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Eine fast staatstragende Feier

Der Schriftsteller, DDR-Bürgerrechtler und Psychologe Jürgen Fuchs wäre heute fünfzig Jahre alt geworden. Postum erhält er ein Maß an Anerkennung, das ihm zeitlebens verwehrt geblieben war

von MARTIN JANDER

Als Everybody’s Darling galt er in seinem ganzen Leben nicht. Nicht nur als Staatsfeind in der DDR, auch als einer ihrer überlebenden Gegner und Opfer legte er immer wieder die politischen Nerven der mittlerweile vereinten Republik bloß. Noch kurz vor seinem Tod am 9. Mai 1999 hatte er unter dem Titel „Magdalena“ eine mehr als 500 Seiten umfassende Anklageschrift gegen den Unwillen vorgelegt, sich der Hinterlassenschaft der SED-Diktatur umfassend zu stellen. Die Geschichten, die dort – teils dokumentarisch, teils fiktiv – erzählt wurden, waren aufrüttelnd. Widerspruch konnte nicht ausbleiben: Dies sei, hieß es, nur Betroffenheitsliteratur.

Als Toter hingegen scheint Fuchs nun willkommener zu sein. Die konservative Landesregierung Thüringens ließ im Vorfeld seines heutigen 50. Geburtstages keine Gelegenheit aus, den sozialistischen Dissidenten und Menschenrechtler für sich zu reklamieren. Ihre Landesvertretung in Berlin lud kürzlich zu einer Feierstunde. Sie selbst beteiligte sich am Internationalen Jürgen-Fuchs-Symposium, das von der Geschichtswerkstatt Jena vom 8. bis zum 10. Dezember in der Aula der Jenaer Universität veranstaltet wurde. Und es sah so aus, als sollte er postum doch zum Liebling von jedermann erklärt werden.

Die Schirmherrin des Symposiums, Landtagspräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) – einst FDJ-Sekretärin der Sektion Theologie in Jena, später Reformerin in der Ost-CDU –, rühmte in ihren Grußworten die „sanfte, aber erbarmungslos deutliche Sprache“ von Fuchs, dessen Diplomarbeit im Fach Psychologie wegen „trotzkistischer Tendenzen“ abgelehnt worden war; er selbst hatte in der DDR Berufsverbot erhalten. Fuchs sei auf „infame Weise verfolgt und ausgegrenzt“ worden, sagte Lieberknecht. Die Aufarbeitung nicht nur dieses Unrechts sei eine „gemeinsame Verpflichtung von Wissenschaft, Staat und Gesellschaft“. Kultusminister Krapp überbrachte Grüße des Ministerpräsidenten Bernhard Vogel und lobte das „geschliffene Wort“ des Schriftstellers. Er kündigte außerdem den Einsatz der Landesregierung für den Erhalt authentischer „Erinnerungsorte“ an und die Verteilung des erst kürzlich aus dem Nachlass veröffentlichten Gedichtzyklus „Schriftprobe“ als Unterrichtsmaterial an den Schulen des Landes.

Der vorübergehende Eindruck einer staatstragenden Feier jedoch täuschte. Letztlich widersetzte sich der unkonventionelle Charakter des gelobten Toten einer vorschnellen Musealisierung zum Nutzen der Landesregierung. Professor Edwin Kratschmer, einer der Mitorganisatoren der Tagung, erntete mit seinem Lob der „seismischen Empfindsamkeit“ des Schriftstellers Fuchs bereits heftige Kritik. Sein übertriebenes Pathos und seine Heldenverehrung stießen bei den wenigen versammelten Freunden von Fuchs auf Ablehnung. Wichtige Weggefährten – etwa Wolf Biermann und Roland Jahn – waren erst gar nicht angereist.

Zustimmung und Anerkennung erhielten dagegen gerade die in kritischer Distanz vortragenden Schriftsteller. Ein „Soldat der Wahrheit“ sei Fuchs trotz aller Ablehnung des Militärischen gewesen, sagte Esther Dischereit. Er habe menschliche Schwächen bei sich und anderen oft „gnadenlos offengelegt“, ergänzte Helmut Frauendorfer. Herta Müller betonte seine trotz allem Erlittenen vorhandenen menschlichen Qualitäten: „Noch aus den Akten suchte er seine Freunde zu bergen.“ Gerade jedoch seine „Selbstverpflichtung“ an die „Moralität des Widerstehenden“, fasste Esther Dischereit ihre Kritik zusammen, habe Jürgen Fuchs gebunden. Den Spagat „zwischen der Aufgabe, Zeugnis abzulegen, und der künstlerischen Gestaltung“ habe er in der Prosa deshalb nicht gelöst.

Die Kritik an der politischen Aneignung des Erbes von Jürgen Fuchs durch das Land Thüringen explodierte gegen Ende des Symposiums. Man hätte, so die Kritiker von der Gruppe „Mobile Erinnerungslücke o. V.“, dem Land und seiner Universität Jena nicht die Möglichkeit geben dürfen, als Mitveranstalter zu fungieren. Denn, so lässt sich ergänzen, mit dem Aufarbeitungswillen ist es jenseits schöner Sonntagsreden nicht weit her.

Die Universität hatte sich zwar im Januar 1990 bei allen Relegierten entschuldigt – auch bei Fuchs. 1994 war gar sein Diplom nachträglich anerkannt worden. Die Arbeit selbst ist jedoch in der Universitätsbibliothek immer noch nicht einsehbar. Gravierender wiegt der Einwand, dass der Fachbereich Psychologie, an dem vor 1989 auch regelmäßig Stasi-Mitarbeiter ausgebildet wurden, bislang nur unwesentliche Anstrengungen gemacht hat, die diktaturdienende Rolle von Lehre, Forschung und Studium vor 1989 aufzuarbeiten. Zur Erinnerung sprach während des Symposiums die Witwe des Bürgerrechtlers, Lilo Fuchs, die Tarnnamen wesentlicher Staatsicherheitsspitzel der Sektion Psychologie noch einmal aus: „Bärbel“, „Eberhard“, „Hans Schindler“ und „Volker“.

Die Kritik an der politischen Vereinnahmung von Fuchs blieb jedoch eigentümlich alternativlos. Man kann es sich nur dahin gehend erklären, dass die Trauer um den Verlust des Freundes und das Wissen darum, dass von seinen Verfolgern bislang niemand zur Rechenschaft gezogen wurde – die Ermittlungen zu der von Fuchs selbst gestellten Anzeige wegen Freiheitsberaubung wurden 1998 eingestellt –, die politische Fantasie der Versammelten lähmten. Außerdem ist der von Jürgen Fuchs selbst gehegte Verdacht, sein Krebstod sei durch radioaktive Kontaminierung während seiner Haft mit Absicht herbeigeführt worden, bislang nicht ausgeräumt.

Lukas Beckmann, Geschäftsführer der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, hatte zumindest angedeutet, dass der Tod von Jürgen Fuchs noch längst nicht verarbeitet ist. Er schilderte seine Bedeutung für die Verbindungen von Teilen der westdeutschen Friedensbewegung zur Opposition in der DDR und in Ostmitteleuropa: „Jürgen Fuchs war eine zentrale Nahtstelle unserer Verbindungen nach Osteuropa.“ Jürgen Fuchs, so Lukas Beckmann, fehle heute für alle politischen Projekte einer europäischen und antitotalitären Zukunft der Grünen.

Die Beiträge des Symposiums publiziert die Zeitschrift Gerbergasse 18 (Tel./Fax: 0 36 41/82 12 35) im Januar 2001 in einer Sondernummer

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