: Der medientechnische Transrapid
Digitales Radio steht in den Startlöchern – und steht und steht. Die Kunden stehen aber weiterhin auf UKW. Weil der Markt stagniert, hoffen die Anbieter nun auf die Politik: Die Bundesregierung entscheidet 2003 über die Zukunft des Systems
von JÜRGEN BISCHOFF
Hans Hege, Chef der Berliner Landesmediananstalt MABB, legte Anfang November selten gehörten nüchternen Realismus in Sachen digitales Radio an den Tag: „Die Receiver-Situation sieht noch schlimmer aus als in den pessimistischsten Szenarien zum Start 1997“, sagte er vor einem internationalen Publikum bei der NAB European Radio Conference in Berlin. Vor diesem Hintergrund sind die Zahlen fatal, die die Bundesregierung Ende September auf der Hannoveraner Expo verkünden ließ: Seit 1997 sind gerade einmal 2.500 Empfangsgeräte für digitales Radio im freien Handel verkauft worden.
Kaum besser ist die Situation in England. Dort startete Digital Audio Broadcasting – kurz DAB – offiziell schon im November 1999. Trotz intensiver Marketingmaßnahmen und Cross-Promotion für die neue Technologie in den analogen Programmen sind auf der Insel bislang auch erst 6.000 Empfänger an den Mann gebracht worden, so Quentin Howard vom privaten britischen DAB-Sendernetzbetreiber Digital One.
Ronan McDonagh, DAB-Produktmanager von Pioneer Europe, konstatierte gar, dass alle DAB-Märkte in Europa stagnierten – bis auf England und „mit Abstrichen“ Norwegen und Schweden, wo die Nachfrage ungebrochen scheint. Sein Unternehmen habe, so McDonagh, europaweit gerade 6.000 Empfänger vekauft.
In der Tat – und das sehen alle Beteiligten mit zunehmendem Realismus: Die Hörer sind gar nicht scharf auf digitales Radio.
Der unmittelbare Zusatznutzen der neuen Technik erschließt sich nicht, die Qualität der analogen UKW-Stationen reicht den Durchschnittskonsumenten offenbar vollkommen aus. So sehr, dass selbst Bosch-Blaupunkt – in Europa die Nummer 1 bei Forschung, Entwicklung und Herstellung von DAB-Decoderchips – dem Markterfolg von DAB wenig zu trauen scheint. Bis zum Jahr 2003 will das Hildesheimer Unternehmen den Absatz seiner sündhaft teuren Auto-Navigationsgeräte auf 500.000 Einheiten pro Jahr steigern. Mit optimistischen Absatzprognosen für DAB-Empfänger dagegen hält man sich in der Firmenzentrale derzeit zurück.
Dabei ist 2003 durchaus ein entscheidendes Datum. Dann nämlich will die Bundesregierung auf der Basis der Marktzahlen für DAB über die Zukunft des digitalen Radios entscheiden.
Die Verbraucher stören sich in erster Linie an den hohen Preisen für DAB-Empfänger. In England kosten digitale HiFi-Tuner und Autoradios ab 1.000 Mark aufwärts. In Deutschland wohl auch, doch sieht man die angeblich verfügbaren 100 verschiedenen Gerätetypen nirgends in den Geschäften. Selbst bei spezialisierten Technikkaufhäusern wie Saturn oder Media Markt erntet die Frage nach DAB-Geräten weiterhin nur unwissende Mienen und Schulterzucken beim Verkaufspersonal.
Das soll sich allerdings bald ändern, zumindest wenn es nach den Vorstellungen der Deutschen Telekom geht. Seit einigen Monaten geht sie bei verschiedenen Beteiligten – vom Gerätehersteller bis zu den Sendernetzbetreibern – hausieren, um eine „Initiative Marketing Digital Radio“ (IMDR) auf die Beine zu stellen. So richtig freuen kann sich darüber wahrscheinlich aber auch nur eine Werbeagentur, die in zwei Phasen bis zum Jahr 2003 über einen Gesamtetat von bis zu 26 Millionen Mark für Marketing-Maßnahmen wird verfügen dürfen.
Denn gerade die Geduld der etablierten Radioveranstalter neigt sich immer mehr dem Ende zu. Jürgen Filla von RTL-Radio Deutschland sprach auf einer Tagung der Adolf-Grimme-Akademie Ende November aus, was die kommerziellen Privatfunker schon immer vom digitalen Radio gehalten haben: „DAB ist etwas, was uns nur belastet.“ Und selbst die öffentlich-rechtlichen Sender geben DAB intern nur noch eine kurze Frist zum Durchstarten – danach ist es zu spät.
Da bleibt lediglich die Sachzwangsjacke: Wenn es politisch gewollt ist, digitales Radio einzuführen, um dann das analoge UKW-Frequenzband mittelfristig anders und lukrativer zu nutzen, führt wohl kaum ein Weg an DAB vorbei. Denn alternative Techniken sind nicht in Sicht. Eine Zeit lang schien die Ausstrahlung von digitalem Hörfunk im Doppelpack mit den digitalen TV-Signalen möglich. Doch das hat sich wohl erledigt, da terrestrisches digitales Fernsehen sich eine unerwartete Blöße gegeben hat: Allenfalls etwa 70 Prozent der Haushalte wären damit zu erreichen. Die Mecklenburger Seenplatte, die Lüneburger Heide und so manches Alpental wären dann weder mit Fernsehen noch mit Radio versorgt.
Und so mag Hans Hege recht haben, der auf der NAB-Konferenz konstatierte: „UKW wird auf absehbare Zeit ein erfolgreiches System bleiben.
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