Zwerg Stopfnadel

■ Der kleine Kultur- und Bildungsverein Ostertor setzt mit seinem Kunstpreis jetzt ganz auf die Fotografie. 26 FotografInnen zeigen in der Städtischen Galerie, was ihnen zum Thema „Gegenüber“ eingefallen ist

Allerspätestens seit Wolfgang Tillmanns rasanter Karriere ist Fotografie schwer angesagt. Die Hamburger Deichtorhallen zeigen häufiger Fotokunst, das neue Groninger Museum wartet gleich am Eingang damit auf und – um die Aufzählung nicht endlos werden zu lassen – auch die Bremer Kunsthalle mischt da seit der Sanierung bewusst mit: Arbeiten von Thomas Struth und Cindy Sherman hängen normalerweise in der Eingangshalle, wenn sie nicht durch eine Sonderausstellung anders genutzt wird. Und der kürzlich mit dem begehrten Turner-Preis ausgezeichnete und mindestens seit der Strandburg-Beilage auch den taz-LeserInnen bekannte Tillmanns selbst ist durch die Konfrontation seiner Arbeiten mit gemalten Biedermeier-Porträts prominent im Museum vertreten.

Diese auch nach ein paar Jahren noch erfrischend wirkenden Akzente könnten glatt vergessen machen, dass das Angebot an Präsentationen von Fotografie in Bremen eher dürftig ist. Nach dem Aus für das Fotoforum in den 90er Jahren hat das Focke-Museum die Lücke mit einzelnen Sonderausstellungen zu schließen versucht und das inzwischen aufgegeben. Auch die Wohnzimmergalerie der Bremer Fotografin Andrea Lühmann pausiert längst wieder. Und die Fotogalerie im Medienzentrum ist zwar rührig, aber mit den Flur-Ausstellungen von meist regionaler Fotografie alles andere als ein adäquater Ersatz für das verblichene Fotoforum.

Um die Fotografie ist also einerseits sehr viel Aufhebens. Andererseits hat sich in Bremen insofern nicht viel geändert, als eine einmal gerissene Lücke meistens klaffend offen bleibt. Mit dem Kultur- und Bildungsverein Ostertor (Kubo) greift nun ein Zwerg im großen Kulturbetrieb zur Stopfnadel. Alle zwei Jahre wieder schreibt der Kubo seinen mit 5.000 Mark dotierten Kunstpreis aus, und der kommt aus den nun bekannten Gründen inzwischen ausschließlich FotokünstlerInnen zugute.

Für das Preisgeld geht der Kubo-Leiter Detlef Roth sammeln und hat diesmal mehr erreicht als sonst: Schon vor Beginn der jetzt in der Städtischen Galerie gezeigten Ausstellung hatte er das Preisgeld zusammen. Außerdem kooperiert er jetzt mit der Berliner Kulturbrauerei und will weitere MitveranstalterInnen gewinnen. Trotz des nicht gerade üppigen Preisgeldes haben sich 26 FotografInnen an der Ausschreibung beteiligt.

Weil im Kubo auch Bildung steckt, hat der Kunstpreis ein Thema. Nach „Ich und Du“ anno 1996 und „WahnSinn heute“ vor zwei Jahren sollten sich die TeilnehmerInnen diesmal Gedanken zum „Gegenüber“ machen. Noch allgemeiner wäre wohl allein das Thema „Licht“, denn beim Fotografieren gibt es immer eine Art Gegenüber: Der Fotograf und sein Motiv, das Foto und die Betrachterin sind die Standardpaarungen. Doppelporträts, Vorher-Nachher-Bilder und eine Übersetzung in die Zeitdimension sind als Gegenüber genauso denkbar und deshalb auch in der Ausstellung zu sehen. Mit dem Thema erhofften sich die VeranstalterInnen laut Katalog eine sensible Erfassung von Individualität und Partnerschaft sowie die Spiegelung des Individuums (unter anderem) in „kulturellen Phänomenen der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu Beginn des dritten Jahrtausends“. Hossa!

Die hier kaum alle nennbaren Beiträge loten sämtliche schon vorher offenbaren Möglichkeiten des Themas aus. Sie umfassen die ganze Palette zwischen Inszenierung, Porträt, Schnappschuss, Fakt und Fiktion. In der Gesamtschau fehlt jedoch das Unmögliche, der freche Regelverstoß oder das um die Ecke Gedachte. Gleichwohl sind einige Beiträge durchaus einfallsreich.

Originell und voller Ironie taucht Nikolai Wolff seine Porträts von Menschen mit Virtual-Reality-Apparaten in die Patina alter naturwissenschaftlicher Kataloge. Ebenso ironisch lässt Oliver Voigt zwei reifere Herren (es sind Kraft-Foods-Sprecher Rolf Sauerbier und der Geschäftsführer der Bremen Marketing Gesellschaft, Klaus Sondergeld) im Studio Porträt sitzen und „tätowiert“ ihnen die Worte „kühl“ und „win-win“ auf die Stirn. Die in ihren Konzepten konsequente Andrea Lühmann steuert zwei Doppelporträts aus ihrer Kantinenserie „vorher – nachher“ bei. Und Christine Prinz sucht – da lässt nicht nur Cindy Sherman grüßen – in ihren Fotos nach ästhetischen Übereinstimmungen mit Motiven der Malereigeschichte.

Diese und fast alle anderen Beiträge waren der Jury keinen Preis wert. Ein bisschen trendy setzte sie auf die subjektivistische Foto-Ästhetik im Spannungsfeld von Preisgeben und Verheimlichen. Der Bremer Thomas Bak gewann mit einem grobkörnigen, verrätselten Doppelporträt die eine Hälfte des Kubo-Kunstpreises. Die zweite Hälfte ging an den Berliner Frank Heckel und seine halb abstrakt-spielerische, halb malerische Doppelkomposition. ck

Ausstellung bis zum 14. Januar in der Städtischen Galerie, Buntentorsteinweg 112; ab 8. Februar in der Kulturbrauerei in Berlin; Katalog erschienen bei „Xzeit edition Verlag“: 20 Mark. Öffnungszeiten Städtische Galerie: Di+Do 10-18, Mi+Fr 10-16, So 11-16 Uhr; Weihnachten, Silvester und Neujahr geschlossen.