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Empfindliche Gedankenspuren

Andreas Stolzenburg ist neuer Leiter des Hamburger Kupferstichkabinetts. Ein Porträt  ■ Von Petra Schellen

In einer Zeichnung stülpt sich des Künstlers Hirn nach außen. Streben Gedankenwindungen aufs Papier, die man dem fertigen Bild nicht abtrotzen könnte. Und deshalb liebt Andreas Stolzenburg, seit Dezember Leiter des Kupferstichkabinetts der Hamburger Kunsthalle und Nachfolger der in den Ruhestand gegangenen Hanna Hohl, dieses Genre: „Anhand einer Zeichnung – oft Vorstufe zum Gemälde – kann man den Schöpfungsvorgang verfolgen.“

Die Zeichnung sei unmittelbarer schöpferischer Ausdruck, betont Stolzenburg, der natürlich nicht mit der Liebe zur Zeichnung und Druckgrafik, deren er im Hamburger Kupferstichkabinett 100 000 betreut, auf die Welt kam. Zwar hat der 1963 in Hamburg geborene Kunsthistoriker immer die Museumsatmosphäre der universitären vorgezogen. Zur Zeichnung ist Stolzenburg, der in Regensburg und Wien unter anderem kurz bei Walter Koschatzky, dem Verfasser von Standardwerken wie Die Kunst der Zeichnung, studierte, dann allerdings im Laufe seiner beruflichen Spurensuche gekommen: „Sehr prägend war für mich die Begegnung mit dem Wiener Kupferstichkabinett, der Albertina.“

Aber nicht nur wegen ihrer Verletzlichkeit empfindet er Zuneigung zu den Blättern. „Mich reizt auch das Abenteuer der Neuauffindung und -zuschreibung von Werken“, bekennt Stolzenburg, der ebenso gut, das räumt er ein, hätte real ausgrabender Archäologe werden können; sein zweites Studienfach war Klassische Archäologie. Aber wo liegt auch letztlich der Unterschied zwischen Howard Carterschen Tut-Ench-Amun-Grabungen und dem Umherkutschieren zwischen italienischen Kirchen, wie es Stolzenburg für seine Dissertation über italienische Malerei des 19. Jahrhunderts praktizierte?

In Leipzig, wo er seit 1995 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Graphischen Sammlung des Museums der Bildenden Künste war, hat Stolzenburg zum Beispiel einen Katalog über den Zeichner Salvator Rosa erstellt, einen im 17. Jahrhundert in Neapel, Florenz und Rom tätigen Landschafts- und Figurenmaler. Auch einen Band über Picassos Lithografien hat er publiziert. Überhaupt sieht Stolzenburg solche „Ausgrabungsarbeiten“ nicht pathetischer als fürs persönliche Wohlbefinden unbedingt nötig. Sicher, man könne die Suche nach fehlenden Werkbestandteilen systematisch betreiben, sagt er. „Es kann aber auch passieren, dass man jahrelang einem Phantombild hinterherläuft.“

Von solchen Fata-Morgana-Anwandlungen wird sein Forscherteam, das ab 2001 erstmals Bestandskataloge des Kupferstichkabinetts erstellen wird, allerdings weit entfernt sein: Erwiesenermaßen 1300 niederländische, 1000 altdeutsche, 1000 italienische und rund 120 spanische Blätter sollen Wissenschaftler in einem Fünf- bis Sechsjahresprogramm bearbeiten und mit detaillierten Hinweisen zu Zuschreibung, Provenienz und Wasserzeichen versehen.

Bis 2005/06 ist das Projekt veranschlagt, das mit Ausstellungen einhergehen soll, die das jeweilige Sachgebiet präspräentieren. Erläuterungen zu den italienischen Blättern wird Stolzenburg selbst beisteuern. Und natürlich interessieren ihn am meisten die Zuschreibungen. Wobei Stolzenburg die gar nicht so mystisch zu sehen bereit ist: „Ob der Mann mit dem Goldhelm nun von Rembrandt stammt oder nicht, ist eigentlich unwichtig; was zählt, ist künstlerische Qualität. Aber dem Publikum ist es oft nicht egal; das ist letztlich eine Frage der PR...“ Außerdem können sich ja Zuschreibungen immer wieder ändern, und auch das findet Stolzenburg nicht weiter beunruhigend: „Das ist alles im Fluss, und da liegt ja gerade das Abenteuer.“

Weniger abenteuerlich, dafür akribisch und nützlich gestaltet sich das zweite große Projekt des Kupferstichkabinetts, das Stolzenburg anvisiert: In Zusammenarbeit mit den anderen Kunsthallen-Mitarbeitern sollen die Bestände des Kupferstichkabinetts in eine neue Datenbank eingegeben werden. Mit Lichtgeschwindigkeit passieren wird das allerdings nicht: „Für die vollständige Eingabe veranschlagen wir rund 20 Jahre...“

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