: Folgenschwere Fehlurteile
Der 17-jährige traumatisierte Kurde, der aus Angst vor der Polizei aus dem Fenster einer Praxis sprang, hätte gar nicht zur Abschiebung ausgeschrieben werden dürfen
Der 17-jährige traumatisierte Kurde Davut K., der Ende November aus Angst vor einer Abschiebung aus dem Fenster einer psychotherapeutischen Beratungsstelle gesprungen war und sich dabei lebensgefährlich verletzt hatte, hätte gar nicht zur Abschiebung ausgeschrieben werden dürfen. Das hat sein Anwalt Dündar Kelloglu inzwischen schwarz auf weiß. Eine Woche nach dem tragischen Fenstersprung teilte das Verwaltungsgericht Magdeburg dem Anwalt mit, dass es die bisherigen Beschlüsse aufgehoben hat.
Zur Erinnerung: Gegen den ausdrücklichen Willen eines Therapeuten hatten Polizisten auf der Suche nach Davut K. am 24. November vergangenen Jahres die Charlottenburger Praxis der psychologischen Beratungsstelle „Xenion“ mit gezückter Waffe gestürmt. Der junge Mann, der zuvor beim Schwarzfahren erwischt worden war, hatte den Einsatz als Beginn seiner Abschiebung empfunden und sich in Panik aus dem Fenster gestürzt (die taz berichtete).
Doch Davut K. hätte gar nicht zur Abschiebung ausgeschrieben werden dürfen. Sowohl das Verwaltungsgericht als auch das Bundesamt zur Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hatten Eilanträge zum Stopp der Abschiebung ohne Prüfung der vorgelegten Unterlagen als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Dabei ging aus den Dokumenten hervor, dass Davut K. als 15-Jähriger von einem türkischen Militärgericht wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ zu zwölfeinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden war und dass er sich unter Folter bereit erklärt hatte, für den Geheimdienst zu arbeiten. Die Freilassung hatte er zur Einreise nach Deutschland genutzt. Bei einer Rückkehr, so sein Anwalt, bestehe die Gefahr einer Festnahme.
Jetzt hat Davut K. ein vorläufiges Bleiberecht. „Die Sache ist so eindeutig“, so sein Anwalt, „dass er wohl anerkannt wird.“ Kelloglu erhielt mehrere Anrufe von Einzelentscheidern vom Bundesamt, in denen ihm gesagt wurde, dass es „viele Kollegen“ gebe, „die grundsätzlich ablehnen ohne zu prüfen“. Das Bundesamt hatte die Fehlentscheidung mit den Worten kommentiert, dass „Menschen am Werk sind“ und es sich um einen Einzelfall handele.
Anwalt Kelloglu will nun die Beamten in die Pflicht nehmen. „Wir prüfen Schadenersatzansprüche gegen die Polizisten“, so Kelloglu. „Sie haben unverhältnismäßig reagiert. Der Sprung ist ihnen zuzurechnen.“ Im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses wurde der Polizeieinsatz von Grünen und PDS scharf kritisiert. Die Polizei indes reagierte mit einer Strafanzeige wegen unterlassener Hilfeleistung gegen den Therapeuten von Davut K. und eine Sekretärin, die die Polizei am Eindringen in die Praxis hindern wollten.
Davut K., der am Rücken operiert wurde, befindet sich noch immer im Krankenhaus. Nach Angaben seines Anwalts ist derzeit noch unklar, ob er wieder normal gehen können wird.B. BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA
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