: Deutscher Spion bei nordirischer INLA
Die Stuttgarter Polizei machte dem Bundesamt für Verfassungsschutz jedoch einen Strich durch die Rechnung
DUBLIN taz ■ Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat in den Neunzigerjahren einen Agenten in die bewaffnete nordirische Untergrundorganisation Irish National Liberation Army (INLA) eingeschmuggelt. Er stellte dem Stabschef und dessen Mitarbeiter eine Falle und lockte beide nach Deutschland, wo sie verhaftet wurden. Die Polizei in Stuttgart ließ die INLA-Männer jedoch aus Mangel an Beweisen wieder frei. Das geht aus einem geheimen Bericht des Verfassungsschutzes hervor, so berichtete die Londoner Times gestern.
Der Agent gab sich als Mitglied der Revolutionären Zellen aus und gewann das Vertrauen von Hugh Torney, dem damaligen Stabschef der Organisation. Er lockte Torney und einen weiteren INLA-Mann, Sean Green, im August 1994 nach Stuttgart. Von dort reiste das Trio nach Pilsen, wo man von einem Angestellten der Firma Omnipol größere Mengen des Sprengstoffs Semtex kaufte. Ein anderer INLA-Mann transportierte das Semtex direkt nach Irland, während Torney, Green und der Agent nach Stuttgart zurückfuhren. Dort wurden die beiden Iren von der Polizei verhaftet. Da sie zwar Overalls, Gummihandschuhe, Plastiktüten und Klebeband – „Objekte, die Touristen normalerweise nicht bei sich führen“, heißt es im Bericht des Verfassungsschutzes – bei sich trugen, jedoch keinen Sprengstoff, lag gegen sie nur die Aussage des Agenten vor.
Die Polizei entschied daher, die beiden freizulassen, und setzte sie in einen Zug nach Paris. Die Verfassungsschützer waren entsetzt. „Die Polizei wollte die beiden so schnell wie möglich loswerden“, stellten sie in ihrem Bericht fest. „Sie konnten ihre Erleichterung nicht verbergen, als der Zug aus dem Bahnhof ausfuhr.“ Der Agent musste untertauchen. Er lebt seitdem unter falschem Namen im Ausland.
Die INLA und ihr politischer Flügel, die Irish Republican Socialist Party (IRSP), hatten sich 1974 von der IRA abgespalten, was eine blutige Fehde zwischen beiden Organisationen auslöste. Später führte die INLA eine Reihe von spektakulären Anschlägen aus, darunter den Mord an Margaret Thatchers Vertrauten Airey Neave, der durch eine Autobombe getötet wurde, als er aus dem Londoner Unterhaus fuhr. Doch viele Attacken verliefen nicht nach Plan, sodass immer wieder Unbeteiligte ums Leben kamen. Die INLA erledigte sich schließlich selbst: Bei internen Auseinandersetzungen wurden in den Neunzigerjahren mehr als ein Dutzend ihrer führenden Köpfe ermordet, darunter auch Torney, der bis dahin Anschläge der IRA sowie einer protestantischen Terrorgruppe und eines britischen Soldaten überlebt hatte.
Torney war 1994 in der Nähe von Dublin in einem Auto voller Waffen verhaftet und anschließend zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Während seines Prozesses erklärte er einen INLA-Waffenstillstand, weil er hoffte, dadurch billiger wegzukommen. Die Rechnung ging auf: Wenige Wochen später ließ man ihn frei. Seine Waffenstillstandserklärung im Alleingang hatte jedoch Teile der INLA-Basis verärgert. Torney wusste, dass ihm eine Fraktion nach dem Leben trachtete, und tötete vorsichtshalber deren Anführer, seinen ehemaligen Freund Gino Gallagher. Gallaghers Leute schlugen zurück und ermordeten Torneys Stellvertreter Dessie McCleery. Torney erschien zur Beerdigung mit Brille und blonder Perücke, doch danach folgten ihm mehrere seiner vermeintlichen Genossen und verrieten sein Versteck an die rivalisierende Fraktion. Torney starb im September 1996 in einem Kugelhagel. Er war 42 Jahre alt. Die Überreste der INLA haben, so vermutet die nordirische Polizei, im vorigen Monat eine neuerliche Fehde begonnen, als ein führendes Mitglied in Belfast ermordet wurde. RALF SOTSCHECK
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