„Ich glaube, der Kai wird die Themen finden“

Leser und Auflage gewinnt die „Bild“ nur mit Kampagnen – etwa zum Benzinpreis und beim Thema Zuwanderung, meint der frühere Chefredakteur Hans-Hermann Tiedje. Diekmann hat in seinen Augen das Zeug dazu. Ein Ultra-Organ werde „Bild“ darum noch lange nicht

taz: „Bild“ bringt es nach langem Sinkflug noch auf 4,48 Millionen Exemplare täglich. Der neue Chefredakteur Kai Diekmann muss vor allem Auflage machen. Ihr Ratschlag?

Hans-Hermann Tiedje: Der Job ist definitiv das Komplizierteste, was es im deutschen Journalismus gibt. Es ist viel einfacher, die Frankfurter Rundschau zu machen als die Bild-Zeitung. Früher haben Serien Auflage gebracht, in den 80ern Society-Themen. Jetzt können Sie Leser nur noch mit Kampagnen mobilisieren.

Politischen Kampagnen?

Ja klar. Bild ist einzigartig darin, zu erspüren, was der Leser denkt – und wenn der Chefredakteur gut ist, kann er der öffentlichen Diskussion einen Dreh, einen Kick geben.

Unter ihrem bisherigen Chef war die Bild eher friedlich.

Der von mir sehr geschätzte Udo Röbel ist von seiner ganzen Wesensart eher nicht so ein Kampagnenmann. Da hat der Kai sicher einen anderen Zugang.

Das heißt, Rot-Grün muss sich auf Gegenwind einstellen?

Es gibt die Themen, und ich glaube, der Kai wird sie finden.

Was läuft besser: Schröder, der Anti-Kanzler, oder Schröder, der Held der Machtworte?

Beides zeigt Wirkung. Wir haben einen sehr telegenen Fernsehkanzler, der seine Position meistens der jeweils vorherrschenden Meinung anpasst. Und Bild macht Meinung – weil Bild das einzige Organ ist, das kampagnenfähig ist.

Bei welchen Themen ist Rot-Grün verwundbar?

Bei der Ökosteuer zum Beispiel: Im Januar kommt die nächste Stufe. Dann kann jeder es jeden Tag an der Tankstelle sehen, wenn ihm die 2,04 Mark entgegenleuchten. Und da schwindelt die Regierung, wenn sie das auf die Scheichs oder die Norweger schiebt. Das steigt, weil der Trittin es will. Oder nehmen Sie das Thema Rente. Damit kann man Wahlen verlieren – denn bei der CDU war die Rente sicher. Und dann gibt’s noch die Zuwanderung: Da reden wir nicht vom Pizzabäcker um die Ecke. Jede Ausländerfeindlichkeit verbietet sich, aber nicht die Diskussion um Zuwanderung. Der Koch in Hessen hat damit eine Wahl gewonnen.

Klingt wie ein strammer Marsch nach rechts.

Nein, Bild wird kein Ultra-Blatt. Kai Diekmann wird mit Sicherheit nicht zwei Jahre eine Kampagne gegen die Bundesregierung fahren. Die Zeiten, wo ganze Blätter instrumentalisiert wurden, sind lange vorbei. Wer ein Blatt missbraucht, den bestraft der Leser. Das weiß auch Kai Diekmann.

Die CDU könnte ein bisschen Unterstützung brauchen.

Bild ist nicht dazu da, Opposition zu machen. Wenn Frau Merkel das nicht kann, warum soll das die Bild-Zeitung übernehmen? Dann wird Frau Merkel halt die nächste Wahl verlieren und danach sieht man weiter.

Und wenn Gerhard Schröder Fehler macht?

Wenn er in der Ausländerpolitik nach dem Motto verfährt „Macht hoch die Tür, die Tor’ macht weit“, dann bräuchte es die Bild gar nicht. Da würden der SPD die Wähler ganz von alleine weglaufen.

INTERVIEW: LÖW/PAT