: Der Barbier von Köln-Hürth
Endemol hat sich’s aus den Fingern gesogen, RTL an den Haaren herbeigezogen: Die neue Reality-Soap „Der Frisör“ will täglich „flippig-skurril-lustig-spontan“ sein. „Skurril“ stimmt (17.00 Uhr, RTL)
von KIRSTEN KOHLHAW
Die Ableger der trotzig gedeihenden Pflanze Endemol werden immer mickriger. Jetzt, so scheint es, hat man den Besuch des Starfrisörs Udo Walz bei „Big Brother“ für hinreichend spektakulär gehalten, die Idee zu einer eigenen Sendung aufzublasen.
War der Zuschauer bei „Big Brother“ vielleicht noch freudig überrascht, bleibt er hier nur kopfschüttelnd zurück. Die neue Reality-Soap, die sich so gerne frech und geschmeidig räkeln möchte, quetscht sich bemüht und ungelenk um die Werbeblöcke. In Köln-City befindet sich der Salon, in dem bundesweit gecastete Barbiere auf ihre ebenfalls sorgsam gemischte Kundschaft treffen. Diese hat sich entweder telefonisch beworben oder wird von der Redaktion eingeladen, um ihre neueste Show, ihren neuesten Film oder ihre neueste CD vorzustellen – und ein paar Haare zu lassen.
Mehr als um Frisuren, das verkündet schon der schüttelreimende Song („Sag mir, wie’s dir geht / Wie deine Welt sich dreht / Ich wasch dir deinen Kopf / Und du sagst mir, was geht“), soll es um Klatsch und Tratsch gehen, um persönliche Nöte und natürlich um Weltbewegendes. Über „Babs und Boris“ beispielsweise, wie der ganze Laden vertraulich duzend orakelt, hat jeder eine Meinung, ebenso über Kinderschänder und andere Perverse. Da wird dann auch gehörig auf die Wurst gehauen und sich je nach Neigung politisch korrekt empört, betroffen tief empfunden oder einfach nur verbal entgleist – schließlich will man der Welt zeigen, wer man ist. „Flippig-skurril“ soll es hergehen, „lustig-spontan“ auch und mal ganz normal. Die kreischend bunt zusammengewürfelte Crew legt sich schwer ins Zeug, diesen Eindruck zu vermitteln. Doch ihr stets gut gelauntes und konsequent durchgestyltes Auftreten kann die Aufregung darüber, ob die Selbstinszenierung wohl gelingt, nicht verbergen.
Was dabei herauskommt, ist schon fast wieder komisch: Der Blick einer Haare schneidenen, dauergrinsenden Mischung aus Iris Berben und Prince ist dermaßen auf die Kamera hinterm Spiegel fixiert, dass man ihr vorsichtshalber einen Glatzkopf vorgesetzt hat, an dessen verbliebenem Flaum sie die nächste halbe Stunde herumschnippeln wird. Da kann wenigstens nichts passieren. Oder doch? Der schrillste Vogel der Truppe – ein aufwändig rasierter und tätowierter Coiffeur – fährt seiner Kundin schön mit dem Kamm durch ihr Augenbrauen-Piercing, woraufhin sie mit tränenumflorten Augen in den Spiegel plinkert. Wie unangenehm. Die Kunden setzen sich dennoch tapfer in Szene und sondern ihre Anekdötchen ab. „Dem Barbier erzählt man alles“, das war einmal. Jetzt ist es die Kamera.
Und wie steht’s eigentlich um die anderen Vorzeige-Kummerkästen, etwa die geduldig den Tresen polierenden Barkeeper? „Cheers total“ könnte die Sendung heißen, in der durstige Profilneurotiker allein an der Theke auf die zwischen Jim Beam und Johnny Walker installierte Kamera einreden. Und zwischendurch die Schankwart-Marionette mit glasigem Blick streifen ...
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