piwik no script img

Kreuzritter gegen die Kunst

Blasphemie oder Station auf dem Kreuzweg? Ein Kunstwerk, das den Papst mit einem Meteoriten zusammenstoßen lässt, sorgte in Polen für einen kleinen Staatsskandal. Derweil zersäbelte der Schauspieler Daniel Olbrychski im Namen des Anstands eine ganze Ausstellung

Um die am vergangenen Freitag eröffnete Jubiläumsausstellung zum 100-jährigen Geburtstag der Nationalgerie Zacheta in Warschau ist ein heftiger Streit entbrannt. Auslöser war ein Werk des italienischen Künstlers Maurizio Cattelan, eine Wachsfigur Johannes Pauls des Zweiten, der, getroffen von einem Meteoriten, am Boden liegt und dabei den Bischofsstab umklammert. Eine Internetseite hatte ein paar Tage vor der Ausstellungseröffnung in Erfahrung gebracht, dass die Papstskulptur unter den Gastexponaten figurierte, die der Kurator der Ausstellung, der Biennale-Direktor Harald Szeemann, nach Polen mitgebracht hatte.

Diese Nachricht wurde von den Medien sogleich zum Skandal aufgebauscht. Katholisch-konservative Interessengruppen wurden aktiv und forderten eine Entfernung der Papst-Skulptur. Die Direktorin der Zacheta, Anda Rottenberg, wendete sich in der liberalen Gazeta Wyborcza gegen die Kritik: Sie habe nicht die Absicht, die Konzeption Szeemanns zu zensurieren. Mittlerweile hat der Vorsitzende der parlamentarischen Kommission für Medien und Kultur angedroht, dass er eine Untersuchung einleiten werde, falls der Kulturminister untätig bleibe. Beide Politiker gehören dem konservativen Wahlbündnis Solidarität (AWS) an. Und radikalere Stimmen verlangten gar die sofortige Schließung der Ausstellung und die Entlassung Rottenbergs.

Dass Cattelans Arrangement, das vor einem Jahr in der Basler Kunsthalle zu sehen war, gerade im katholischen Heimatland des Papstes heftige Reaktionen hervorrufen würde, war abzusehen. Die Gegner sprechen von geschmackloser Provokation und Blasphemie. Auf der anderen Seite der Barrikade ist man bemüht, der Papstskulptur eine christliche Deutung zu geben. So meinte der Priester Nieweglowski, ein der Zacheta nahestender Seelsorger aus dem künstlerischen Milieu, er sehe in der Skulptur eine symbolische Darstellung Jesu Christi, der unter dem Gewicht des Kreuzes niederfällt. Und Szeemann erklärte, die Arbeit Cattelans spreche von der Mission, die der große Pole von Gott erhalten habe: Die Körperhaltung der Papstfigur entspreche in der 2.000-jährigen christlichen Ikonografie einer der Stationen des Kreuzwegs. Die Katholiken auf der Gegenseite wollen sich von solchen Erklärungen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen lassen, dass in der durch den Steuerzahler finanzierten Zacheta mit dem Heiligen Vater Spott getrieben werde – getarnt als moderne Kunst.

Zusätzlichen Auftrieb verlieh den Kritikern der Zacheta die Tatsache, dass eine andere Ausstellung unlängst frühzeitig abgebrochen werden musste. Unter dem Titel „Nazis“ zeigte der in den USA lebende Pole Piotr Uklanski Filmfotos von Schauspielern in Nazi-Uniformen. Daniel Olbrychski, ein populärer polnischer Schauspieler, der auch in Schlöndorffs „Die Blechtrommel“ mitspielte, war dies zu viel: In Begleitung von Fernsehkameras drang er in den Ausstellungssaal ein, zog einen unter dem Mantel verborgenen Säbel hervor und zerstörte mehrere Exponate, darunter ein Foto aus Lelouchs „Les Uns et les Autres“, wo er einen NS-Tambourmajor verkörperte. Die überwiegende Mehrheit der Polen sowie einzelne Schauspieler, darunter der ebenfalls in Nazi-Uniform abgebildete Jean-Paul Belmondo, stellten sich auf die Seite Olbrychskis, der der Ausstellung Manipulation und Verstoß gegen die Regeln des Anstands vorwarf. Die Meinung der Minderheit, die Ausstellung thematisiere die ungesunde Faszination, die Nazi-Uniformen auf das Kino und die Massenmedien ausübten, fand beim Kulturminister Kazimierz Ujazdowski kein Gehör. Er verlangte, die Ausstellung mit einem Kommentar zu versehen, aus dem die kritische Botschaft eindeutig hervorgehen würde. Uklanski bezeichnete die Forderung als Zensur und zog die Ausstellung, die vor Warschau schon in London, Berlin und Frankfurt zu Gast war, zurück.

Unterdessen haben sich der Bilderstürmer Olbrychski und Rottenberg die Hand zur Versöhnung gereicht. Zudem sind, wie die polnische Nachrichtenagentur PAP meldete, Gespräche im Gang, um die Strafanzeige der Zacheta gegen den Schauspieler zurückzuziehen. Anlass für die Versöhnungsgeste bot die Enthüllung einer Gedenktafel zu Ehren des polnischen Präsidenten Narutowicz, der am 16. Dezember 1922 in der Zacheta von einem politischen Fanatiker ermordet wurde. Olbrychski war eingeladen, um ein dem Ermorderten gewidmetes Gedicht zu rezitieren. An den Feierlichkeiten, die einen Tag vor der Eröffnung der Jubiläumsausstellung stattfanden, war auch Präsident Kwaśniewski zugegen. Der Postkommunist, der im Oktober mit einer überzeugenden Mehrheit in seinem Amt bestätigt worden war, erklärte vor Journalisten, in der Papstskulptur nichts Anstößiges zu sehen. Offen bleibt, ob Kulturminister Ujazdowski, der Vorgesetzte der Zacheta, dem politischen Druck der Katholisch-Konservativen widerstehen wird. Einstweilen hat er für die nächsten Tage eine Stellungnahme angekündigt. Wie diese auch immer ausfallen mag, der Verlierer dürfte der der polnische Kunstbetrieb sein. Wenn sich Politiker anmaßen, über künstlerische Ausdrucksformen entscheiden zu können, ist der erste Schritt zu Zensur und Selbstzensur schon vollzogen.

ULRICH SCHWENDIMANN

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen