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Der Krieg der Zwerge

Tarnhelme sollten den Sieg bringen. Doch die Schlacht auf Fródárheidi geriet zum Debakel

von WOLFGANG MÜLLER

Wir kamen mit dem Auto aus dem kleinen Ort Olafsvík, der auf der Nordseite der Snæfellsjökull-Halbinsel liegt. Martha, Oliver und ich. Um nach Búdir zu gelangen, wollten wir die Abkürzung über das Gebirge entlang der Fródárheidi auf der Straße 54 nehmen. Das Auto hatte gerade die größte Steigung am Valafell, dem Gefallenenberg passiert, da tauchte auf der linken Seite ein wunderschöner See auf, der See der Gefallenen, Valavatn genannt. An seinen Ufern erhoben sich Nebelschwaden, die ganz langsam nach oben stiegen, bis hin zu den Höhen des Löngubrekku.

An einigen Böschungen und Mulden wuchs dichtes Gras, und da, wo die Steine zerrieben herumlagen, wölbten sich ein paar vereinzelte Polster der gelbweißen Silberwurz, ragten die rosafarbenen Köpfchen der Gewöhnlichen Grasnelke aus dem grauen, nackten Boden. Einige graugrüne Basalte lagen verstreut auf der Schuttfläche. An diesen Steinen wuchsen schöne ocker- und orangefarbene Flechten, manche trugen Fruchtstände, kleine schwarze Kugeln, die wie Perlen an der Oberfläche klebten.

Oliver und ich stiegen aus, während Martha im Auto blieb. Ich lief zu einem mit orangefarbener Flechte bewachsenen Stein, nahm ihn in die Hand und rief zu Oliver, der bereits am Seeufer saß: „Schau nur, was für schöne Farben!“ Doch Oliver starrte weiter geradeaus, auf den See, zu den Schwänen. Da ich annahm, dass er mich nicht gehört habe, rief ich noch einmal. Dieses Mal drehte er sich um und schaute suchend in die Landschaft. „Hier, sieht doch hübsch aus?“ Ich nahm den Stein und hob ihn mit der rechten Hand in die Höhe. Zuerst dachte ich, dass es Zeit für Oliver würde, sich Kontaktlinsen zu besorgen, denn er rief lachend: „Ich weiß wo du bist! Hinter dem großen roten Felsen!“ Doch da war ich gar nicht. Gerade kroch noch eine schlaffe Nebelspur vom Ufer über das Schotterfeld. Ein zarter Nebel, der sich trotz der eingetretenen Windstille schnell verteilte. „Hier!“, rief ich und bemerkte, wie Oliver, der in die entgegengesetzte Richtung starrte, überrascht zusammenzuckte. „Wo? Wo bist du?“, stammelte er und bewegte seinen Kopf ruckartig hin und her wie ein überängstlicher Rotschenkel. Nein, es gab keinen Zweifel. Oliver schien mich wirklich nicht zu sehen.

Ich kam näher, die Schuhe knirschten auf dem losen Geröll und in Olivers Blick ließen sich Anflüge leichter Panik erkennen. Ich ging vorsichtig auf den See zu, das Ufer entlang und war vielleicht noch zehn Meter von ihm entfernt, als ich stehenblieb und in das Wasser blickte. Doch ein Spiegelbild sah ich nicht. Ich beugte mich tief nach vorn, aber da war nichts zu sehen.

Mittlerweile war mir der Arm schwer vom Gewicht des Steins geworden, ich hielt ihn kurz über die Wasseroberfläche. Da sah ich zu meiner Verwunderung das Spiegelbild des Steines; er schien sich schwerelos in der Luft zu halten. Um Oliver nicht noch mehr zu erschrecken, flüsterte ich leise: „Siehst du den Stein über dem Wasser, wie er darüber schwebt, etwa zehn Meter von dir entfernt?“ Doch meine Worte hatten kaum die beruhigende Wirkung, die ich mir von ihnen erhofft hatte. Im Gegenteil, Oliver erstarrte regelrecht und krächzte heiser: „Wer bist du? Was willst du von mir?“ Er wendete den Kopf langsam nach rechts und links und starrte mit weit aufgerissenen Augen in Richtung des Ufers. Und dann bewegten sich seine Pupillen – die die Isländer Augasteinn, also Augenstein nennen – in Richtung des Steinspiegelbildes. Dort verharrten sie und mit ihnen der ganze arme Oliver. Mein Arm war mir noch schwerer geworden, so schwer, dass ich den Stein nicht mehr halten konnten. Ich ließ ihn los. Er raste nach unten, das Spiegelbild zerriss, und Wasser spritzte auf. Durch den kristallklaren Lebenssaft trudelte der Felsbrocken allmählich bis auf den Grund. Oliver schaute mich entgeistert an. „Wo . . . wo bist du gewesen?“ „Hier, ich war die ganze Zeit hier. Der Stein, den ich in der Hand hielt, hat mich unsichtbar gemacht, ja – selbst mein Spiegelbild hat er verschwinden lassen. Als ich ihn fallen ließ, hast du mich wieder gesehen!“

Mittlerweile war Martha aus dem Auto gestiegen und fragte, ob wir denn nicht weiterfahren wollten. Oliver war noch ganz durcheinander vom Geschehenen und erzählte ihr, was vorgefallen war. Martha nickte mit dem Kopf: „Das war ein Hulidshjálmsstein, die sind hier am Snæfellsjökull gar nicht mal so selten.“ Und dann erklärte sie uns, dass dieser Hulidshjálmsstein, auf Deutsch der Tarnhelmstein, ein ziemlich altes Gestein sei, mindestens zwanzigtausend Jahre alt, und aus einer Zeit stamme, als die Zwerge und Elfen in Island noch ziemlich kriegerisch veranlagt waren. Ihre spirituell veranlagte Großmutter hatte ihr das einst erzählt.

Martha setzte sich auf einen Granitblock und wir lauschten gebannt ihren Worten: „Damals gab es hier ja überhaupt nur Zwerge, Trolle und Elfen. Keine Pflanzen, Tiere und schon gar keine Menschen. Island war seinerzeit völlig vereist, alles war mit einem unglaublich dicken Eispanzer bedeckt. Nur ein paar ganz winzige Bergspitzen ragten aus dem riesigen Gletscher, der die ganze Insel und selbst Teile des Meeres überzog. Aber das Eis sah nicht etwa aus wie der schöne Zuckerguss beim Berliner, den die Berliner selbst Pfannkuchen nennen, nein – es war schmutzig und schwarz wie die Nacht. Denn aus den Bergspitzen strömte oft dicker schwarzer Schwefelqualm, floss heiße rot glühende Lava. Manchmal brannte es auch unter dem Eis, Gletscher spalteten sich dann, und schwarzer Rauch stieg auf, bedeckte das Eisland mit einem dunklen Schleier.

Ungeheure Wassermassen drängten zum Meer, rissen Eisberge mit und auch das tief unter dem Gletscher liegende Gestein. Wasser, Eis und Geröll bahnten sich ihren Weg mit erbarmungsloser Gewalt. Doch ob diese Flut zur Südküste oder zur Nordküste strömte, war nie ganz voraussehbar. An der Nordküste lebten nämlich die Nordzwerge und im Süden die Südzwerge. Immer wenn eine solche Flut in den Norden strömte, flüchteten die Nordzwerge in den Süden, und wenn das Wasser in den Süden strömte, versuchten sich die Südzwerge in den Norden zu retten. Die Nordzwerge unternahmen dann alles, um die Südzwerge aufzuhalten. Sie wussten überhaupt nichts von einer Überschwemmung. Bei ihnen war es ja trocken, wenn auch ein bisschen kalt. Sie dachten, dass ihnen die Südzwerge ihre schönen Eisschlösser und Eiszapfen stehlen wollten und die hübschen Nordzwergfrauen dazu. Die Nordzwerge ernährten sich nämlich genau wie die Südzwerge von Eiszapfen und knabberten gern an ihnen, so wie es noch heute die Kaninchen mit den Mohrrüben zu tun pflegen.

Wenn die verheerende Flut in die andere Himmelsrichtung schoss, war es auch nicht besser. Dann flüchteten die Nordzwerge in den Süden, und die Südzwerge griffen zu ihren Waffen. Es gab viele wunderbare Schwerter und Dolche, geschmiedet von Surtur, dem Feuerriesen. Der belieferte übrigens sowohl die Nord- wie auch die Südzwerge und wohnte deshalb unter dem Eis, also sozusagen auf neutralem Gebiet. Von seinen Waffenverkäufen lebte er gar nicht schlecht. Manchmal spendierte er dann auch ein ganz tolles Feuerwerk – gratis. Allerdings waren die Zwerge davon meist so beeindruckt, dass auch sie sich so ein Feuerwerk zulegen wollten, um ihre Feinde zu erschrecken. Denn die Feuerfunken sahen wirklich sehr beeindruckend und furchteinflößend aus.

Das ganze Spiel lief so einige Jahrtausende nach dem gleichen Muster ab, so dass das ganze Eis, kaum hatte es geschneit, gleich wieder völlig schwarz und verrußt war. Eines Tages kippte eine genervte Eisriesin namens Svára einen besonders großen Eisblock auf den Kamin von Surtur und verstopfte ihn. Sie hatte nämlich einen Putztick und ärgerte sich schon seit Jahrtausenden über den Ruß, hatte aber erst jetzt mitbekommen, wer dafür verantwortlich war. Völlig panisch rannte Surtur in seinem Feuersaal hin und her. Denn durch diesen Schlot schickte er sein Feuerwerk und verkaufte seine Wunderwaffen. Es war sozusagen seine Ladentheke. Nur ein kleines Löchlein führte noch in seine nach Schwefeldampf stinkenden Gemächer. Für die Feuerwaffen viel zu klein. Der ganze Saal würde zusammenstürzen, wenn er durch dieses kleine Loch sein Feuerwerk liefern würde.

Surtur überlegte und überlegte. Aber weil er zwar ein guter Verkäufer, ansonsten aber ziemlich dumm war, fiel ihm gar nichts ein. Wütend stampfte er auf den Boden, so dass die ganze Halle erbebte. Aufgebracht brüllte er unflätige Schimpfwörter an die Wände und die Decke des riesigen Saales. Bums, knallte ihm da doch etwas auf den Kopf, purzelte auf den Boden – aber nichts war zu sehen. Surtur stampfte erneut auf, noch heftiger, da prasselte ein ganzes Dutzend Steine auf seinen Kopf, unsichtbare Steine, die aber verdammt große Beulen hinterließen. Der Feuerriese tastete den Boden ab und sammelte sie auf. Durch einen Zufall hatte Surtur eine Mine mit Hulidshjálmssteinen entdeckt, übrigens die einzige bis heute bekannte Tarnhelmsteinmine überhaupt.

Die nächsten Wochen verbrachte er damit, Steine aus der Wand zu reißen und in kleine Stücke zu schlagen. Endlich hatte Surtur einen riesigen Berg zusammen und verkündete durch das kleine Löchlein im Berg, dass er eine Wunderwaffe konstruiert habe, mit der jeder Krieg zu gewinnen sei. Zuerst raunte er die neue Botschaft in den Norden, sodass die Nordzwerge alsbald zusammenströmten und tausende der unsichtbaren Steine kauften und in ihren Taschen und Einkaufssäcken nach Hause trugen. Dann flüsterte er es in den Süden, und die Südzwerge eilten herbei und kauften so viel, wie sie bekommen konnten. Übrigens war die Währung spitz und kalt; sie bestand nämlich aus leicht gesalzenen Eiszapfen. An denen knabberte nämlich auch der Riese gerne, was ja verständlich ist, wenn man ständig in überheizten Räumen lebt.

Surtur war so süchtig nach diesen Eiszapfen, dass er mehr und mehr davon wollte. Tag und Nacht riss er Steine aus seiner Mine, um sie den Zwergen zu verkaufen. Die Löcher in den Wänden und der Decke seines Riesensaals wurden immer größer, Steine fielen schon aus den Wänden, wenn er nur einen herzhaften Biss in einen Eiszapfen machte. Oben erbebte das Eis, tiefe Spalten taten sich auf. Die Erschütterungen nahmen ständig zu, sodass eines Tages die Nordzwerge dachten, dass die Südzwerge einen Überfall mit ungeheuer gewaltigen Waffen planten. Denn sie wussten ja, dass immer bevor die Feinde in ihr Land kamen, die Erde bebte.

Natürlich dachten die Südzwerge das Gleiche. Der Zwergenkönig des Südens, seine Majestät Oberzwerg Andvari der 248. trommelte seine Untergebenen zusammen, um eine Rede zu halten. Er versammelte sein Volk um einen besonders beeindruckenden Eisblock – der war bläulich, fast durchsichtig und sah aus wie ein riesiger Zwerg. Dann erhob Andvari der 248. seine quietschende Fistelstimme. Leider ist die Rede nicht mehr vollständig überliefert, aber Archäologen konnten zum Glück aus einigen erhalten gebliebenen Runen, die ins ewige Eis des Vatnajökullsgletschers geritzt waren, die Ansprache nach dem neusten Stand der Wissenschaft rekonstruieren:

Meine lieben Mit- und Unterzwerge! Wir hören das Rumoren / Im fernen Süden schon / in unsren feinen Ohren klingt übler Kriegeston / Ja, wollen wir denn warten / Auf unser Feinde Kriegsgetön / In diesem kalten Garten / Wo’s Eis am Zapfen blüht so schön / Nein, lasst uns jetzt marschieren / Heraus aus Müßiggang und Mief / Kommt alle aus den Höhlen / Wir kämpfen präventiv!

Auch die Nordzwerge versammelten sich. Der Zwergenkönig Mjöklitudr der 621. war völlig verrußt, weil er schon siebenundzwanzig Kriege mitgemacht hatte. Er wusch sich übrigens nie, damit jeder an seinen siebenundzwanzig Rußschichten sehen konnte, in wie vielen Kriegen er schon gekämpft hatte. Auf jeden Fall lud König Mjölitudr sein Zwergenvolk zur Diskussion ein. Er war etwas moderner eingestellt als der Südzwerg und gab seiner Zwergenbevölkerung das Gefühl, dass eigentlich sie das Sagen hätte. Er betonte immer, er würde nur das machen, was sie von ihm wollten. Von seinen Diskussionsbeiträgen sind leider nur zwei Strophen erhalten geblieben. Sie wurden von einem Hobbyarchäologen zufällig bei einer Wanderung auf dem Drangajökull als Eisgravur entdeckt und fotografiert. Der Text war in altnordischen Zwergrunen abgefasst, einer Schriftsprache, die heute nicht mehr in Gebrauch ist. Die Entzifferung gelang erst vor wenigen Jahren dem Zwergrunologen Professor Mergl von der neu errichteten Fakultät für Elfenkunde an der Berliner Humboldt-Universität. Inzwischen liegt auch eine deutschsprachige Übersetzung des einzigartigen Dokuments von Altnordwortgenetiker Prof. Dr. Vollmer vor, welche versucht, dem Originalrhythmus und der Taktfolge der Wörter möglichst nahezukommen:

An kalter Küste des kühlen Reiches / Wacht eisern – . . . wer wohl? / Doch dröhnt böse barsches Gebrüll / Sollt fliehen er feige ins schützende Meer? / Nein! meint die Norne / Oh weise Gestrenge / Erlauchte Gerechte / Frierend zieht der Nordzwerg / Der tapfer und tüchtig / Der kühn und köstlich / Gen Süden sein Reich zu schützen / (und haut dem Südzwerg eins / auf die Zwergenmützen)

Die letzten beiden Zeilen sind in Klammern wiedergegeben, weil nicht klar ist, ob sie wirklich aus König Mjölitudr eigener Ritzung stammen. Es gibt Forscher, die der Ansicht sind, sie seien später von jemand anderen zugefügt worden.

Wie dem auch sei, auf jeden Fall waren beide Zwergenvölker bereit zum Kampf, zum vorbeugenden Erstschlag. Und unabhängig voneinander kamen sie auf die gleiche Idee, nämlich die unsichtbaren Steine so zu bearbeiten, dass sie als Schutzhelm oder -schild verwendet werden konnten. Denn obwohl Zwerge für Menschen unsichtbar sind, so können sie sich selbst sehen. Nur diese Steine waren auch für sie unsichtbar.

Als sie ihre ganzen Armeen ausgerüstet hatten, stürmten sie auch schon los: die Nordzwerge in den Süden und die Südzwerge in den Norden, immer dem Lärm nach. Alle waren sehr siegesgewiss, weil sie ja nicht ahnen konnten, dass auch der Gegner die neue Superwaffe, die Hulidshjálmssteine gekauft hatte.

Die Zwerge kamen immer näher an die Behausung des Riesen und seines verstopften Kamins. Irgendwann trafen sie sich auf halbem Wege im Westen, stießen da aufeinander, wo heute die Fródarheidi ist. König Mjöklitudr quietschte: „Zum Angriff!“ Und seine Majestät Andvari kreischte: „Schlagt sie!“ Und dann traten beide Könige etwas zurück, um ihren Truppen den Vortritt zu lassen. Ja, und dann fand eine der merkwürdigsten Schlachten statt, die die Erde je erlebt hat. Die Nordzwerge hauten den Südzwergen mit ihren Schwertern kräftig eins auf den Kopf, aber die Schwerter zersprangen, und die Südzwerge stießen ihre Lanzen mit voller Wucht gegen die Brust der Nordzwerge, aber die Lanzen krümmten sich nur und wurden unbrauchbar. Die ganze Zeit stolperten die Kämpfenden über die heruntergefallenen Helme aus Hulidshjálmsstein und brachen sich dabei noch sämtliche Rippen. Und manche Zwerge fielen sogar über ihre eigenen unsichtbaren Schutzschilder und verrenkten sich sämtliche Gliedmaßen.

Es war ein heilloses Durcheinander, und nach einiger Zeit waren die Kriegsgegner so genervt von der neuen Wunderwaffe, dass sie wutschnaubend wegrannten und ihre Helme und Schutzschilder aus Hulidshjálmsstein auf dem Schlachtfeld liegen ließen. Sie rannten, ohne sich umzuschauen, in alle Himmelsrichtungen, was dazu führte, dass die beiden Zwergenkönige keine Armee mehr hatten und vor Wut auf dem Eis versteinerten.

König Andvari der 248. wird heute Korri genannt, ist mittlerweile immerhin 716 Meter hoch, und der Zwergkönig aus dem Norden, Mjöklitudr der 621., fristet unter dem schlichten Namen Steinahlíd mit 666 Meter Höhe einen beschaulichen Ruhestand. An ihre alten Namen kann sich kaum noch einer erinnern, die meisten Menschen wissen noch nicht einmal, dass es sie überhaupt je gegeben hat.

Auf dem Grunde des Schlachtfeldes in und um den Valavatn findet man heute die Kriegsausrüstung aus den Hulidshjálmssteinen. Nur mit dem Unterschied, dass sie über die Jahrtausende, die sie auf dem abschmelzenden Eis gelegen haben, allmählich sichtbar geworden sind. Ihre alte Kraft können sie nur noch beweisen, wenn man sie berührt.

Der Riese hat sein Geschäft aufgeben müssen, weil seitdem kein Zwerg mehr eine Waffe von ihm gekauft hat, und handelt jetzt mit heißem Wasser aus der Erde. Damit werden heute vor allem die Badeanstalten in Olafsvík und Gardar gespeist. Direkt bezahlt wird er dafür nicht. Aber er darf sich für seine Dienstleistung ab und zu mal einen Eiszapfen vom Dach seines Hauses, dem Snæfellsjökull pflücken. Aber wahrscheinlich gibt’s da bald nicht mehr viel zu ernten.“

Martha hatte die Geschichte zu Ende erzählt, seufzte kurz auf und fügte dann hinzu: „Leider haben Touristen schon sehr viele Hulidshjálmssteine aufgelesen und in alle Welt mitgenommen. Sie zählen nämlich nicht zu den geschützten Gesteinsformationen, die wir hier im Land finden. Zum Glück liegen die meisten Steine im Gefallenensee, dem Valavatn. Und da sind sie schwer herauszuholen.“

Nun, ich wollte natürlich schon ein paar von diesen Steinen mitnehmen, richtig selten sind sie ja auch nicht. Mit Oliver rannte ich also in der Gegend umher, wir hoben Steine auf, und das jeweilige Gegenüber sagte, ob man nun unsichtbar oder sichtbar sei. Nach einer Stunde hatten wir ein paar Hulidshjálmssteine beisammen, und Martha meinte, dass es nun wohl genug sei. Andere wollten ja vielleicht auch noch mal den einen oder anderen Hulidshjálmsstein finden.

Was zu sagen bleibt, ist, dass Oliver vier Hulidhjálmssteine in seinem neu eröffneten Friseursalon in Berlin-Mitte hingestellt hat. Ich selbst habe je einen als eine Art Multiple meinem Tarnhelmsteinbuch in einer Kleinauflage von sechs Exemplaren beigefügt. Es ist deshalb nur in sechs Exemplaren erschienen, weil wir nicht die ganzen archäologischen Artefakte der Zwerge von der Fródárheidi plündern wollten. Vielleicht bauen die Zwerge in Island ja eines Tages ein archäologisches Zwergenmilitärmuseum. Also wenn das der Fall sein sollte, möchte ich Sie, die Käufer oder die Käuferin des Buches, und alle, die bei ihrem Islandaufenthalt einen Stein mitgenommen haben, freundlichst darum bitten, ihn diesem Museum als Dauerleihgabe zur Verfügung zu stellen.

Der „Krieg der Zwerge“ erschien zuerst mit eingefügtem Tarnhelmstein in Wolfgang Müllers Tarnhelmsteinbuch in einer Auflage von sechs Exemplaren jüngst im Hybriden-Verlag Hartmut Andryczuk Berlin.

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