berliner szenen: Aus einem Medienhaus
Stimmt nicht!
Ich arbeite in einem Medienhaus. So jedenfalls nennt man diese Gebäude in Berlin-Mitte, in denen haufenweise Konzertagenturen, Webfirmen, Videoproduzenten und Plattenlabels residieren. So jedenfalls nennt man diese Gebäude in Stern, Spiegel, Petra und Praline. Dort ist auch zu lesen, wie kreativ, jung, glücklich und vor allem: communitymäßig man dort „drauf“ ist.
Stimmt alles nicht. In dem Gebäude, in dem ich arbeite, gibt es tatsächlich stapelweise Firmen, manchmal sechs in einem einzigen Büro. Oft haben diese sechs Firmen auch denselben einen Mitarbeiter. Doch das hat weder etwas mit Steuerbetrug noch mit intelligenter Unternehmensgründung zu tun, sondern ist schlicht: nötig. Und bewahrt die Firmen trotzdem nicht davor, dass mal das Telefon oder die Heizung abgestellt wird. Auch sind alle gewaltig kreativ und arbeiten bis in die Nacht – nur scheint es mit dem Glück nicht ganz so zu klappen. Jung sind wir auch nicht.
Und auch das stimmt nicht: das „wir“. Zwar trifft man hie und da Gestalten auf der Treppe, doch ob es Kunden sind oder hier arbeitende Leute oder nur Verirrte, ist nicht zu klären. Wenn sie an der Mülltonne schimpfen, gehören sie im Regelfall zum Haus. Stimmt aber auch nicht immer. Ansonsten begegnet man sich selten. Nicht mal der Postbote findet durch. Er steckt einfach alle Briefe in einen Postkasten. Man nimmt sich seine Post raus und steckt den Rest einen Postkasten weiter. So kommt nach etwa einer Woche alles an. Sollten wir also tatsächlich eine „Community“ darstellen, so nur, da wir alle in diesem Haus sind. Dann allerdings ist jedes Wohnsilo ein Medienhaus. Echt? Cool.
JÖRG SUNDERMEIER
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