Gradlinig bis zum Rücktritt

Fischer hatte keine Angst, sich mit einer Lobbygruppe anzulegen. Doch die Zähigkeit der Agrarlobby beim Thema BSE hat sie offensichtlich unterschätzt

von BERNHARD PÖTTER,
HEIDE OESTREICH und LUKAS WALLRAFF

Ja, es war „etwas bizarr“. Blass und braun gekleidet gestand Andrea Fischer ein, dass nicht ohne weiteres verständlich ist, warum ausgerechnet eine Grüne, die seit Jahrzehnten für Ökologie und den Schutz der Konsumenten kämpft, nun als Erste zurücktritt. Nein, eigentlich reichten die Fehler, die sie gemacht habe, nicht aus für einen Rücktritt – das Vertrauen der Verbraucher in die Politik sei dahin und dafür übernehme sie die Verantwortung. Je länger die Journalisten nachfragten, desto sarkastischer und kürzer wurden die Antworten. Den Blick gesenkt, schüttelte die Exministerin nur noch den Kopf über Fragen nach Motiven und möglichen Nachfolgern – von jenseits des Spiels sieht plötzlich alles absurd aus – bizarr eben.

Gescheitert ist Fischer offenbar an einer Mischung aus Altlasten, Unaufmerksamkeit und zu großem Vertrauen in ihre Beamten. Denn die BSE-Krise ist nicht hausgemacht: Die frühen Warnungen wurden von ihrem Vorgänger Horst Seehofer (CSU) überhört oder nicht beachtet. Bereits vor vier Jahren hatte die Bundesforschungsanstalt für Fleischforschung vor dem „Separatorenfleisch“ in der Wurst gewarnt. Konsequenzen hatte das bis letzte Woche nicht, als Fischer das Verbot dieser Wurstsorten forderte. War das Problem erkannt, handelte sie im Gegensatz zu ihrem Amtskollegen Funke prompt.

Auch beim Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) erbte Fischer ein Problem: Das Institut, eigentlich erste Anlaufstelle für BSE-Gefahren in Lebensmitteln, leidet schon seit Seehofer unter Sparzwängen.

Fischer hatte keine Angst, sich mit einer Lobbygruppe anzulegen. Das hat sie bei der Gesundheitsreform bewiesen. Doch beim Thema BSE hat sie wohl die Zähigkeit der Agrarlobby auch in ihrem Ministerium unterschätzt. Teilweise sei die Minsterin bei BSE falsch informiert worden, heißt es aus der grünen Fraktion. Überhaupt hätten viele Minsteriale „skandalös zugearbeitet“. „Sie hat einfach nicht geglaubt, dass die Leute sie anlügen“, sagt die agrarpolitische Sprecherin der Fraktion, Ulrike Höfken.

Schwer geschadet hat Fischer die Meldung, sie habe den Report des EU-Kommisars für Verbraucherschutz, David Byrne, im November verschleppt. Der Brief des Kommissars über die Schlampereien in Deutschland wurde offiziell von ihrem Haus nicht weitergegeben. Was nach Schlafmützigkeit des Ministeriums aussah, hat Höfken anders erlebt: „Byrne hatte darum gebeten, den Bericht nicht zu publizieren, solange die Länder dazu noch nicht Stellung genommen haben.“

Anders als ihre Amts- und Parteikollegin Bärbel Höhn hat Fischer das Thema BSE nie wirklich für sich entdeckt. Und dann war sie mitgehangen, mitgefangen mit ihrem Alter Ego, dem Zoten reißenden Bauernminister Funke: Anders als vor tobenden Ärztevertretern machte Fischer bei gemeinsamen Auftritten mit Funke wie dem vor den Bundestagsausschüssen in der letzten Woche eine schwache Figur. Ironischerweise hat sie die Konsequenzen zuerst gezogen und riss dann ihren Kollegen mit. Denn klar war immer: Wenn einer geht, gehen beide.

Mit der Gesundheitsreform 2000 hatte die neue Ministerin ihr Gesellenstück abgeben wollen – und hatte unterschätzt, dass es mehr braucht als ihre viel gelobte Geradlinigkeit und eine gute Portion Kampfgeist. Zuerst schoss der enttäuschte SPD-Sozialexperte Dreßler, der bei der Ministeramtsvergabe leer ausgegangen war, quer. Dann bekam Fischer die Wucht des medizinisch-pharmaindustriellen Komplexes zu spüren: Ärztestreiks, Demonstrationen, persönliche Angriffe.

Der Ärztetag im Juni 1999 geriet zum Tribunal über die Ministerin. Sie fördere das „sozialverträgliche Frühableben“ der Patienten, warf Ärztepräsident Karsten Vilmar ihr damals an den Kopf – unter tosendem Beifall. Schließlich musste sie mit ansehen, wie die Opposition die Gesundheitsreform zerlegte: Die konservativ regierten Länder lehnten die Reform ab, nur eine abgespeckte Variante trat im Januar 2000 in Kraft. Statt des Globalbudgets gibt es nun Einzelbudgets, eine Negativliste gibt es nicht, die Krankenhausfinanzierung bleibt bei den Ländern. Ein neuen Abrechnungssystem habe sie durchsetzen können, betonte Fischer damals – und die Position der Hausärzte gestärkt.

Andrea Fischer hat sich nie als kalter Machtmensch präsentiert. Bei ihren Fernsehauftritten versuchte sie nicht, mit kernigen Sprüchen aufzutrumpfen. Ihre Auftritte waren meistens angemessen. Und unaufgeregt. Anbiedernd wirkte sie nicht. Im Gegensatz zu vielen ihrer Politikerkollegen nahm man ihr ab, dass sie sich nicht verstellen musste. Wenn sie bei Harald Schmidt oder Alfred Biolek zu Gast war, sprach sie über Persönliches und lachte viel. Wenn sie bei Sabine Christiansen zur Gentechnik gefragt wurde, blieb sie ernst und sprach über Gentechnik und erklärte viel.

Ihre politische Karriere begann die gelernte Druckerin, „überzeugte Gewerkschafterin“ (Fischer) und studierte Volkswirtin relativ spät, dann aber ging es schnell. 1994 kam sie in den Bundestag, bewährte sich als sachkundige Sozialpolitikerin und gute Rednerin. 1998 wurde sie mit 38 jüngste Ministerin in Schröders Kabinett.

Die besondere Rolle als einzige grüne Frau neben all den Machos im Kabinett, ie Anfeindungen der Ärztelobby, die Angriffe der Opposition – sie fand ihren Weg damit umzugehen: „Sie greifen mich zwar als Person an, aber im Grunde meinen sie nicht Andrea Fischer, sondern die Person, die gerade dieses Amt ausfüllt“, sagte sie im vergangenen Sommer. Damals war sie sich noch sicher: „Der Versuch, mich als Person zu diskreditieren, wird scheitern.“