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Herzerweichende Morna zwischendrin

Wer in Kap Verde ein Auto hat, ist Fahrer. Wer ein Haus hat, eröffnet einen Laden, eine Bar. Und nur Touristen trinken in der Nachmittagsglut Kaffee

von WIEBKE HOLLERSEN

Dicke Wolken hängen in den Bergen. Regen? Ja, im letzten August hätte es viel geregnet. Jetzt ist Anfang März, und es gibt etwas Wichtigeres: Morgen ist Karneval! Radio São Nicolao zählt die Stunden und begrüßt uns mit Trommelwirbeln. Der Taxifahrer passt seine Fahrweise der Vorfreude an, auf dem Armaturenbrett springen Maria- und Jesusbildchen auf und ab. Nach der ewigen Fläche von Sal wachsen die Berge in den Himmel und hinter jeder Kurve liegt eine neue aufregende Schlucht.

Die Hauptstadt Vila Ribeira Brava sei in den Bergen versteckt, steht im Reiseführer, weil die Menschen endgültig den Piratenüberfällen fliehen wollten. Erst als wir das Ortsschild entziffern, öffnet sich das Tal und gibt einen Blick auf die bunten, an die Hänge geschmiegten Häuser preis. Abends bietet sich von der Terrasse der Pensao Jardim ein Landlord-Blick über die im Ort verstreuten Lichtflecken. So viel Licht habe er in ganz Afrika nicht gesehen, staunt ein weit gereister französischer Nachbar über das funkelnde Tal.

In den Straßen von Ribeira Brava gibt es mehr Hühner als Autos. Die stehen sowieso alle auf dem Kirchplatz und werden von ihren Besitzern gewienert, bis eine Ladung Fahrgäste zusammen ist. Wer in Kap Verde ein Auto hat, ist Fahrer. Wer ein Haus hat, eröffnet einen Laden oder eine Bar. Dafür braucht man eine Ladung Coca-Cola, ein paar Flaschen des einheimischen Zuckerrohr-Rums Grogue und ein Metallschild über dem Eingang, das Jugendlichen unter 18 den Einlass verbietet. Wer will, schreibt „Bar“ daneben.

Zum Frühstück über den Dächern von Vila gibt es Milchkaffee, trockene Kekse, Bananenbrote, erdölzähe Marmelade. Und natürlich Musik, herzerweichende Morna. Verträumt singt die runde Chefin mit Cesaria Evora. Wann ist Karneval? Die Mädchen in der Küche kichern „mais tarde“, viel später. Der Chef zuckt die Schultern, nein, dieses Jahr gibt es keinen Karneval, das ganze Geld ist doch für die Wahlen im Februar draufgegangen. Das Bürgermeisterbüro sagt, doch, heute Nachmittag ab vier.

Mit deutscher Pünktlichkeit sitzen wir um vier auf dem Kirchplatz. Mit uns: ein erwachsener Mann in Babywindeln mit einem riesigen Fläschchen und ein paar angemalten Kindern. Alte Damen nehmen auf den Bänken Platz, Mütter schleppen Babys in Tierkostümchen heran, halbwüchsige Jungs zeigen Mädchenkleider und Glitzerhemden. Für den großen Auftritt müssen sie die Dunkelheit abwarten, die warmgespielten Trommler, die Fahnen schwenkenden Mädchen. Schließlich zwei Wagen. Wirklich ein kleiner Karneval dieses Jahr, aber die Masse lärmt und zieht endlose Runden durch die Gassen. Von einem Wagen fließt Grogue ohne Altersbeschränkung.

Djamila aus der Pastelaria Relax wirft ihren dicken Zopf zurück und stellt Kokos-Pastetchen und Bananenkuchen vor uns ab. Nur Europäer wollen in der Nachmittagsglut Kaffee. Zwei Jungen hängen am Tresen und kippen eine kalte Fanta herunter. Tak-tak-tak. Zum Summen des Ventilators läuft stumm der Fernseher in der Ecke, TV Brasil. Wo möchtet ihr gern leben? Brasilien! leuchten die Kinderaugen noch im entlegensten Dorf. Der Karneval in Rio und Bahia tanzt Tage über die Bildschirme der Bars. Fußball ist auch eine große Sache, und wer ein grün-gelbes Ronaldo-Trikot ergattert hat, ist ein Held. Los, Fußball gucken!

Kaffee und Hitze machen träge, doch bis zum Strand sind es nur ein paar Schritte. Es ist schon fünf, die Touristen gehen ihren Sonnenbrand pflegen. Der Strand gehört den „Jogadores“, den Spielern. Sandalen, nackte Füße und alte Latschen stürzen durcheinander. Der Ball schießt über den Sand, wer am weitesten vom Tor entfernt ist, schreit am lautesten „Golo!“. Die auf den Strand klatschenden Wellen schlucken kreolische Flüche und Lachsalven. Spätestens um sieben ist Schluss, dann öffnen die Restaurants in Santa Maria, die zweite Schicht. Die Frauen fischen ihre Kinder aus dem Wasser und schicken sie nach Hause.

Gegen sieben reiht sich auch die Schlange vor der Telefonzelle am Ortseingang auf. Mädchen flirten eine ewige Telefonkartenlänge mit dem Liebsten auf der Nachbarinsel.

Auf der Terrasse von Matteus Restaurant gibt es Riesenhummer und Live-Musik, Gitarre, Geige und schmelzenden Gesang. Die Kellner balancieren im Gedränge. Auf dem Vorplatz hopsen Kinder und hängen in den Bäumen. Plötzlich halten sie inne und jubeln durch die Gegend: Santa Maria liegt in pechschwarzer Nacht. Mit einem Aufflackern der Straßenlampen ist der Strom verschwunden. Kein Licht, keine Musik, nur Kinderlärm und aufgescheuchte Gäste. Heilige Maria! Wer nicht eilig Kerzen und Batterielampen herbeischaffen kann, macht dicht. Mal sehen, was morgen ist. Männer mit Autoradio nutzen die Stille für einen großen Auftritt.

Ohne Ventilator weicht die Tagesglut nicht aus dem Zimmer, die Dusche tropft nicht mal ohne elektrisch erzeugten Druck. Kühle spendet der Balkon, mitten im Dunkeln eines afrikanischen Dorfs. Die Kinder trotteln gelassen nach Hause, der Restaurant-Musiker zupft noch an der Gitarre, Hunde kläffen den Mond an. Doch Europa kann man schon sehen. Wie ein gestrandetes Raumschiff liegt die Hand voll großer Hotels in Festbeleuchtung am schwarzen Strand, und die Generatoren summen eine schwermütige Melodie.

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