvereine der DDR, Dokumente, Medaillen und Archive – dazu zählen als „Toperrungenschaften“ das 1,3 Millionen Bilder umfassende Sportbildarchiv von Heinrich von der Becke und zuletzt die gelben und grünen Tour-Trikots der Radprofis Jan Ullrich und Erik Zabel. „Man baut auf, bleibt aber als öffentlicher Ort verschwunden“, seufzt Behrendt und lässt die Bestände Revue passieren: Rund 300.000 Objekte vom Wintersport und der Leichtathletik, Turngeräte, Boote, Räder und Boxhandschuhe. Geschichten der Sportlegenden aus Berlin und der Republik, „100 laufende Meter“ Dokumente aus der Nazizeit, der DDR und Westberlin, 10.000 Medaillen und 35.000 Bände einer sporthistorischen Bibliothek. Behrendt: „Eine fulminante Sammlung, die wohl einzigartig ist in der Bundesrepublik.“

Was Behrendt etwas unter den Tisch kehrt ist, dass das Museum auf dem Olympiagelände eher abseitig zu den zentralen besucherfreundlichen Museumsstandorten liegt und programmatisch gegenüber der Konkurrenz in Köln den eigenen Stellenwert nicht konsequent formuliert. Während die Gründerväter des Kölner Sportmuseums seit Mitte der 80er-Jahre zusehends auf zeitgemäße Konzepte setzten und mit der Hilfe von Sponsoren sich einen Namen machten, haftet dem Berliner Sportmuseum noch der Geruch staatlich alimentierter Versorgung an. Behrendt gibt zu, dass bisher versäumt wurde, mit PR-Aktionen und Sport-Stars zu werben. Außerdem fehlt es an musealer Professionalität, wurde doch in der DDR und Westberlin jeweils erst ab 1970 an Konzepten für ein Sportmuseum gearbeitet.

Für Behrendt bedeutet das kein Manko in der Zukunft: Neben der großen sporthistorischen Sammlung, die die kulturhistorische Bedeutung des Sports in der Geschichte, der Politik und der Gesellschaft widerspiegeln und an das interdisziplinäre Konzept des „Museums für Leibesübungen“ (1924 bis 1934) anknüpfen soll, ist vorgesehen, Bestände für ein Forschungs- und Ausstellungsprogramm zu sammeln, das sich mit den heutigen Phänomen des Sports befasst.

Kommerziell

„In Berlin fokussiert sich die deutsche Sportgeschichte von der Reformbewegung über die Olympischen Spiele 1936 und die unterschiedlichen Sportsysteme der Nachkriegszeit. Außerdem steht die Stadt für den modernen Sport mit den Themen der Unterhaltung, Kommerzialisierung und Mode.“ Das Sportmuseum der Zukunft, erklärt die Leiterin, soll „kein totes Museum“ werden, sondern als „offenes Haus“ Ort zeitgenössischer Auseinandersetzung sein.

Behrendt zieht dafür gleich einen Plan aus der Schublade. Der Standort am Olympiastadion eröffnet für sie „eine ideale Museumslösung“. An dem Ort sei bereits 1930 ein Sportmuseum vorgesehen gewesen, die Nachbarschaft zum Olympiastadion, den anderen Sportflächen und der geplanten Hertha-BSC-Sportschule könnte zu Synergien führen. In der Nachbarschaft ihrer Etage – den Räumen der einstigen Deutschen Turnschule – fänden sich Turnhallen, „die sich wunderbar als Ausstellungsflächen nutzen ließen“. 7.000 Quadratmeter Fläche hat Behrendt bereits als Platz für die „Geräte-Insezenierung“, für Sonderausstellungen und Stellplätze ausgemacht. Die bisherigen Depots in Neuruppin könnten geschlossen werden. Die Kosten dafür will die Museumsleiterin nicht herausrücken – in der Kulturverwaltung rechnet man aber mit einer zweistelligen Millionensumme.

Dass es kein Signal des Landes gibt, die Pläne zu verwirklichen, lässt die Leiterin noch einmal zur Höchstform auflaufen: Es sei „nicht nachvollziehbar“, dass sich das Land weiter wie bisher an der Existenz des Ortes und des Museums „vorbeimogeln“ wolle und auf dem Olympiaareal nichts entstehen soll. „Es gibt keinen besseren Ort für die Darstellung der Verquickung von Sport, Geschichte und Politik“, sagt Behrendt. Der Blick nach draußen gibt ihr Recht.