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Familienerbe unter Beton

Den Kampf gegen die A 20 haben die Bauern im Süden von Lübeck verloren. Aber jetzt geht es um die Frage, was der Staat ihnen dafür bietet, dass ihre Felder zur Überholspur werden  ■ Von Heike Dierbach

Für Beidendorf ist „dat gröttste Malör“ eingetreten. Sechs Jahre hatten die 110 EinwohnerInnen protestiert, gehofft, gebangt: Wird die Ostseeautobahn A 20 gebaut? Und wenn ja: Führt sie nördlich an Lübeck vorbei, weit weg also, oder südlich, quer durch die malerische Feldflur der „Lübschen Dörfer“? An ihren Reetdachhäusern, ihrem Badesee vorbei? 1998 fiel für die BeidendorferInnen das Urteil: Die A 20 kommt. Durch ihren Vorgarten. Nur 300 Meter trennen das Dorf von der geplanten Autobahn. Das Paradies wird mit 48 Dezibel beschallt. Das ist exakt der zulässige Grenzwert. Ende Januar soll der Planfeststellungsbeschluss stehen.

Herbert Salzmann hätte allen Grund, ein Autobahngegner zu sein. Dennoch ist das heute für den Beidendorfer Landwirt fast ein Schimpfwort. Der 49-Jährige und seine Kollegen Jens Bülau und Hans-Joachim Thorn kämpfen nicht mehr gegen den Beton. Nur noch um eine angemessene Entschädigung dafür, dass ihre Felder darunter verschwinden. Die „Geg-ner“ der Bauern sind die Bundesrepublik Deutschland und das Amt für ländliche Räume Lübeck.

Denn die A 20 frisst nicht nur Stille, sondern auch viel Land. Land, auf dem zur Zeit noch Kühe grasen und Weizen wächst. Mit dem die Bauern ihren Lebensunterhalt erwirtschaften. 148 Hektar – rund 200 Fußballfelder – brauchen Trasse, Auffahrten und Parkplätze in der Feldflur der Dörfer Beidendorf, Niederbüssau, Vorrade und Wulfsdorf. Hinzu kommen 345 Hektar Ausgleichsfläche für den Naturschutz. All dieses Land muss die Bundesrepublik den Lübscher Bauern abkaufen oder gegen gleichwertiges tauschen. Diese Aufgabe übernimmt die „Landgesellschaft“ (LG), eine landeseigene GmbH.

Deren Vertreter „kriechen jetzt hier rum und wollen das Land haben“, sagt Salzmann. Als sie auf seinen Hof kamen, erzählt der Bauer, sagten sie zur Begrüßung: „Ach, bei Ihnen siehts ja auch nicht so schön aus. Wollen Sie nicht alles verkaufen?“ Da hat er sie gleich wieder an die Gartenpforte geschickt und gesagt: „Fangen Sie nochmal neu an.“ Bei seinem Nachbarn habe die LG jeden Morgen um viertel vor acht angerufen: „Haben Sie sich schon entschieden?“ Auch mit Enteignung habe man ihm gedroht. Das kommt schlecht an in Beidendorf, wo nach einer stillschweigenden Übereinkunft der Bauern noch nicht einmal Jagdrechte an Auswärtige verkauft werden. Salzmanns Frau, die den Hof von ihren Eltern geerbt hat, spricht gar nicht mehr mit den LG-Vertretern, weil sie davon Herzprobleme bekomme.

Bei der Landgesellschaft kann man sich überhaupt nicht vorstellen, dass sich Derartiges zugetragen haben soll. „Es gehört zu unserer Unternehmensphilosophie, die Landwirte auch als Kunden zu betrachten“, sagt Sprecher Jörn Stübinger. Die Mitarbeiter seien immer höflich. „Wir machen Geschäfte so, dass man sich auch noch ein zweites Mal sehen kann.“ Und mit Enteignung könne man ja gar nicht drohen, weil darüber staatliche Stellen entscheiden. Allerdings „kommt es auch darauf an, wie man in den Wald hinein ruft“. Mit dem Großteil der Landwirte gebe es keine Probleme: 85 Prozent der Flächen sind schon verkauft.

Für Salzmann, Thorn und Bülau ist der Verlust des Landes bitterer als der der Stille. „Vielen Familien hier gehört ihr Land seit dem Dreißigjährigen Krieg“, sagt Salzmann. Und das soll nun einfach die A 20 erobern? „Man fühlt sich doch verantwortlich, möchte an die nächste Generation weitergeben, was man selbst einmal bekommen hat.“ Bülau könnte von dem Geld, das er für seine Flächen erhielte, bequem leben: „Will ich aber nicht.“ Der 33-Jährige hat sich schließlich auf einen Landtausch eingelassen. Thorn würde am liebsten nur verpachten: „Dann wäre es wenigstens noch mein Land. Und wer weiß, ob wir in 200 Jahren überhaupt noch Autobahnen brauchen...“ Pacht kommt aber für die Bundesrepublik nicht in Frage. „Dann könnte der Eigentümer ja irgendwann eine Schranke auf der A 20 bauen“, sagt Stübinger. Höchstens bei den Ausgleichsflächen könne man darüber reden.

Salzmann und Thorn wollen ja mit sich reden lassen, betonen sie. Die Zeiten der Bürgerinitiativen und Protest-CDs („Eine Dorfgemeinschaft singt gegen die Autobahn“) sind in den lübschen Dörfern vorbei. Die Bauern wollen nicht als Querulanten gelten, „man wird ja gleich in die terroristische Ecke gestellt, dass man die Autobahn verhindern will“, sagt Salzmann. Die A 20, das sehe er ein, müsse sein „in dieser Situation in Deutschland“. Und dass dafür Flächen gebraucht würden. „Aber warum muss ich das Gefühl haben, dass der Staat versucht, mir das Land zu stehlen?“ Denn jetzt geht es ums Geld: Der Bau der A 20 ist ein Geschäft.

Ein Flächentausch mit der LG kam bei Salzmann und Thorn nicht zustande, wofür jede Seite der anderen die Schuld gibt. Jetzt bleibt nur der Verkauf. Die Bauern wollen so viel Entschädigung, dass sie dafür woanders neues Land kaufen können. 3,02 Mark bietet die LG Salzmann pro Quadratmeter Ackerland. Nach Erhebungen des Amtes für ländliche Räume liegen die üblichen Preise in der Region zwischen 3,20 und 3,50 pro Quadratmeter, Tendenz steigend. „Dafür bekomme ich aber keine zusammenhängenden Flächen“, sagt Salzmann, „die kosten oft fünf Mark pro Quadratmeter.“ LG-Sprecher Stübinger verteidigt: „Das Angebot von 3,02 Mark ist fair. Wir haben da nach oben keinen großen Spielraum.“ Bei einem Autobahnbau dächten halt viele Grundbesitzer, „dass man da Geld ziehen kann. Aber das wird nix“. Stübinger kann die Aufregung der Landwirte nicht verstehen: „Es geht doch nur um einen kleinen Teil ihres Besitzes.“

Vier von 54 Hektar Wirtschaftsfläche will die LG von Salzmann für die A 20. Aber das, fürchtet der Bauer, ist erst der Anfang: In der Feldflur sind außerdem der Neubau der B 207, die Erweiterung des Lübecker Flughafens Blankensee und neue Wohn- und Gewerbegebiete geplant. Die wachsende Hansestadt oder die Idylle der „vergessenen lübschen Dörfer“: Für beides wird der Platz irgendwann nicht mehr reichen. Wer weichen muss, ist klar. Zumal die Dörfer keine eigene politische Führung haben: Sie sind offiziell Lübecker Stadtteile. „Das ist die Salamitaktik“, sagt Salzmann, „und irgendwann reicht das Land nicht mehr zum Wirtschaften.“

Aber es ist nicht allein der absolute Flächenverlust, der den Landwirten Sorgen macht: Die A 20 durchschneidet ihren Wirtschaftsraum: Aus einem großen Kornfeld werden zwei kleine, der Weg der Kühe von der Weide zum Stall wird plötzlich von der Autobahn versperrt. Diese Nachteile versucht das Amt für ländliche Räume (AlR) mit einem Flurbereinigungsverfahren „zu beseitigen“. Die Bauern tragen dazu durch eine „Teilnehmergemeinschaft“ (TG) bei.

„Wir haben uns auf das Verfahren eingelassen, um überhaupt mitreden zu können“, erzählt Salzmann. Außerdem erhoffte man sich vom AlR Unterstützung bei den Verhandlungen über den Landverkauf. Doch AlR-Leiter Wolfgang Dugnus widerspricht: „Das ist nicht unsere Aufgabe.“ Flurbereinigung und Straßenbau seien völlig getrennte Verfahren. Auch wenn es für die Bauern um dasselbe Land geht: „Wir können nicht die Vertreter gebündelter Interessen der Landwirte sein. Aufgabe des AlR ist es, die Agrarstruktur zu verbessern.“

Salzmann, Thorn und Bülau fühlen sich jetzt vom Amt verraten: „Hier wird eine kreative Landbevölkerung von unfähigen Behörden kalt gestellt. Letzlich verhindert das AlR den Bau der A 20.“ Die Teilnehmergemeinschaft hat nun in einem Brief die Fraktionen der Lübecker Bürgerschaft gebeten, sich mit ihrem Problem zu befassen. Auch an den Bundeslandwirtschaftsminister haben sie schon geschrieben. Karl-Heinz Funke (SPD) habe „großes Verständnis“ gehabt.

Und wenn sich keine gütliche Einigung findet? Am Ende sitzt der Bund immer am längeren Hebel. Bei einer Enteignung würden die Bauern für ihr Land streng nach Verkehrswert entschädigt. „Gute Staatsbürger“ wollen sie sein, schreiben die Bauern im Credo der Teilnehmergemeinschaft, und „das Gemeinwohl im Auge haben.“ Ob der Staat seinerseits so weit geht, ihn zu enteignen, darauf will Salzmann es notfalls ankommen lassen: „Das wäre für mich keine Schande.“

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