: Eine Wagenburg fürs Vieh
Seitdem auf Leo Kirchensteiners Hof ein BSE-Fall festgestellt wurde, glauben die Bauern im Dorf wieder an den Züchter Blank und seine Thesen
aus Westerheim KLAUS WITTMANN
Als die fünf Kollegen von Leonhard Kirchensteiner auf den Hof fahren, ist dieser wie ausgestorben. Die Kühe sind still, kein Hund bellt, keine Katze ist zu sehen – nichts. Drinnen in der geräumigen Wohnstube sitzt der Bauernverbandsobmann von Westerheim an einem großen Holztisch, das Gesicht auf beide Hände gestützt. Müde blickt er hoch. Übermorgen, oder vielleicht doch erst ein paar Tage später, werden seine 142 Rinder abgeholt; Kälber, Mutterkühe, einfach alle.
„Grausig ist so was, grauenhaft. Das ist das Herzblut, das man einem nimmt. Ich habe ja 30 Jahre gelebt, Tag und Nacht für die Familie. Und als nächstes ist dann gleich das Vieh gekommen. Mit dem lebt man ja nicht wie mit einer toten Materie, wie mit einer Maschine. Das Vieh ist für mich etwas, mit dem man tagtäglich umgeht, wo man sein Bestes gibt. So sind 30 Jahre vergangen, wo man sich fürs Vieh eingesetzt hat und fürs Vieh da war, und jetzt ist es halt aus.“
Sinnlose Keulung?
Aus ist es für Bauer Kirchensteiner seit Dezember. Da wurde seine Kuh „Nelke“ positiv auf BSE getestet. Jetzt soll, wie in all den anderen Fällen, die ganze Herde des Kirchensteiner Hofes vernichtet werden. Eine sinnlose Keulung, wie die Massentötung in der Amtssprache heißt, sei das, sagen die Landwirte am Ort. Die Bauern von nebenan sind gekommen, um ihm zu zeigen: Wir stehen hinter dir. Und sie haben auch Angst um sich selbst, sagt Christian Mögele. „Die Situation ist die, dass wir jeden Tag in den Stall gehen und nicht wissen, ob wir der Nächste sind. Unsere größte Angst ist, dass wir ein Tier abliefern, BSE festgestellt wird, und dass dann der gesamte Bestand gekeult wird.“ Im Augenblick fürchte sich jeder Landwirt vor einer Schlachtung. „Die Ställe quellen über, aber es wird nur noch abgeliefert, wenn der Platz eng wird, weil Kühe abkalben. Ansonsten verlässt im Moment kein Tier den Betrieb.“
Gegen die Massentötungen wollen sich die Bauern nun wehren. Die seien durch nichts zu rechtfertigen, sagen sie alle in der Runde. „Auch das OIE, das internationale Tierseuchenamt in Paris, definiert BSE als Einzeltiererkrankung. Es gibt also keine Übertragung von Tier zu Tier“, erklärt Andreas Blank. Auf ihn, den Allgäuer Viehzüchter, der weithin als ausgewiesener BSE-Experte gilt und der längst schon aus Protest aus dem Bauernverband ausgetreten ist, haben sie stets mit Fingern gezeigt. Heute ist er der am meisten gesuchte Ansprechpartner weit und breit – bei den Bauern in Westerheim, beim überfordert wirkenden Landwirtschaftsminister Josef Miller in München, bei anderen „hohen Tieren“ aus verschiedenen Behörden.
Dass BSE womöglich doch eine Seuche ist, dass inzwischen auch eine Übertragung über die Weiden diskutiert wird, das wollen die Männer hier nicht wahrhaben und auch nicht weiter erläutern. Die These von der Einzeltiererkrankung kommt natürlich ihren Existenzängsten auch entgegen, und trotzdem, das geben sie offen zu, ist jedem in der Runde klar, dass die Wissenschaft noch nicht weit genug ist, um sichere Aussagen machen zu können. Es darf nicht sein, was nicht sein soll.
Christian Mögele, einer der Bauern hier, sagt: „Erst ein, zwei Tage später wurde einem bewusst, dass der gesamte Viehbestand, vom kleinsten Kalb, das in der Zwischenzeit geboren wurde, bis zur ältesten Kuh, vernichtet wird – unbegreiflich. 142 Tiere müssen sterben, obwohl es wissenschaftliche Erkenntnisse gibt, dass das so nicht sein muss.“ Bauer Mögele spricht von Ländern wie Portugal und der Schweiz, in denen man nach der anfänglichen Hysterie längst zu einem pragmatischen Umgang mit BSE-Fällen gefunden hat. Nur die Kälber im betroffenen Stall werden getötet, die ein Jahr vor oder nach Auftreten des Falles geboren wurden. Denn bei Jungtieren ist die Ansteckungsgefahr besonders hoch.
Vor dem weiß geputzten Stall auf den Kirchensteiner Hof herrscht gedrückte Stimmung. Was tun, wenn auch im eigenen Bestand BSE auftritt? Den Betrieb aufgeben? Weitermachen? „Bei uns im Ort sind einige, die sagen, wenn bei ihnen die Kühe wegen BSE im Stall ausgeräumt werden, dann kommt keine Kuh mehr in den Stall, dann hören sie auf“, erzählt Georg Negele, der insgesamt 50 Tiere im Stall stehen hat, rund die Hälfte davon Milchkühe. Johann Vetter hat sich für diesen Fall bereits gewappnet: „Ich bin 55 Jahre alt, ich habe vier Töchter, die haben einen sehr guten Beruf. Es gibt also niemanden, der den Hof übernehmen wird. Mein Betrieb wäre, praktisch gesagt, von diesem Tag an geschlossen.“
Ganz anders Christian Mögele, der in seinen Stall mit den hundert Tieren erst vor kurzem kräftig investiert hat. „Ich habe eine Baumaßnahme hinter mir. Ich habe mich verpflichtet, 20 Jahre lang Kühe zu halten. Wenn heute BSE bei mir ausbrechen würde, hätte ich gar keine andere Chance, als weiterzumachen oder die gesamte Förderung zurückzubezahlen samt Zins und Zinseszins.“
Doch so weit, dass einige das Handtuch werfen, dürfe es gar nicht erst kommen, sagen die Bauern. Denn wenn diese Logik mit der Massenkeulung stimmen würde, müssten ja nicht nur die Bestände vernichtet werden, in denen ein BSE-Fall aufgetreten ist, sondern alle Tiere auf Höfen, die vom selben Lieferanten ihre Futtermittel bezogen haben.
Massentötung in Westerheim? In dem Falle werden die Bauern hier Blockaden bauen und eine Menschenkette bilden.
Schon beginnt man beim bayerischen Bauernverband damit, sich an die Spitze der Protestbewegung zu setzen, Informationsveranstaltungen mit den einst so geächteten Schweizer Experten zu organisieren, die plötzlich zu beinahe Alleswissern stilisiert werden.
Bauer Kirchensteiner scheint dies alles wenig zu interessieren, als habe er sich bereits geschlagen gegeben. „Ich will wieder ganz normaler Bauer sein, ohne Einschränkungen. Es macht keinen Sinn, wenn ich kein Fleisch, keine Milch, kein Kalb, keine Kuh verkaufen kann, bin ich in kürzester Zeit bestimmt ruiniert, wirtschaftlich bestimmt k. o.“ Jeden Morgen geht er in den Stall zum Füttern und Melken, obwohl danach die Milch umgehend vernichtet wird, weil sie die Molkerei nicht mehr abnimmt. Aber darüber will Leonhard Kirchensteiner nicht reden. Es sagt nur: „Man kann ja die Tiere nicht einfach leiden lassen. Sie bekommen genauso ihr Futter wie vorher. Bis zum letzten Tag, obwohl man weiß, es macht keinen Sinn mehr.“
Wie ferngesteuert erzählt er plötzlich Dinge, die – so rationell sie auch sein mögen – aus seinem Mund fremd und unwirklich klingen. „Allerwichtigstes Ziel wird sein, das Vertrauen der Verbraucher, das Vertrauen in die Landwirtschaft wieder zu gewinnen. Und da glaube ich, kann man vielleicht Einzelinteressen, so hart es sein mag, nicht in den Vordergrund stellen.“
Spricht so ein Bauer, der beim Erzählen über seine Tiere die Tränen in den Augen hat, der nicht mehr ruhig schlafen kann, weil er jeden Moment damit rechnet, dass die Viehtransporter kommen? Oder spricht hier der langjährige Bauernverbandsobmann, der weiß, dass er sich fügen muss, wenn er nicht Gefahr laufen will, dass der Makel des BSE-Verdachts über seinem Hof hängen bleibt?
Irgendetwas muss in den vergangenen Tagen geschehen sein, wollte er sich doch zunächst vehement gegen die Vernichtung seines Bestandes zur Wehr setzen. Doch jetzt nickt er nur teilnahmslos, als ein Bauer anmerkt, „die Gefahr, dass wieder BSE auftritt, ist doch viel größer, wenn wir einen ganz neuen Bestand aufbauen und von überall her die Tiere zusammenkaufen müssen.“ Schließlich sei in keinem der bisherigen BSE-Fälle ein weiteres Tier betroffen gewesen.
Vielleicht hat Bauer Kirchensteiner auch nur erkannt, dass all das, was in Sachen BSE im Moment geschieht, mit Logik nicht viel zu tun hat. Verlassen, geknickt, abwesend wirkt der schmächtige Bauer mit den sieben Kindern, der im nächsten Monat ein achtes Mal Vater wird.
Geknickt wirkt auch Bauer Mögele, der 22 Jahre lang im örtlichen Lagerhaus gearbeitet und Futtermittel verkauft hat. Tag und Nacht, sagt er, gingen ihm die immergleichen Gedanken durch den Kopf. „Ich gehe davon aus, dass ich derjenige war, der ihm die Kälbermilch oder die Mineralfutter, die heute auch zur Diskussion stehen, verkauft hat! Mit dieser Angst lebe ich, muss ich leben, muss ich fertig werden.“ Auch wenn er nach bestem Wissen gehandelt und auch selbst das gleiche Futter seinen Tieren gegeben habe, sei das doch belastend.
Zu gutgläubig?
Zu gutgläubig seien sie alle gewesen. Zu selbstverständlich hätten sie die Futtermittel in die Tröge gekippt, von denen sie heute wissen, dass sie oft nicht richtig deklariert waren. Und die plötzlich so ins Gerede gekommenen Milchaustauscher, jenes billige Milchersatzfutter, haben sie fast alle eingesetzt, um ein paar Pfennige pro Liter verkaufter Vollmilch zu gewinnen. Dass in der ersatzweise eingesetzten Milchpulvermischung auch tierische Fette enthalten sind, die aus der Tiermehlproduktion stammen, das hätten sie nicht gewusst, sagt Bauer Mögele. „Wir kommen uns jetzt ganz schön verscheißert vor, denn wir konnten ja aufgrund der Deklaration nicht ersehen, dass hier eine Gefahr ausgeht für unsere Kälber, wo es doch immer hieß, dass diese Fette lebensmitteltauglich sind.“
Nein, gemütlich ist es hier nicht, auf dem kleinen Unterallgäuer Hof, der wie eine Wagenburg wirkt mit seinen holzverkleideten Stallgebäuden. Ein kalter Wind fegt, als sich draußen vor dem Wohnhaus von Leonhard Kirchensteiner die Bauern zum Gruppenfoto aufbauen. Der zieht noch schnell die Stalltür zu, als solle seine Kühe und Rinder niemand sehen. Es sind nur noch Tage, bis auch dieser Stall leer geräumt ist.
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