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Die große Angst im Allgäu

BSE kennt keine Grenzen, auch nicht die bayerischen. Im Freistaat, der sich lange BSE-frei wähnte, ist der erste Fall bestätigt – auf einem Familienhof

aus Kempten KLAUS WITTMANN

Den Leuten im Allgäu wurde das erste weiße Winterwochenende gründlich verwettert. Die Freude am Schnee wich in der Voralpenregion dem Schreck über den ersten BSE-Fall in Bayern. In der Nacht zum Samstag war vom Schlachthof Kempten die Meldung über den Verdachtsfall gekommen. Und das Rind stammte nicht aus einem fabrikähnlichen Großbetrieb.

Das war die schlimmste aller denkbaren Varianten, die hinter verschlossenen Türen ebenso wie an unzähligen Stammtischen immer wieder durchgespielt worden war. „Es ist ein Betrieb, der in unserer schönen Landschaft liegt und sich durch nichts von anderen Allgäuer Betrieben unterscheidet. Wenn man das Gefühl hätte, es ist eine Großmästerei mit einem bereits bekannten dubiosen Hintergrund, wäre es was anderes, aber nichts davon.“ Gottfried Mayrock, zuständiger Abteilungsleiter im Landratsamt Oberallgäu, ist angetreten zur Schadensbegrenzung.

Sowohl der betroffene Hof, ein Familienbetrieb in einer kleinen Gemeinde ein paar Kilometer südlich von Kempten, als auch der Schlachthof sind umgehend gesperrt worden. In der Bundesforschungsanstalt für Viruserkrankungen der Tiere in Tübingen wurden die Verdachtsproben untersucht. Noch am Sonntagnachmittag kam die befürchtete Bestätigung der BSE-Infektion.

5 von 57 Proben des Kemptener Schlachthofs waren beim Schnelltest auffällig gewesen. Bei der Nachtestierung hat sich dann nur einer, nämlich der genannte, als tatsächlich positiv erwiesen.

Sichtlich betroffen reagiert auch der Landrat des Landkreises Oberallgäu, Gebhard Kaiser. Der gelernte Käser Kaiser weiß, was das für die Bauern in der viehreichen Region bedeutet. Die lange auch von offiziellen Stellen verbreitete Vorstellung, BSE würde an den weißblauen Grenzen Halt machen, war als Illusion entlarvt. Das zeigten zusätzlich auch die gestern bekannt gewordenen weiteren zwei Verdachtsfälle aus dem Landkreis Cham und aus Neumarkt in der Oberpfalz. Gebhard Kaiser berichtet von einem völlig am Boden zerstörten Landwirt, der sich ebenso intensiv abgeschottet hat, wie die Behörden das mit seinem Hof getan haben. Nicht einmal für ihn sei er zu sprechen. Aber dann wird auch schon im nächsten Satz Härte und Handlungsfähigkeit demonstriert. „Trotzdem muss man sagen, dass es vom reinen Grünfutter nicht kommen kann, und man muss nun der Frage nachgehen: Was ist früher gefüttert worden?“

Das Wort vom Bauernopfer bekommt mit einem Mal in dieser Region mit den vielen Urlaubshöfen eine ganz eigene Bedeutung. Tiermehl kann es schließlich kaum sein, denn dass der typische Allgäuer Familienbetrieb mit seinen 82 Rindern oder der ganz durchschnittliche Oberpfälzer Landwirt widerrechtlich Tiermehl an seine Kühe verfüttern, ist unwahrscheinlich. Aber woher kommt das Teufelszeug dann? „Es ist so, dass sich das fünf Jahre alte Tier im Kälberalter infiziert hat, und da kommt eigentlich nur der Milchaustauscher in Frage“, meint Andreas Blank, ein Unterallgäuer Braunviehzüchter und ausgewiesener BSE-Experte unter den Bauern (siehe Interview).

Er ist ebenso wenig verwundert über den ersten bayerischen BSE-Fall wie der Memminger Metzgermeister Michael Kleiber. Seit Juni bereits lässt Kleiber jedes Rind, das in seinem modernen Schlachthof geschlachtet wird, in Garching auf BSE-Verdacht testen, bevor es in einer der zehn Filialen in den Verkauf gelangt. „Das hat unsere Kundinnen und Kunden monatelang nicht interessiert und ich muss sagen, das hat mich schon etwas enttäuscht“. Inzwischen hat sich das Bild gewandelt. Die BSE-Fälle in Bayern haben ihn nicht überrascht. „Man hat jetzt eben in Deutschland vernünftigerweise begonnen zu testen. Dann darf man sich auch nicht wundern, wenn bestimmte Fälle auftreten.“

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