: Auf ein Wiedersehn im nächsten Jahr
Viel ist den Politikern der Stadt nicht geblieben, worüber sie noch zu entscheiden hätten. Und auch wo nichts beschlossen werden kann oder sollte, diskutieren Berlins Politiker unermüdlich. Manche Themen verfolgen uns schon seit einem Jahrzehnt, und sie werden uns 2001 gewiss erhalten bleiben
von RALPH BOLLMANN
Eine Stadt im Wandel? Abbruch, Aufbruch, neue Trends? Das ist das Bild von Berlin, das die lokalen Politiker gern zeichnen. Damit haben sie nicht Unrecht. Das Dumme ist nur: Daran haben sie selbst so gut wie keinen Anteil. Während draußen das pralle Leben tobt, diskutieren sie über die immer gleichen Themen – ohne irgendetwas zu entscheiden, ja ohne dass es irgendetwas zu entscheiden gäbe. Manche Themen verfolgen uns schon seit einem Jahrzehnt, und sie werden uns 2001 gewiss erhalten bleiben. Damit wir uns die Berichterstattung sparen können, haken wir sie gleich für das ganze Jahr im Voraus ab.
Nur von Ost nach West
Autos, die sich durch die Porta Nigra quetschen? Brummis, die den Arc de Triomphe erzittern lassen? Vespas, die durch den Konstantinsbogen flitzen? Völlig undenkbar! Nur die Berliner halten sich mal wieder für besonders schlau, wenn sie alles anders machen als die anderen: Das Wahrzeichen der deutschen Hauptstadt, das Brandenburger Tor, dürfen die Automobilisten zugrunde richten. Dann muss das 200 Jahre alte Bauwerk zwar dauernd restauriert werden, aber was soll’s – ein Sponsor, den die prominente Werbefläche reizt, wird sich schon finden lassen. Wer gegen diesen Wahnwitz protestiert, der will ja nur die Mauer wiederhaben. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Brandenburger Tor künftig nur durch Fußgänger bevölkert wird“, verkündete der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) erst gestern. Verkehrssenator Peter Strieder (SPD) sieht’s bekanntlich anders, und so bleibt es vermutlich beim kuriosesten aller denkbaren Kompromisse: Von Ost nach West dürfen die Autos durch, in der Gegenrichtung nicht.
Bis zur Fußball-WM ohne
Der nächste Problemfall findet sich nur wenige Meter tiefer: Direkt unter dem Tor sollten – eigentlich – in Kürze die ersten U-Bahnen vom Alexanderplatz zum Lehrter Bahnhof fahren. Daraus wird erst einmal nichts. Jener Teil der Strecke, der durchs neue Regierungsviertel führt, ist zwar schon gebaut – doch der Weiterbau, auf den Diepgen drängt, wird vom Rest der Senatsmannschaft blockiert. Für Verkehrssenator Strieder und Finanzsenator Peter Kurth (CDU) ist der vorläufige Baustopp zum Symbol dafür geworden, dass sich Berlin halt nicht mehr alles leisten kann, was es sich wünschen mag. Außerdem, so fürchtet die selbst ernannte Modernisierer-Riege im Senat, könnten riesige Baugruben das zarte Pflänzlein das Aufschwungs Mitte wieder ersticken. Also sollen die Bagger erst nach der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 wieder anrücken, so die neueste von Strieders ständig wechselnden Terminvorgaben. Ob der Bund nach der übernächsten Bundestagswahl überhaupt noch zahlen will, steht freilich in den Sternen. Wie auch immer: Die Sache mit dem Baustopp hätte sich Berlin auch früher überlegen können. Dann wären einige 100 Millionen Mark weniger in den märkischen Sand gesetzt worden.
Fliegen über der Stadt
Längst ist völlig klar: Bis Schönefeld zum Großflughafen ausgebaut ist, bleiben Tegel und Tempelhof offen. Geht der neue Airport im Jahr 2007 tatsächlich in Betrieb, müssen die anderen beiden sofort geschlossen werden. Alles andere wäre nicht nur unwirtschaftlich, es würde auch das Wachstum von Schönefeld zum internationalen Drehkreuz gefährden. Auch aus rechtlichen Gründen ist es nicht möglich, die beiden City-Airports weiter zu betreiben – sonst wären die neuen Kapazitäten in Schönefeld gar nicht nötig, und die Gerichte könnten die Ausbaupläne stoppen. Obwohl – oder gerade weil – sich daran nichts ändern lässt, hat sich eine Mehrheit in der Berliner CDU, angeführt vom Generalsekretär Ingo Schmitt, geradezu fanatisch in die Vorstellung verbissen, Tegel und Tempelhof müssten offen bleiben. Im November fasste der Parteitag einen entsprechenden Beschluss. Das war eine klare Schlappe für den Regierenden Bürgermeister, aber der lässt sich nicht beeindrucken: „Das ist politisch und juristisch nicht möglich und steht im Widerspruch zum Privatisierungsverfahren.“ Ein kleines Trostpflaster bleibt dem Parteivolk allerdings: Dass in Tempelhof, wie bislang geplant, bereits 2002 das letzte Flugzeug abhebt, wird immer unwahrscheinlicher. Wenn sich die Pannenserie in Schönefeld fortsetzt, ist die ganze Debatte ohnehin überflüssig: Dann bleibt alles, wie es ist.
Alliierte sind schuld
Die Alliierten sind an allem schuld. Weil sie in Berlin mehr zu sagen hatten als andernorts in Deutschland, setzten sie nach dem Krieg das krude deutsche System des Religionsunterrichts außer Kraft. Religion ist in Berliner Schulen – wie ansonsten nur in Bremen – seither Privatsache. Die Berliner CDU würde das gern ändern, musste aber bislang einsehen, dass sich das mit der SPD nicht machen lässt. Schulsenator Klaus Böger (SPD), stets um Begradigung der ideologischen Fronten bemüht, lockte den Koalitionspartner wieder aus der Reserve: Ohne Not brach er eine Debatte über ein Pflichtfach Religion und Ethik vom Zaun. Dabei hätte er wissen müssen, dass sich in Glaubensfragen ein Kompromiss kaum finden lässt. So kam es, wie es kommen musste: Mit erbarmungslosem Fanatismus schlagen die Kontrahenten aufeinander ein. Dabei ist die Frage selbst ohne jeden Belang: Ein paar Ethikstunden bei eilig geschulten Lehrkräften werden Berlins Jugend nicht auf den Pfad der Tugend zurückführen. Ebenso wenig ist freilich zu befürchten, dass der christliche Fundamentalismus – wie Kritiker befürchten – die demokratische Grundordnung untergräbt. „Gedöns“ würde wohl der Kanzler sagen – aber eben eines, das durchaus über ein paar Wählerstimmen entscheiden kann.
Reformen im Papierkorb
Seit der unglückliche Kultursenator Ulrich Roloff-Momin 1993 das Schiller Theater schließen musste, geistert das Gespenst des Bühnentods durch die Berliner Politik. Jetzt gilt es den kulturellen Absturz zu verhindern, und deshalb redet seit sieben Jahren alle Welt von einer Kultur-„Reform“, die niemals kommt. Nach diversen anderen Papieren ist gerade erst der Fusionsplan des neuen Senators Christoph Stölzl in den Papierkorb gewandert. Irgendwie geht es trotzdem weiter: Hier ein paar Milliönchen von der Lotto-Stiftung, dort ein kleines Sümmchen aus der Konkursmasse der Operettenbühne Metropol. Trotzdem schreiben die Feuilletonisten die Berliner Kulturmisere zur Staatskrise hoch. Stölzls Vorgängerin Christa Thoben (CDU) sei daran gescheitert, behaupten sie – dabei lag ihr Konflikt mit CDU-Chef Diepgen eher auf parteipolitischem Gebiet. Dem politisch unbedarften Opportunisten Stölzl wird das nicht passieren, also braucht er sich um sein Amt vorerst nicht zu sorgen. Zittern müssen höchstens die Theater, denn die Achterbahnfahrt wird weitergehen.
Ehevertrag ohne Mitgift
Termine, Termine, Termine: Seit die Länderfusion mit Brandenburg vor vier Jahren in einer Volksabstimmung gescheitert ist, proben die hiesigen Politiker den nächsten Anlauf – und treiben ein Datum nach dem anderen durchs Dorf. Dabei wird die Frage, wie Bürgermeister Diepgen zutreffend feststellte, vorerst weder in Berlin noch in Potsdam entschieden. Seriöse Verhandlungen kann es erst geben, wenn das neue Modell für den Länderfinanzausgleich unter Dach und Fach ist. Denn ohne verlässliches Wissen, welche Mitgift die beiden Partner mitbringen, macht ein Ehevertrag keinen Sinn. Aber keine Sorge: Bis dahin werden die Lokalgrößen noch kräftig über Jahreszahlen schwadronieren. Das erfüllt immerhin eine Funktion – Reformbereitschaft zu beweisen und das Wahlvolk auf die kommende Funktion einzustimmen.
Amateurfilmer am Werk
Wenn er es als eigenen Erfolg verkaufen kann, dann findet sogar Innensenator Eckart Werthebach (CDU), dass die deutsche Hauptstadt ziemlich sicher ist: Die Zahl der Straftaten sinkt – und das, obwohl in der Stadt mit der höchsten Polizeidichte der Republik an jeder Ecke ein Beamter steht, der auch noch den kleinsten Rechtsbruch akribisch festhalten könnte. Bedroht fühlen sich die BerlinerInnen trotzdem. Und zwar vor allem jene, wie die CDU-Strategen zutreffend vermuten, die zum christdemokratischen Wählerpotenzial zählen könnten. Also muss die Partei zeigen, dass Recht und Ordnung ihr am Herzen liegen – und nebenbei den sozialdemokratischen Koalitionspartner in die Klemme bringen. Das Patentrezept: Öffentliche Plätze, die als gefährlich gelten, sollen künftig von Videokameras observiert werden. Dass diese aparte Form der Amateurfilmerei nicht viel bringt, dürfte auch den engagierten Kameraleuten von der CDU klar sein. Schließlich wird kaum jemand so dumm sein, vor laufender Kamera eine Straftat zu begehen – und das gesamte Stadtgebiet flächendeckend auszuspähen, dürfte die Kapazitäten der klammen Landeskasse vollends überfordern. Aber was soll’s: Der gewünschte Zweck ist schon mit der Debatte erreicht, Taten müssen gar nicht folgen. Für Unterhaltung ist also auch im neuen Jahr reichlich gesorgt.
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