Am Drei-Schluchten-Damm gedeiht die Korruption

Chinas größte Infrastrukturmaßnahme wird immer teurer. Sogar Premierminister Zhu Rongji poltert jetzt gegen seine eigene Partei

PEKING taz ■ Schon liegt der drittlängste Strom der Erde nicht mehr in seinem alten Bett, wächst Mischerladung für Mischerladung die größte Staumauer der Welt aus dem Tal des Jangtse empor. Doch noch immer kommt das Drei-Schluchten-Projekt, Chinas teuerste Infrastrukturmaßnahme aller Zeiten, nicht aus den Schlagzeilen. Anfang Mai vorigen Jahres warf eine Hongkonger Zeitung einer staatlichen Baufirma die Veruntreuung von umgerechnet 251 Millionen Mark im Zusammenhang mit dem Jangtse-Projekt vor. Schon vor einem Jahr berichtete die parteinahe Pekinger Wirtschaftszeitung von einem Korruptionsfall, in dem staatliche Ermittler auf den Diebstahl von 122 Millionen Mark stießen, für den etwa hundert Beamte schuldig gesprochen wurden.

Allein die Dokumentation der Korruptionsfälle erstaunt. Selten hat Chinas Öffentlichkeit so viel über die dunklen Geschäfte der Staatsbetriebe erfahren. Noch werden die Projektkosten in der Öffentlichkeit mit 30 Milliarden US-Dollar angegeben. „Aber in Wirklichkeit werden sie eher bei 70 Milliarden liegen“, prophezeit die Journalistin Dai Qing, die als schärfste innerchinesische Kritikerin des Staudamms internationales Renommee erlangt hat.

Doch es ist nicht ihre Kritik, die die jüngsten Staudammskandale ans Licht gebracht hat. Dahinter steht Premierminister Zhu Rongji. Zwei Tage vor Neujahr 1999 besuchte der Regierungschef das erste Mal die Jangtse-Baustelle. „Nicht ein Pfennig darf zu anderen Zwecken als vorgesehen, verwendet werden“, polterte Zhu damals. „Jede Art von Unvorsichtigkeit bei diesem Bau wird Unheil über zukünftige Generationen bringen.“

Als diese Lektion nichts half, legte Zhu ein halbes Jahr später nach: In der Volkszeitung kritisierte er die Vorbereitungen für die Umsiedlung von mehr als einer Million Bauern. Zhu stellte fest, dass das Land, das den Bauern zur Umsiedlung versprochen wurde, zu steil zur Bebauung sei. Er ordnete an, Flächen ab einer Neigung von 25 Grad nicht mehr zu nutzen, um Bodenerosionen zu vermeiden. An diesem Punkt hatte sich der Premier erstmals einem Argument der Staudammgegner ergeben.

Die Enthüllung der zwei Korruptionsskandale in diesem Jahr deutet an, dass Zhu das Thema nicht aufgegeben hat. Seine Kurskorrekturen am Dammprojekt stoßen im Parteiapparat auf entschiedenen Widerstand. Es ist ein alter Kampf: Zhus Vorgänger, der heutige Parlamentspräsident Li Peng, ist der Mann, der mit seinem Namen für den Staudamm einsteht.

Es ist unklar, wer von beiden als Sieger aus den Kämpfen hervorgehen wird. Li hat im höchsten Parteigremium, dem ständigen Ausschuss des Politbüros, einen höheren Rang als Zhu und ist trotz seiner geringeren Stellung als Parlamentspräsident dem Regierungschef nicht unbedingt unterlegen. Solange Li im Politbüro weilt, wird die Partei den Bau am Staudamm fortsetzen. Schließlich sah auch Parteichef Jiang Zemin in dem Projekt den Beweis dafür, dass der Sozialismus dem Kapitalismus darin überlegen ist, die Menschen zu Großtaten anzuleiten. Seither sind drei Jahre vergangen, und da inzwischen mehr Chinesen denn je wissen, welche Großtaten am Jangtse wirklich vollbracht werden, sind auch Massenproteste gegen den Staudamm nicht mehr auszuschließen. Der allgemeine Volkszorn gegen die Korruption könnte hier einen symbolischen Gegenstand finden, an dem er sich entladen kann. GEORG BLUME