Mitten ins Herz der Raucherin

Festschriften sind meist langweilig. Die Hommage an die Soziologin Gabi Althaus jedoch ist originell und anregend

Manche Liebesbriefe kommen zu spät, manche Liebesschwüre sind zu lang und manche Liebeserklärungen etwas zu kompliziert. Aber sie treffen trotz alledem mitten ins Herz. Die Festschrift „für Gabi Althaus zum 61. Geburtstag“ ist so eine Liebeserklärung. Eine Festschrift als Liebeserklärung? Wie ist das möglich? Es ist nur möglich für eine Wissenschaftlerin, die man zu schätzen beginnt, wenn man allein die Festschrift zu ihren Ehren liest: Wenn die Adorno-Exegetin nur halb so intelligent, humorvoll und originell ist wie diese Gabe ihrer „Schüler“, muss man sie lieben.

Deshalb auch die Festschrift. Denn Festschriften sind eigentlich out im wissenschaftlichen Betrieb. Nur noch wenige Wissenschaftler bedeutenden Rangs erhalten noch eine – solche, die, möglichst, eine „Schule“ gegründet und ohne Ende publiziert haben. In der Regel sind Festschriften recht langweilige und uninspirierte Aufsatzsammlungen über irgendein Spezialthema, das niemanden so richtig interessiert und nur selten die Forschung voranbringt. Diese Schriften verfolgen in der Regel vor allem einen Zweck: den Jubilar, den hohen Herrn Professor, zu ehren – und sich selbst auch ein bisschen, in seiner Sonne.

Gabi Althaus ist anders. Die Soziologin an der Freien Universität Berlin hat wenig publiziert, ja sie leidet eher beim Schreiben, wie wir in der Festschrift erfahren. Sie hat auch keine „Schule“ gegründet. Aber sie hat etwas geleistet, was an den Massenuniversitäten rar geworden ist: Sie hat junge Menschen zum Denken ermutigt; sie pflegt den echten Diskurs mit ihren Studenten. In ihren Seminaren wird über so altmodische Dinge wie Marxismus, Kapitalismus und die Kritische Theorie diskutiert. Und darüber, warum all dies vielleicht doch nicht so rückwärts gewandt ist, wie es uns Börsenfetischisten und Marktfanatiker glauben machen wollen.

Und es geht ums Rauchen. „Gabi“, wie sie in der Festschrift genannt wird, raucht zwei Packungen „Roth-Händle“ am Tag – eine leicht zerknautschte Packung dieser starken Kultzigaretten ziert den Einband der Festschrift (und die „Badische Tabakmanufaktur Roth-Händle GmbH hat die Festschrift gesponsort). Warum Rauchen so wichtig ist? Weil sich Gabis Ansicht nach im Nichtraucherwahn jüngerer Studentengenerationen „absolut fehlgeleitete soziale Energie“ zeigt, wie zwei ihrer ehemaligen Studenten mitgeschrieben haben: „Kampf gegen Raucher statt gegen Erdölkonzerne.“ Etwa nach der Logik: Da man gegen die großen Ausbeuter und Umweltschädiger nicht mehr anzukommen meint oder sie gar überhaupt nicht mehr erkennt, wird ein Ersatzfeind und Schädiger bekämpft: der Raucher, das andere Individuum, der Konkurrent – nicht mehr aber eine ausbeutende Wirtschaftstruktur.

Die Festschrift ist eine Lobeshymne, ein Liebesbrief für eine originelle und anregende Unzeitgemäße. Und wie sie sind die Aufsätze, die sich mit dem Verlust an Kritik im Wissenschaftsbetrieb und der Absurdität der Massenuniversität beschäftigen (vor allem die Texte von Carsten Otte, Henrik Ghanaat und Holger Andreas Leidig). Diese Festschrift für Gabi ist ein Genuss – wie eine Zigarette nach einem guten Essen.

PHILIPP GESSLER

Holger Andreas Leidig u. a. (Hg.): „Kritisierte Gesellschaft: Gabi Althaus zum 61. Geburtstag“, Metropol, Berlin 2000, 250 Seiten, 38 DM