: Der kostenlose Dorn im Auge
In Schweden, dem Versuchsmarkt für Gratistageszeitungen, beginnt das große Sterben: Die „Stockholm News“ scheiterte an ihren eigenen Ansprüchen. Heute erscheint die letzte Ausgabe, 150 Mitarbeiter stehen auf der Straße
STOCKHOLM taz ■ Entweicht die Luft aus dem Markt der Gratistageszeitungen? In Stockholm war das Konzept vor einigen Jahren geboren worden, die schwedische Hauptstadt war auch das Versuchsfeld für abgeänderte Aufgüsse des gewinnträchtigen Rezepts geworden. Und hier platzte am Mittwoch eines der mit den größten Vorabambitionen gestarteten Projekte dieses Genres: Sie, die einmal das tägliche Gratisblatt mit Niveau werden wollte, Stockholm News, gab nach nicht einmal vier Monaten auf. Heute erscheint die letzte Ausgabe.
Hoch war die selbst gelegte Messlatte des Neukömmlings gewesen. Metro, dem Vorbild aller täglich verteilten Gratisblätter und der mit dem größten ökonomischen Erfolg, sollte auf dem Heimatmarkt Paroli geboten werden. Mit gleichem Konzept und journalistischen Edelfedern. Die in den letzten Wochen schnell das sinkende Schiff wieder verließen. Gestartet Anfang September war bereits zwei Monate später das Startkapital von umgerechnet rund 15 Millionen Mark verbraucht.
Die AnzeigenkundInnen sahen keinen Grund, den erfolgreichen Werbeträger Metro zugunsten einer auflagenschwächeren Nachahmung aufzugeben. Die noch dazu ihr journalistisches Qualitätskonzept nicht einmal ansatzweise verwirklichen konnte.
Zwischen der Werbung war letztendlich doch nur vorwiegend Platz für kurzen Tickersalat, in dem die teuer produzierten eigenen Texte untergingen. Und für den Zwitter, der so entstand, waren offenbar zumindest die die Treppen zur U-Bahn hinabeilenden Pendler nicht die passende Zielgruppe.
Man suchte bei Stockholm News händeringend nach einem Retter. Und fand ihn zunächst im November in den Niederlanden in Gestalt des Verlags des De Telegraaf. Für ein Jahr sollte die frische Kapitalspritze aus Holland eigentlich reichen. Doch sie war nach sieben Wochen verpulvert. Und mehr wollte De Telegraaf in das Fass ohne Boden nicht schütten – weil die Niederländer mit ihrer Investition ohnehin nur gegen die holländische Ausgabe von Metro agierten. Die war dem Telegraaf zwar schon lange ein Dorn im Auge, rechtfertigte aber aber nicht den finanziellen Aufwand. Womit nur noch blieb, den Verlustträger so schnell wie möglich einzustellen.
Mit dem Ausblasen des Lebenslichts für Stockholm News – nachdem man wenigstens noch die Krümel des weihnachtlichen Anzeigengeschäfts mitgenommen hatte – verlieren nicht nur 50 redaktionelle MitarbeiterInnen über Nacht ihren Job, sondern auch über 100 Leute, die für 15 Mark Stundenlohn die Zeitung am frühen Nachmittag in der Stadt verteilten. Erste Umfragen unter Stockholmer GratiszeitungskonsumentInnen signalisierten keine Wehmut über den Verlust: Drei Gratisblätter seien sowieso zu viel und ein eher lästiger Papierwust gewesen. Stockholm News war offenbar die am wenigsten geschätzte, sie war mit 145.000 auch die auflagenschwächste.
Von den beiden, die jetzt übrig bleiben, könnte bald Metro wieder der einzige lachende Überlebende des kostspieligen Medienexperiments werden. Everyday, die Konkurrenz aus dem eigenen Haus, war nur gegründet worden, um, einen Tag vor Stockholm News mit einem Überraschungscoup auf den Markt geworfen, dieser von vorneherein Anzeigengeschäft und LeserInneninteresse abzugraben. Da ansonsten ein Verlustgeschäft, hat das Blatt nach dem Ausscheiden der Stockholm News wohl ebenfalls seine Schuldigkeit getan. Und dessen MitarbeiterInnen selbstverständlich auch.
REINHARD WOLFF
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