: Der virtuelle Kandidat
Bei der Dresdner Oberbürgermeisterwahl droht der SPD ein Fiasko – dabei sind es noch sechs Monate bis zum Urnengang. Nun soll es der letzte SED-Bürgermeister richten
DRESDEN taz ■ Eigentlich sollte am Wochenende alles klar sein. Wenn die Dresdner im Juni einen neuen Oberbürgermeister wählen, sollten sie zwischen Amtsinhaber Herbert Wagner (CDU) und dem SPD-Landtagsabgeordneten Karl Nolle entscheiden. Designierter OB-Kandidat stand seit langem auf Nolles Briefkopf. Doch nichts ist mehr klar seit diesem Wochenende. Die für Samstag geplante Kandidatenkür wurde kurzerhand gestrichen. Noch vor seiner Wahl trat Nolle zurück.
Sechs Monate vor dem Urnengang steht Sachsens SPD, die bei der letzten Landtagswahl nur 10,7 Prozent der Stimmen erhielt, ohne Kandidaten da. Hamburgs früherer Bürgermeister Voscherau, Brandenburgs Exministerin Hildebrandt oder PDS-Star Gysi – wen auch immer die sächsischen Sozis ins Gespräch gebracht hatten, lächelte müde. So blieb nur Nolle.
Um seine Qualifikation zu unterstreichen, nutzte der vor allem eines: sein Mundwerk. Bei Ministerpräsident Kurt Biedenkopf machte Nolle eine „nationalsozialistische Familientradition“ aus, die bis heute wirke. In einer Pressenotiz zu Sebnitz fand er die Formulierung „ethnische Stoiberung“ witzig. Zu Jahresbeginn versprach er allen jungen Menschen, die nach Sachsen kommen, 5.000 Mark Begrüßungsgeld. Gegen Rücktrittsforderungen auch aus den eigenen Reihen stärkte die Parteispitze Nolle den Rücken. Man hatte keinen besseren Kandidaten.
Um gegen Wagner eine Chance zu haben, braucht ein SPD-Kandidat PDS und Grüne. Die wollten die „Politgurke Nolle“ aber nicht unterstützen. Am Mittwoch reagierte Nolle. Wie hilflos Sachsens Sozis sind, zeigte am Freitag Landeschefin Constanze Krehl. „Wer ernsthaft an einer Abwahl von Oberbürgermeister Wagner interessiert ist, muss Gedanken in einen Kandidaten Berghofer investieren.“
Der letzte SED-Bürgermeister Wolfgang Berghofer als linker Kandidat für Dresden? „Ich würde vor allem in Fragen der Wirtschaft und Verwaltung keine als links bezeichnete Politik machen“, erklärte der Unternehmensberater. Er stehe mit keiner Partei in Verhandlung. „Ich bin bestenfalls virtueller Kandidat.“ Warum sollte er, der beste Kontakte zur Wirtschaft hegt und einst aus Dresden gejagt wurde, sich die Provinzposse antun? „Verletzte Eitelkeiten“, gibt Berghofer, der 1990 aus der PDS austrat, unumwunden zu.
SPD-Chefin Krehl weiß selbst, dass dieses politische Programm dürftig ist. Ohnehin droht ein Kandidat Berghofer die gebeutelte Partei zum Bersten zu bringen. Er komme nicht in Frage, erklärten die Spitzen des Dresdner SPD-Unterbezirkes sofort. Der gescheiterte Nolle formulierte es so: „In Berghofer sind etliche zehn Jahre Bautzen versammelt.“ Knast, meint er. Aber das ist der sächsischen SPD eigentlich egal: Wer hört schon auf einen designierten Exkandidaten, der nie signiert wurde. NICK REIMER
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