Windkraft: das große Flattern in der Nordsee

■ Windkraft an Land ist tot – es lebe die Windkraft auf See! Planungen von Off-shore Windkraftanlagen boomen an der deutschen Küste / Ob diese ökologisch und wirtschaftlich sinnvoll sind – diese Antwort weiß ganz allein der Wind

„Windparks auf See sind ein sicheres Geschäft“, zumindest darüber ist sich Heinrich Duden, Planer von Windkraftanlagen auf hoher See bei der Bremer Firma Energiekontor, sicher. Über 400 Stahlgiganten von etwa 100 Meter Nabenhöhe und 110 Meter Rotorendurchmesser mit einer Energieleistung von je 2,5 Megawatt will er vor die ostfriesische Nordseeinsel Borkum und in die Wesermündung pflanzen. Für die Leeraner Windanlagen-Planer Prokon sind das Peanuts. Prokon kalkuliert mit über 200 Anlagen mit doppelter Leistung ebenfalls vor Borkum.

Diese Anlagen gibt es zur Zeit nur in Form von zwei unbrauchbaren Versuchsmühlen. Laut Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSA) in Hamburg liegen acht Anträge für Windparks zwischen 200 und 600 Rotoren allein für die Nordsee außerhalb der Zwölf-Meilenzone vor. Projektplanungen gibt es aber weit mehr. Dagegen warnt das Bundesamt für Naturschutz (BfN): „Da wird vor die gesamte Nordseeküste eine Barriere von Windmühlen gesetzt“, so BfN-Mitarbeiter Thomas Merk.

Die Gründe für den „Windrausch“ liegen auf der Hand: „Hohe Leistungsdichte, effiziente Stromausbeute, bei gleicher Fläche größere Maschinen, das bedeutet mehr Strom als an Land“, erklärt Duden vom Energiekontor. Argumente gegen Windanlagen an Land – zu hoher Landschaftsverbrauch, zu hohe Lärmbelastung, Zerstörung des Landschaftsbildes, zu wenig Effizienz – entfallen weitgehend auf See, meint Duden. „Off-shore-Windkraft ist ein Baustein, der unsere Energieprobleme der Zukunft lösen kann“, meint auch Prokon-Geschäftsführer Ingo de Buhr aus Leer. Beide liefern sich 45 Kilometer vor Borkum ein Wettrennen um den ersten deutschen Off-shore-Windpark.

„Unser zukünftiges Energiekonzept setzt auf drei Dinge: Energiesparen, bessere Energienutzung und Förderung der regenerativen Energieproduktion“, gibt die grüne Staatssekretärin im Bundesministerium für Umwelt, die Auricherin Gila Altmann, Rückendeckung. Und weiter: „Wer für den Ausstieg aus der Atomenergie ist, der muss klar sagen, woher der Strom für unsere industriell hochentwickelte Gesellschaft kommen soll.“ Trotz des Scheiterns der Haager Umweltkonferenz im November hofft Altmann auf die Reduzierung der Kohlenmonoxid-Emission in Deutschland. Immerhin spart ein Windpark von 200 Zwei-Megawatt-Anlagen jährlich sieben Millionen Tonnen des Ozonkillers. Eine andere Rechnung geht dagegen nicht auf. Anfangs frohlockten die Betreiber, ein Off-shore Windpark mit 200 Anlagen von 4,5 Megawatt-Maschinen ersetze ein Atomkraftwerk. Dabei gehen die kühnen Rechner von der tatsächlichen Leistung eines AKWs aus (70 Prozent seiner installierten Leistung), nehmen aber den Wert der installierten Leistung des Off-shore Windparkes. Tatsächlich produzieren die Meeresmühlen nur knapp 30 Prozent.

Nach Inkrafttreten des Erneuerbare-Energie-Gesetzes im April 2000 ist Windenergie politisch gewollt und wird mit einem garantierten Festabnahmepreis von 17,8 Pfennig pro Kilowattstunde subventioniert. Trotz aller Energiespar-Appelle und einem von Experten geschätzten Energieeinsparungspotenzial von fast 40 Prozent steigt in Deutschland der jährliche Stromverbrauch und der Strompreis. Zur Zeit macht Windenergie in Deutschland knapp zwei Prozent der gesamten Energieproduktion aus. Bis 2010 soll der Windanteil auf sechs Prozent gepuscht werden. Ohne Off-shore Anlagen ist das nicht zu schaffen. Zum Vergleich: Dänemark will bis 2030 die Hälfte seines Stromaufkommens durch Off-shore Anlagen decken.

Die Planung von Off-shore Windkraft in Deutschland bedeutet technisches, biologisches, nautisches und ökonomisches Neuland. Zwar exportiert die Bremer Firma AN Windenergie gerade 20 Zwei-Megawatt-Windmühlen nach Dänemark für einen Off-shore-Park vor Kopenhagen. Die zur Zeit meist installierten Anlagen leisten 1,8 Megawatt. Stärkere Anlagen sind entweder in Prototypen in der Testphase oder drehen sich in den Träumen leidenschaftlicher Ingenieure. „Allein der Transport dieser Mühlen ist eine technische Herausforderung“, meint Henry Seifert vom Deutschen Institut für Windkraft in Wilhelmshaven.

Alle technischen Fragen von Montage bis Transport von Fünf-Megawatt-Mühlen sind offen. Interpretiert man Aloys Wobben, den Chef von Deutschlands größtem Windanlagenbauer Enercon in Aurich richtig, dann wird sich in der Jade 2002 ein Prototyp einer 4,5 Megawatt-Anlage dehen und 2003 die ersten zwölf Pilotmühlen vor Borkum. Allerdings hält sich Enercon mit detaillierten Auskünften gegenüber der taz bedeckt. Zufällig decken sich die Pläne der Mühlenbauer mit dem Antrag von Windparkplaner Prokon auf einen Pilotpark von zwölf Anlagen vor Borkum. Eine Windehe?

Das Bremer Energiekontor möchte mit mindestens 160 2,5-Megawatt-Anlagen ebenfalls vor Borkum beginnen. „Eine Pilotanlage baut man, um relevante Daten über die Auswirkungen solcher Parks zu bekommen. Je kleiner ich eine Pilotanlage baue, desto weniger Aussagekraft haben die Forschungsergebnisse“, stichelt Duden vom Energiekontor. Duden spart sich Feldforschung vorab. Anders dagegen Prokon. In ihrem Auftrag schippern renommierte Institute vor Borkum und sammeln Grundlagendaten über die Meeresfauna. Diese Daten sind eigentlich für die Genehmigung eines Windparks auf See unerlässlich. Es gibt sie aber in der notwendigen Breite nicht.

„Ein Witz. Es gibt keine Raumplanung für die Nordsee“, schimpft Nadia Ziebarth von der Aktionskonferenz Nordsee (AKN). „Kein Windpark ohne vorherige Grundlagenforschung“, fordern zwar Naturschutzverbände wie WWF oder Greenpeace. Doch die Umweltverbände sind sich nicht einig. Sven Teske von Greenpeace: „Wir setzen auf Windanlagen in der Nordsee.“

„Wir können als Behörde die Grundlagenforschungen in dem notwendigen Umfang aus Kostengründen gar nicht machen“, befürchtet Thomas Merk vom Bundesamt für Naturschutz. So hat Betreiber Prokon selbst Forscherteams auf See geschickt. Die sammeln die Daten, die die Voraussetzung für die Genehmigung ihrer eigenen Windparks sind. „Unmöglich“, schimpft Ziebarth von der Bremer Aktionskonferenz.

Zu untersuchen gibt es eine Menge. „Wir müssen davon ausgehen, dass die Windmühlen eine erhebliche Beeinträchtigung der Natur zur Folge haben“, so Merk vom Bundesamt für Naturschutz. Werden die jährlich etwa zehn Millionen Zugvögel von den Riesenmühlen abgeschreckt? Wie reagieren die hier lebenden Vögel auf die Mühlenbarriere? Macht der Schall und die Vibration, die tief in den Meeresboden übertragen werden, Fische und Meeresäuger orientierungslos? Verschwinden die ohnehin lichten Fischschwärme? Nichts genaues weiß man nicht.

Dirk Sander aus Neßmersiel, Sprecher der 110 Küstenfischer an der ostfriesischen Küste, krempelt die Ärmel auf: „Was fällt euch eigentlich ein“, ging er Prokon auf einer Veranstaltung in Aurich an. „Wie kommt ihr dazu, uns unsere Fischgründe wegzunehmen“, schimpfte der Fischer. Den Fischern droht in der Tat Übles. In den Windparks ist Fischen verboten. Immerhin belegt ein Windpark mit 200 Mühlen 100 Quadartkilometer. „Was ist für die Fischer wichtig, Fläche oder Fisch“, hält Ingo de Buhr dagegen. „Nach unseren Untersuchungen fischen die Küstenfischer gar nicht in unserem Planungsgebiet“, behauptet der Leeraner Windparkplaner. Dirk Sander: „Natürlich sind wir da. Wer weiß heute schon, wer alles wie viele Windparks auf See bauen will. Jeder Park ist eine Gefahr für unsere Sicherheit.“

Damit berührt Sander ein heikles Thema. Für die Sicherheit und den Seeschiffsverkehr an der ostfriesischen Küste ist die Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord-West in Aurich zuständig. „Der Schiffsverkehr darf nicht beeinträchtigt werden“, heißt es aus Aurich.

Immerhin verlaufen vor der niedersächsischen Küste zwei der befahrensten Verkehrstrennungsgebiete der Welt mit 60.000 Schiffsbewegungen pro Jahr. Zwar hat eine interministerielle Arbeitsgruppe einen Abstand zwischen Windparks und Wasserstraßen von zwei Seemeilen festgelegt. Das sei aber zu wenig, meint die Bundeswehr. „Die geplanten Windparks sind eine Bedrohung für die Schifffahrt und provozieren Ölkatastrophen vor der Küste“, gutachtete Fregattenkaptiän Holger Nikoleisen für die Wehrbereichsverwaltung in Hannover (vgl. taz vom 6.12.2000). All dies sollte eigentlich durch eine Studie des Germanischen Lloyd schon längst geklärt sein. Ist es aber nicht. Nach Aussage des Lloyd wird die Studie erst Anfang 2001 vorliegen.

Auch die Inseln schimpfen mit den Off-Shore-Planern. „Unvorstellbar, dass unsere Gäste statt des Sonnenuntergangs am weiten Horizont plötzlich eine Kette von Windmühlen anstarren müssen“, wettert Ludwig Salverius, stellvertretender Stadtdirektor von Norderney.

Drei Milliarden Mark will sich Prokon den endgültigen Ausbau seines Parkes kosten lassen. Sollte die Nordsee als Stromproduzent erschlossen werden, dann bahnt sich hier die größte zivile Projektinvestition der Nachkriegszeit an. Für die kleinen und mittleren Planerfirmen eine Nummer zu groß, vermuten Branchenkenner. Große Stromkonzerne halten sich mit Beteiligungen an dem Energie-Projekt noch zurück. Zu unsicher sind die technischen und rechtlichen Grundlagen. „Wir engagieren uns nicht, wir beobachten nur“, teilt ein Sprecher des Stromriesen e-on lapidar der taz mit. Schlucken können sie den Seewind ja auch später noch.

Thomas Schumacher