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59.800 Firmen ohne Schuld

Erst 200 Berliner Betriebe beteiligen sich am Fonds zur Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter. Dabei sind alle 60.000 Firmen dazu aufgerufen – egal, ob sie Zwangsarbeiter hatten oder nicht

von RICHARD ROTHER

Berliner Unternehmen beteiligen sich nur zögerlich am Entschädigungsfonds für NS-Zwangsarbeiter. Nach mehr als einem Jahr öffentlicher Diskussion sind zwar über 200 Firmen aus der Hauptstadt dem Fonds beigetreten. Allerdings kommen nach Angaben der Industrie- und Handelskammer (IHK) bis zu 60.000 Unternehmen dafür in Frage. Denn der Aufruf zur Teilnahme am Entschädigungsfonds beschränkt sich nicht nur auf Firmen, die während der NS-Zeit Zwangsarbeiter beschäftigten. Das betonte gestern erneut der Chef des Deutschen Industrie- und Handelstages, Hans Peter Stihl: „Es geht nicht um Schuld oder Nichtschuld“.

Viele der Berliner Firmen, die bisher dem Fonds beigetreten sind, haben keine NS-Vergangenheit. Diese Unternehmen, darunter Buchbinder, Apotheker, Startup-Firmen, Wohnungsbaugenossenschaften und Verlage, sind erst nach 1945 gegründet worden. Sie zahlen in der Regel ein Tausendstel ihres Jahresumsatzes in den Fonds. Die Auszahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter sollen zu Jahresbeginn starten; noch fehlen aber rund 1,5 Milliarden Mark im Fonds.

Die Wirtschaft trage insgesamt eine Verantwortung, sagt IHK-Sprecher Gerhardt Buchholz. Im März hatte die IHK alle Berliner Unternehmen direkt aufgefordert, dem Fonds beizutreten. In Anbetracht der Anfangsschwierigkeiten sei das bisher Erreichte eine „positive Zwischenbilanz“, so Buchholz. „Aber wir müssen das Thema am Köcheln halten.“

Vor einem Jahr allerdings wurde in Berlin nicht einmal auf Sparflamme gekocht. Gerade mal drei Unternehmen – Schering, die Bewag und die Bankgesellschaft – hatten sich zu ihrer historischen Verantwortung bekannt. Ende Januar hatte das American Jewish Committee (AJC) in Zusammenarbeit mit der Berliner Geschichtswerkstatt eine Liste von 78 Berliner Unternehmen herausgegeben (taz dokumentierte), die Zwangsarbeiter beschäftigt haben sollen. Dem AJC ging es dabei nicht darum, ob ein Unternehmen tatsächlich der juristische Rechtsnachfolger eines Betriebes war, in dem Zwangsarbeiter schuften mussten. Eine Namens-, Standort- oder Produktkontinuität sei entscheidend, so das AJC.

Erst nach der Veröffentlichung in verschiedenen Berliner Medien kam Bewegung in die festgefahrene Situation. Unternehmen, die auf der Liste standen, traten nach und nach dem Fonds bei. Mittlerweile ist ein Großteil der im Januar genannten Firmen dabei: darunter zum Beispiel die Heinkel Systemservice GmbH, die Schultheiss-Brauerei, die Admos Gleitlager Produktions- und Vertriebs-GmbH, die Deutsche Eisenhandel AG, die Deutschen Telefonwerke AG (DeTeWE), die Hermann Noack Bildgießerei, die Karl Albrecht AG, die Graphischer Maschinenbau GmbH, die Hasse & Wrede GmbH, die NILES Werkzeugmaschinen GmbH, die Weissensee Druckguss GmbH.

Allerdings gibt es immer noch Unternehmen, deren Vorgänger nach AJC-Angaben Zwangsarbeiter beschäftigt haben sollen und die der Stiftungsinitiative noch nicht beigetreten sind. Dazu zählen unter anderem die Berliner Bürgerbräu GmbH, die Bestahl GmbH, die Gustav Schwarz GmbH, die EAW Relaistechnik GmbH, die FATH GmbH, die Hackelöer-Köbbinghoff Mechanische Werkstätten GmbH, die Klüssendorf Produkt und Vertriebs GmbH, die Wiking-Modellbau GmbH & Co KG, die Sachse Co. GmbH.

Nach Angaben von Historikern war Berlin eine Hochburg der Zwangsarbeiterausbeutung. Hunderttausende mussten in den Betrieben der Reichshauptstadt schuften, etliche auch in den öffentlichen Betrieben. Nach einer fast einjährigen internen Diskussion haben sich erst kurz vor Weihnachten die landeseigenen Versorgungsunternehmen wie BVG, BSR und die Wasserbetriebe dazu durchgerungen, dem Fonds mit einer Summe von insgesamt 4 Millionen Mark beizutreten. Gemessen am Umsatz ist das wesentlich weniger als üblich. „Das ist eine symbolische Geste“, sagt Michael Wehran, Sprecher der Wirtschaftsverwaltung. Der Bund beteilige sich bereits mit 5 Milliarden Mark am Fonds.

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