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Vegetative Kulturrevolution

Das Ackern an den Symbolen für eine irdische Variante Edens: Ein Buch über Landschaftsarchitektur in Europa untersucht, wie sich Natur und Gartenanlagen heute inszenieren lassen – auch politisch

von BRIGITTE WERNEBURG

Wenn im Herbst in Berlin die Eröffnung der Dauerausstellung des Jüdischen Museums ansteht, wird noch mehr als bisher vom Innern des Hauses die Rede sein. Von seinen anspruchsvollen Räumen und den Schwierigkeiten, die sie der Präsentation der Ausstellungsstücke bereiten. Und umgekehrt wird noch weniger als sonst von der wohl gestalteten Umgebung des Libeskind-Baus die Rede sein. Von den sieben mal sieben Säulen des E.T.A.-Hoffmann-Gartens, aus denen Ölweiden wachsen. Von seiner merkwürdig abschüssigen Fläche, einem Bild, das auf die politische Schieflage verweisen könnte, die die deutschen Juden ins Exil zwang. Oder vom Paul-Celan-Hof, der in seiner Enge an einen typischen Berliner Hinterhof erinnert und nach einer Grafik seiner Frau Gisèle Celan-Lestrange gepflastert wurde. Weil die Symbolik der Außenanlagen nicht weniger stark als die des Gebäudes ist, scheinen sie dem Bau auch ganz eng verbunden.

Das kleine Robinienwäldchen wiederum, das das Museum an anderer Stelle umgibt, ist eine Spontanvegetation auf einem Erdreich aus Kriegstrümmern und sieht schon fast zu einfach aus, um geplant und damit der Rede wert zu sein. Zumal der schmale Brunnen in Form eines mäandernden Steinbandes, der sich durch den Garten zieht, leicht zu übersehen ist. Auch diese Schlange ist ein Exilant und hat das Paradies eben gegen einen Berliner Garten eingetauscht. Obwohl über das Paradies nur das Beste zu hören ist, war der Tausch in diesem Fall bestimmt nicht restlos falsch. Der Wunsch nach Einfachheit der Mittel und Zurückhaltung im öffentlichen Raum ist das eine. Andererseits gilt die Überzeugung, dass das Ziel aller Gartenkunst lesbare Symbole sind. Diese Vorstellungen geben den Arbeiten von Cornelia Müller und Jan Wehberg, die seit 1997 unter dem Namen „Lützow 7“ firmieren, Gestalt. Neben dem Garten des Jüdischen Museums haben sie auch die Anlagen am Spreebogen, am Bundeskanzleramt und am Haus der Bundespressekonferenz entworfen und eingerichtet.

„Lützow 7“ zählt zu den vierzehn Büros aus acht europäischen Ländern, deren Arbeiten der Berliner Landschaftsarchitekt Thies Schröder jetzt in einem 200 Seiten starken Bild- und Textband als „Inszenierte Naturen“ vorstellt. In der detaillierten Erläuterung einzelner Entwürfe wie in den Selbstauskünften der Architekten wird die „Zeitgenössische Landschaftsarchitektur in Europa“ deutlich, von der der Untertitel spricht.

Falls man nach der Lektüre den Eindruck hat, es würde allenthalben geackert und gebaut, um den vertriebenen Schlangen und Menschen wenigstens wieder eine irdische Variante des Garten Eden zu geben – es ist nicht so. Die Datenerhebung der französischen Gartenarchitekten Michel Desvigne und Christine Dalnoky belegt die marginale Rolle ihrer Kunst. Sämtliche französischen Landschaftsarchitekten bearbeiten beispielsweise pro Jahr eine Fläche, die einem Achtzigstel der Fläche entspricht, die jährlich durch Waldbrände verändert wird. Wollten sie etwa nur das zur Zeit brachliegende Ackerland landschaftsarchitektonisch gestalten, würde sie das nach Desvignes und Dalnokys Zahlen 2.700 Jahre kosten.

„Auf keinen Fall haben unsere Interventionen eine globale Bedeutung oder gar eine heilende Aufgabe“, sagen die Architekten. „Irgendwie sind wir wie ein Anstreicher, der nur einen Eimer Farbe hat, um ein zehnstöckiges Haus zu streichen.“ Anstatt alles zu streichen, macht man da lieber einen dicken, markanten Punkt. Ein leuchtendes Beispiel.

Gerade wenn und weil nur marginale Eingriffe möglich sind, kann es auch nicht mehr um das Bewahren als zentrale Aufgabe der Landschaftsarchitektur gehen. Es dreht sich eher darum, deutlich zu machen, was sich verändert hat. Wie in den transregionalen Landschaftstypen, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg im industrialisierten und von einer zunehmend industriellen Landwirtschaft geprägten Europa herausgebildet haben, die besonderen Unterschiede von Gebieten verloren gegangen sind. Hier ist ein landschaftstypisches, ganz der Region verhaftetes Gestalten nicht mehr möglich.

Doch auch an anderer Stelle wird immer häufiger der interkulturelle Austausch über Fragen der Landschaftsgestaltung gesucht und gefunden, und darin sieht der Züricher Landschaftsarchitekt Christophe Girot, „eine Kulturrevolution“. In seinem Vorwort weist er darauf hin, dass Landschaft heute nicht mehr wie früher als Antithese zum „Fremden“ gilt. Auch auf diese Weise kann sich also eine neue „politische Landschaft“ in Europa entwickeln. Zuletzt hieß landschaftsgestalterische Politik selbstverständlich Natur- und Umweltschutz sowie ökologische Planung. Und darauf basiert bis heute ein Teil der Anerkennung der Landschaftsarchitektur.

Doch nun scheint, so schreibt Thies Schröder in „Chiffren des Komplexen“, seinem Aufsatz zur Landschaftsgestaltung, eine neue Lust am Entwerfen dieses Programm abzulösen. Das muss die Bedeutung der Landschaftsarchitektur nicht mindern. Denn das neue ästhetische Vergnügen stellt ganz bewusst auf die Zeichenhaftigkeit der Landschaft ab. Was nicht gänzlich unpolitisch sein kann, wenn beispielsweise angesichts der geradezu unübertroffenen Zeichenhaftigkeit von Windparks für das ökologische Denken deutlich wird, wie Ästhetik Politik benennt.

Thies Schröder: „Inszenierte Naturen. Zeitgenössische Landschaftsarchitektur in Europa“. Birkhäuser Verlag, Basel, Boston, Berlin 2001, 182 S., geb.,18 DM

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