Kein schönes Hobby

Wer Bescheide des Sozialamtes anfechten will, hat schlechte Karten  ■ Von Kaija Kutter

Du hast keine Chance, aber nutze sie. So könnte man die Lage von Hamburgs Sozialhilfeempfängern beschreiben, wenn sie sich gegen Entscheidungen der Ämter wehren wollen. Fall eins: Hans-Dieter Hahn, schwerbehindert im Rollstuhl. Er beantragte im Frühjahr dieses Jahres „Mobilitätshilfen“, damit er seine Wohnung im 1. Stock verlassen kann. Der Antrag auf ein Auto und Gelder zur Bezahlung eines Trägers wurde abgelehnt. Begründung: In Hamburg sollen Behinderte den HVV benutzen. Der habe für sie Niederflurbusse. Für ihn sei dies keine Lösung, weil die Busse nicht flächende-ckend eingesetzt werden, hält der Frührentner entgegen und legte im Juli beim zuständigen Sozialamt im Bezirk Nord Widerspruch ein. Bis heute, so Hahn, habe er davon nichts gehört.

Nicht besser erging es Mehmet Korkmaz*. Weil seine Arbeitslosenhilfe vollständig von der Miete aufgebraucht wird, bezog der Vater von drei minderjährigen Kindern ergänzende Sozialhilfe. Seit September wird ihm dieser Zuschuss verwehrt mit der Begründung, er solle sich um Arbeit bemühen. Die Sachbearbeiter im Sozialamt waren der Ansicht, dass Korkmaz trotz einer kaputten Hand, die das Tragen schwerer Lasten verbietet, jederzeit einen Hilfsjob finden könnte. Seither lebt die Familie nahezu vom Kindergeld allein.

Beide, Hans-Dieter Hahn und Mehmet Korkmaz, fühlen sich um ihr Recht betrogen. Doch ihre Chancen, sich juristisch zu wehren, stehen schlecht. Die Hamburger Anwaltskammer hat keinen einzigen Juristen in der Kartei, der auf Sozialhilferecht spezialisiert ist. „Es ist eine spröde Materie“, sagt Anwalt Joachim Schaller, der gelegentlich auf dem Gebiet arbeitet. Hinzu kommt, dass Sozialhilfeempfänger kein Geld für Anwälte haben. Prozesskostenhilfe wird aber nur gewährt, wenn ein Richter „hinreichende Erfolgs-aussichten“ bestätigt.

Bleibt zunächst der Weg zum Widerspruchsausschuss in den Bezirken, wo je ein Angestellter der Stadt mit zwei ehrenamtlichen Beisitzern die Fälle prüft. Ein Jahr Wartezeit auf die Entscheidung, so Rechtsanwalt Schaller, sei „ziemlich üblich“. Im Bezirk Altona, erklärt der dortige Sprecher Rainer Doleschal, bemüht man sich gerade die Wartezeit von acht auf sechs Monate zu senken. Auch in Eimsbüttel hätten einige Ausschüsse „Rückstände über mehrere Monate“, sagt Heike Heuer vom dortigen Rechtsamt. Man bemühe sich aber schon, so die Juristin, mittels einer Prioritätenliste die „dringlichen Fälle“ vorzuziehen.

Für Mehmet Korkmaz und seine Familie ist die Sache dringlich. Drei Wochen nach Einreichen seines Widerspruchs hatte er vom zuständigen Eimsbütteler Rechtsamt nichts gehört. Der ehemalige Maschinenführer holte sich Rat in einer Schnelsener Beratungsstelle. Mit Hilfe einer Sozialarbeiterin stellte er einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht (VG). Die VG-Juristen können, wenn sie es denn für richtig halten, das Sozialamt zwingen, das Geld an die Familie auszuzahlen.

Doch Rechtsanwalt Schaller warnt hier vor übertriebenen Hoffnungen: „Das ist kein leicht gangbarer Weg“. Seit das Oberverwaltungsgericht im Februar 1998 eine neue Grundsatzentscheidung fällte, segnen die Richter meist die Entscheidungen der Sozialämter ab. Es sei, so die Argumentation, selbst für Ungelernte möglich, innerhalb kürzester Zeit einen Job zu finden.

Auch im Fall Korkmaz gebärdet sich das Gericht als verlängerter Arm des Sozialamts. Postwendend erhielt der Kläger vom Verwal-tungsgericht eine Liste mit zehn Leiharbeitsfirmen, bei denen er sich bewerben sollte. Korkmaz stellte sich telefonisch bei jeder einzelnen vor. Ergebnis: Keine war bereit, ihm, der eine kaputte Hand hat, wenig deutsch spricht und ungelernt ist, einen Job zu geben. Mit Hilfe der Sozialarbeiterin verfasste er einen Schriftsatz, in dem er dies mitteilte. Anwort des Gerichts: „Das Gericht vermag nicht zu erkennen, dass Sie im Bereich des Reinigungsgewerbes nicht in der Lage sein sollten, einen Volltags-Arbeitsplatz zu finden.“ Dem Schreiben, aus dem für juristische Laien nicht hervorgeht, ob das Gericht bereits eine Entscheidung getroffen hat, waren Stellungnahmen des Bezirksamts angeheftet. Spitzfindige Anmerkung der Sachbearbeiter: „Nicht zuletzt die Tatsache, dass der Hilfeempfänger immer noch ohne ausreichendes Einkommen ist, zeigt, daß er sich nicht ausreichend bemüht“. Korkmaz wird, das ergibt ein Anruf bei Gericht, in den nächsten Tagen weitere Briefe mit Stellenanzeigen bekommen. Satt werden seine Kinder davon nicht.

In 90 Prozent der Fälle, so schätzt Bezirksjuristin Heike Heuer, bestätige das Gericht die Entscheidungen der Sozialämter. Ebenso häufig würden die bezirklichen Widerspruchsausschüsse die Entscheidungen der Sachbearbeiter absegnen. Heuer schlägt deshalb vor, Gebühren von fünf bis zehn Mark für Widersprüche von Sozialhilfeempfängern zu erheben, damit die „Flut von Fällen“, die offenkundig aussichtslos seien, zurückgeht.

Für Rechtsanwalt Schaller der falsche Weg: Die geringe Erfolgsquote könne kein Grund sein, die bundesgesetzlich vorgeschriebene Gebührenfreiheit abzuschaffen, hält er entgegen. Es sei unsäglich genug, dass manche Rechtsämter an Sozialhilfeempfänger Briefe mit dem irrigen Hinweis verschicken, man sei bereit, das Verfahren „kostenfrei einzustellen“.

„Dass Sozialhilfeempfänger Widersprüche als Hobby betreiben, ist ein Märchen“, hält auch Dirk Hauer, Sozialreferent der Bürger-schaftsgruppe Regenbogen entgegen. Regenbogen will statt dessen die Bewilligungspraxis der Ämter, die auch auf Sparvorgaben der Stadt zurückgehe, in der Bürgerschaft zur Diskussion stellen. Eine Debatte, vor der Hauer graut, „weil die anderen Abgeordneten auf dieses Thema keine Lust haben“.

Ein Eindruck, den auch Hans-Dieter Hahn bekam. Im Gefühl, dem Bezirksamt ausgeliefert zu sein - er hatte vom Widerspruchsausschuss weder Telefonnummer noch Adresse - richtete er im Oktober einen Hilferuf an den Petitionsausschuss der Bürgerschaft, der möge ihm sagen, wo er beraten werden kann. Bis auf eine Empfangsbestätigung, so Hahn, erhielt er auch darauf keine Antwort. Immerhin verspricht das Bezirksamt Nord auf Nachfrage der taz hamburg, der Fall werde im neuen Jahr zum Widerspruchsausschuss kommen. Das seien „normale Zeitabläufe“, erklärt Bezirkssprecher Peter Hansen. Die Sache sei „noch relativ frisch“.

*Name geändert