: „Die genießen das Lösegeld“
Der südphilippinische Friedensvermittler Eliseo Mercado zieht Bilanz der Geiselkrise
taz: Nach der Freilassung der letzten ausländischen Geiseln, die Ostermontag auf der malaysischen Ferieninsel Sipadan gekidnappt worden waren, startete die philippinische Armee im September eine Offensive gegen die Rebellen und Entführer der Abu-Sayyaf-Gruppe. Mit welchem Ergebnis?
Eliseo Mercado: Die Offensive der Armee, die mehr eine Invasion war, hat zu keiner Lösung geführt. Beim Durchkämmen der Insel wurden weder Führer der Abu Sayyaf noch Kämpfer gefangen genommen. Über die Zahl der Toten, die der Invasion der Insel zum Opfer fielen, gibt es keine genauen Angaben. Die Zahl der Vertriebenen erreicht laut Sozialministerium 80.000.
Abu Sayyaf hat mit dem Lösegeld bis zu 2.000 neue Kämpfer rekrutiert. Was machen die?
Nach den Lösegeldzahlungen hat sich Abu Sayyaf in Luft aufgelöst. Viele ihrer Anhänger sind ins zivile Leben zurückgekehrt, die Führer sind geflohen. Ich nehme an, sie genießen das Lösegeld, das sie erpresst haben.
Einige Lösegelder wurden als „Entwicklungshilfe“ deklariert. Kennen Sie Entwicklungsprojekte in muslimischen Gebieten, die in Verbindung zur Geiselkrise stehen könnten?
Da ist nichts feststellbar. Das Lösegeld wurde direkt an Abu Sayyaf gezahlt, und es gibt Gerüchte, dass Regierungsangehörige und hohe Militärs Anteile bekamen. „Entwicklungshilfe“ ist eine Sprachregelung, die verschleiern soll, dass Terroristen Lösegeld gezahlt wurde.
Mit dem US-Amerikaner Jeffrey Schilling und dem philippinischen Tauchlehrer Roland Ullah sind noch immer zwei Geiseln in der Hand der Abu Sayyaf. Was wird zu ihrer Freilassung unternommen?
Gar nichts. Auf den Philippinen ist es wegen der Krise in der Führung des Landes zu einem Stillstand gekommen.
Niemand ist am Schicksal der beiden Geiseln interessiert?
Man sagt, der Filipino werde verdächtigt, Partner von Abu Sayyaf zu sein. Der Amerikaner ging freiwillig zu Abu Sayyaf und ist mit einer Frau verheiratet, die Schwester und Nichte hoher Abu-Sayyaf-Führer ist.
Wie ist die Situation im Konflikt zwischen Armee und der Moro Islamic Liberation Front (MILF), der größten muslimischen Guerilla in Mindanao?
Der Krieg gegen die MILF hat zu keinem Ergebnis geführt. Die Armee führt eine Art Stellungskrieg, in dem sie von der MILF immer wieder belästigt wird.
Was heißt das für die Zivilbevölkerung?
Nach Angaben des Sozialministeriums gab es über 500.000 Flüchtlinge. Einige sind zurückgekehrt oder wurden in Umsiedlungszentren angesiedelt. Momentan sind um die 20.000 Familien in Flüchlingslagern, also etwa 120.000 Personen.
Wer hat von der Geiselnahme insgesamt profitiert und wer verloren?
Verlierer sind die philippinischen Muslime und die gesamte philippinische Nation. Gewinner sind die Terroristen, das philippinische Militär und die philipinische Regierung – eine interessante Kombination!
Ist eine Lösung der Krise auf den Südphilippinen in Sicht?
Nicht in naher Zukunft. Dazu müssten beide Seiten an den Verhandlungstisch zurückkehren, wozu es eines neuen Klimas bedarf, einer neuen Regierung und mehr Flexibilität von Seiten der MILF. INTERVIEW: SVEN HANSEN
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