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Vaterlandsverteidiger proben Vereinigung

■ Militante Neonazis wollen am kommenden Sonnabend erneut in Elmshorn marschieren. Rechte Ideologen suchen zeitgleich Plattform für „nationale Sammelbewegung“

Die Stadt Elmshorn ist weiter Ziel neonazistischer Aktivitäten: Nach dem erneuten Anschlag auf das Elmshorner IG Metall-Büro in der vorigen Woche und dem Aufmarsch vom November plant die militante Neonazi-Szene um die Hamburger Neonaziführer Christian Worch und Thomas Wulff für den Samstag abermals einen Marsch durch die Krückaustadt. Besonders im Neonazi-Visier sind die SPD-Bürgermeisterin Brigitte Fronzek und der IG Metall-Chef Uwe Zabel, die mit „kriminellen Antifaschos“ und „gewalttätigen Antifabanden“ eine „organsierte Hetzkampagne gegen die Nationale Opposition“ führten. Das Bündnis „Keine Toleranz den Neonazis in Elmshorn und anderswo“ macht gegen den braunen Mob mobil.

Im Gegensatz zu bisherigen Aktionen in Elmshorn, die vom Pinneberger Neonazi Klemens Otto und seinem Vasall Benjamin Skourup angemeldet worden waren, hat nun Worch höchstpersönlich für den Aufmarsch gezeichnet, um die peinlichen Pannen vom November zu vermeiden. Damals war nur eine stationäre Kundgebung ohne Fa-ckeln, Trommeln und Stiefeln erlaubt worden, die zudem von 1500 Gegendemonstranten übertönt worden war. Der gelernte Anwaltsgehilfe Worch und Ex-Chef der verbotenen „Nationalen Liste“ kann sich hingegen damit brüsten, im vorigen Jahr mehrere Kundgebungen beim Bundesverfassungsgericht (BVG) gegen das Verbot der sogenannten „Systembehörden“ – Polizei und Verwaltungsgerichte – durchgesetzt zu haben. So in Tostedt oder vor dem Hamburger Axel Springer-Verlag. Es ist daher auch diesmal davon auszugehen, dass Worch in der juristischen Auseinandersetzung bis vors BVG gehen wird.

Ungeachtet des Ausgangs rechnet die rechte Szene auch diesmal mit erheblichen Problemen. So hat nicht nur das Bündnis mehrere Demonstrationen angemeldet, darunter um 11 Uhr eine Kundgebung vor der Nikolaikirche, sondern auch andere Antifa-Gruppierungen planen teilweise andernorts Protestaktionen.

Unterdessen bekommen konserverative Kräfte in Elmshorn aufgrund der massiven Provokation der Faschos offenkundig Angst vor ihrer selbstbeschworenen „Zivilcourage“. Die Elmshorner Nachrichten wittern im Kriegsjargon bereits „die Schlacht um Elmshorn“ und plädieren dafür, doch lieber rechte Aufmärsche totzuschweigen. Denn erst als das Bündnis in der 65.000 Einwohner großen Gemeinde aktiv geworden sei – wohlbemerkt nach zahlreichen Übergriffen auf Punks und Ausländer – wäre „die Stadt Zielscheibe rechter Horden“ geworden. Dem Bündis gehören Verbände, Kirchen, Parteien, Unternehmen und Gewerkschaften an.

Zeitgleich, während Worch mit seinen Kohorten durch Elmshorn marschieren will, widmet sich Kamerad Thomas Steiner Wulff auf einem Stategieseminar mit rechter Prominenz der strukturellen Zukunft der „Freien Nationalisten“ und „Kameradschaften“: Hauptthema sind die Perspektiven nach einem möglichen Verbot der Nationaldemokratischen Partei (NPD). Christian Worch – der das inzwischen bundesweit 150 Nationalis-tengruppen umfassende Konstrukt der Freien Kamerdschaften entwickelt hat – sieht diese Problematik in einem Strategiepapier getreu den Liebesgelüsten des Lettischen Schlagersternchens Lena Valaitis eher gelassen: „Ob es so, oder so, oder anders kommt, so wie es kommt, so ist es recht...“

Indes machen sich die Referenten, Ex-RAF Anwalt und NPDler Horst Mahler und der ehemalige SDS-Ideologe Reinhold Oberlercher ernsthafte Gedanken um die „nationalen Sammelbewegung.“ Beide deuten heute die 68-Bewegung als „nationalrevolutionäre Bewegung“. Schon in der K-Gruppen-Zeit Anfang der siebziger Jahre – Mahler war damals Sympathisant der maoistischen KPD/AO, Oberlercher gehörte als selbsternannter „Nationalmarxist“ der „nationalen Fraktion“ des SDS an – galten beide in der Linken als „Vaterlandsverteidiger“, da sie als „Revolutionäre“ den BRD-Kapitalismus vor dem sowjetischen „Sozialchauvinismus und -imperialimus“ schützen wollten.

Peter Müller/Andreas Speit

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