: Das Matriarchat an der Elbe
In Laaslich haben die Frauen das Kommando über alle wichtigen Ämter. Nur sagen wollen sie das nicht. Aus Rücksicht auf die Männer. Die behaupten gern, im Stillen zu wirken
aus Laaslich KATHARINA BORN
Durch das äußerste Zipfelchen Prignitzer Land, vorbei an frostigen Feldern und Kiefernwäldern der Elbtalauen, über die seichte Löcknitz und zwischen den uralten Eichenbäumen hindurch erreicht die Besucherin das schmucke Laaslich. Am Dorfplatz glänzt der Raureif an Apfelbäumen im sonnigen Wintermorgen. Gartenzwerge schieben Schubkarren. Zwei kleine Mädchen laufen lachend über den frisch gepflasterten Weg. In ihren Gesichtern zeichnet sich bereits jene spröde Eigenwilligkeit ab, welche die weiblichen Bewohner dieses Fleckens auszeichnet.
Das Dorf scheint friedlich. Doch in den Häusern und über die Telefonleitungen kündigt sich bereits der unvermeidliche Organisationsstress an: Vorbereitungen zum großen Karneval, der im Februar ansteht. Und überhaupt mit Journalisten will hier keiner sprechen. „Nu wieder das mit den Frauen“, sagen sie genervt, sobald die Außenstehende vom Karnevalsthema abweicht, oder „keine Presse, bitte“, wenn sie sich einem Biertisch nähert. Man solle doch später kommen – zum Fest.
Seitdem im Westprignitzer, dem Lokalteil der Märkischen Allgemeinen, der Artikel über Rita Zuther, 40, erschien, findet das Dorf keine Ruhe. Mit ihrer Wahl zur Wehrführerin der Freiwilligen Feuerwehr, hieß es, sei nunmehr „jedes wichtige Amt in Laaslich von einer Frau besetzt“. Da wurde aus dem Ort das Dorf der Frauen, das Matriarchat an der Elbe.
Die Frauen von Laaslich hätten das nicht geplant, sagt Wehrführerin Rita Zuther. Das sei alles nach und nach passiert. Einmal habe die nun verstorbene Gastwirtin vom „Prignitzer Landgasthof“, die Renate Hampicke, gesagt, das sei doch was Besonderes – überall Frauen. Wie ein Witz sei das gewesen. Es dauerte nicht lange, da zogen Frauenzeitschriften, Boulevard- und Abo-Presse in Laaslich ein. Mehrere Fernsehteams folgten und eine Einladung zur Sat.1-Talkshow von Jörg Pilawa.
Die Bürgermeisterin, Angelika Schulz, 56, rät der Besucherin schon am Telefon: „Am besten sagen Sie gar nicht, dass das für die Presse ist.“ Und ihre Tochter, Lysann Jacob, ähnelt ihr sehr, als sie sagt: „Schreiben Sie doch lieber einfach so über unser Dorf.“
Laaslich, das ist da, „wo die Frauen die Hosen anhaben“, sagen die Besucher aus dem Nachbarort Nebelin. „Die Stillen ziehen eben die Fäden im Hintergrund“, kontern die Männer von Laaslich mit trotzigem Brandenburger Humor. Ihre Frauen sind sauer. Sie fühlen sich von den Medien um ihr Bemühen gebracht, alles gemeinsam zu entscheiden. „Wir wollen nicht als herrische Monster dargestellt werden“, sagt die Vorsitzende des Karnevalsvereins.
„Nu is det mal so’n Zufall“, sagt die Landzustellerin der Post. Und die Wehrführerin der freiwilligen Feuerwehr fügt gewohnt verantwortungsvoll hinzu: „Die Medien haben die Männer durch den Kakao gezogen. Das wollen wir jetzt nicht mehr“.
Lysann Jacob, 33, Mutter von zwei Kindern, Försterin, Jägerin, Mitglied der Jagdhornbläser und des Blasorchesters „Löcknitztaler Musikanten“, Gemeindevertreterin und Vorsitzende des Kulturvereins, schreitet mit langen Schritten das Dorfrund ab. Der Preis für die schönste Dekoration soll vergeben werden. Carsten Höger, 28, selbständiger Elektrofachmann, Gemeindevertreter, Jury-Mitglied und Mann für die „Spescheleffekts“ beim Karneval („Die Leute wollen hier kein Trallala mehr, nicht wie auf’m Dorf, wo die Frauen in langen Kleidern ...“) begutachtet derweil gleich die Außenelektrik der Gehöfte.
Es gibt noch viel zu tun in Laaslich bis zum großen Karneval. Seit die Frauen die Ämter übernommen haben, folgt in Laaslich ein Fest dem anderen. Frühlingsfest, Internationaler Frauentag, Luftmatratzenrennen auf der Löcknitz, Pilzwanderung, Feuerwehrball – da kommt keine Routine auf. „Manchmal lassen wir das Zelt gleich stehen“, sagt die Bürgermeisterin. Mit den Erlösen der Feste, vor allem des Karnevals, wurden Fußwege gebaut, eine Rentnerbrigade hat die Kirche restauriert. „Früher war alles perfekter“, sagt Eylin Weber, zweite Tochter der Bürgermeisterin und Leiterin der Sängergruppe des Karnevalsvereins. „Aber heute ist es lustiger.“
Laaslich und das dazugehörige Lenzersilge bestehen aus 87 Gehöften mit 249 Einwohnern. Arbeitslosigkeit sei kein Problem, sagt Lysann Jacob. Abwanderung auch nicht. Im Gegenteil, fünf Familien seien wiedergekehrt nach der Wende. „Fünf weitere haben sich gesagt, hier ist was los, da ziehen wir hin.“ Lysann Jacob spricht über das Dorf wie über ein gut gedeihendes Forstprojekt und merklich nicht das erste Mal. Die einzigen „Schandflecken“ des Dorfes seien die Höfe mit ungeklärten Eigentumsverhältnissen. „Kai’s Scheune“ zum Beispiel verfällt immer mehr, dabei würden die Laaslicher darin gerne ein Gemeindezentrum einrichten.
Früher war die LPG Mittelpunkt des Dorflebens. Fast alle arbeiteten dort, auch die Freizeit wurde von ihr organisiert. Dann kam die Wende. Die meisten Amtsinhaber von damals traten zurück. Keiner wollte ihre Aufgaben übernehmen. Die Feuerwehr, der Karnevalsverein, eigentlich alles wollte nicht mehr so richtig weitergehen. Die Männer fanden nur außerhalb des Dorfes Arbeit, gingen teilweise auf Montage. Die meisten Frauen waren arbeitslos. „Einen Dummen muss man ja für die ganze Arbeit finden“, sagt Lysann Jacob. „Wir wollten ja nicht, dass alles kaputtgeht.“
Die Nachfolgerin der LPG, mit einem Dutzend Arbeitsplätzen noch immer Hauptarbeitgeber im Dorf, nennen die Laaslicher der Einfachheit halber „Die GmbH“. Wehrführerin Rita Zuther ist dort im Kälberstall tätig. Die Frauenfeuerwehr ist ehrgeiziger als die Männertruppe und auf den Wettkämpfen meistens besser platziert – das ist in Laaslich Binsenweisheit. „So viel Zeit wie die Frauen haben wir nun mal nicht“, sagt Carsten Höger, und die umstehenden Frauen nicken das ab.
Das Gerücht, die Frauen regieren, die Männer parieren, hält Rita Zuther für „Blödsinn“. Das meiste mache man sowieso gemeinsam, sagt Astrid Buls, 39, Vorsitzende des Karnevalsvereins. Nur so habe man nach der Wende an die 33 Jahre alte Karnevalstradition anknüpfen können und wurde dieses Jahr Gastgeber des Gebietskarnevals. „Der Medienrummel hat alles umgedreht und aufgebauscht.“ Zum Beispiel das mit dem „Karnevalskind“. Sie verdreht die Augen. „Wir sagen, eins der Kinder ist am 11. 11. geboren, und die schreiben, hier werden alle Kinder im Karneval gezeugt.“
„Dabei haben wir wirklich andere Sorgen“, sagt Angelika Schulz, Mutter von zwei Töchtern, Lehrerin und seit zehn Jahren Bürgermeisterin. Als Einzige war sie vor der Wende bereits für Kultur und Sport zuständig. Die Laaslicher betrübe vor allem, dass Ministerpräsident Stolpe nicht auf ihre Petition gegen die geplante Eingemeindung des Dorfes gehört habe. Die Laaslicher boykottierten deswegen sogar die Landtagswahl. Denn so etwas wie die Entscheidung, Evelyn Busse den kleinen Konsum im Gemeindehaus billig zu vermieten, „weil wir wollten, dass es so etwas gibt“, dürfte in einer größeren Gemeinde schwer durchzusetzen sein.
Trotz der drohenden Zwangseingemeindung 2002 wollen die Laaslicher sich dennoch kooperativ zeigen. Man könne ja den „Schwarzen Weg“ nach Nebelin ausbauen, vielleicht als Radwanderweg, dann gäbe es Zuschüsse.
Doch etwas Renitenz haben sich die führenden Frauen des Dorfes auch in der Frage der Eingemeindung bewahrt: „Da irrt sich Herr Schönbohm, wenn er denkt, das würde billiger. Dann wird der stellvertretende Bürgermeister nicht mehr umsonst den Rasen mähen. Dann macht das eine Firma und Schluss.“
Das Erntefest, die Hochzeit der Bürgermeisterin, der Tag der Einheit, die Musiktage der Nationen in Hannover, die Weihnachtsfeiern sind überstanden. Alle haben kräftig mit angepackt. Derweil schreiben die Männer schon an ihren Büttenreden, Kostüme werden genäht, die Sänger- und die Tanzgruppe beginnen mit den Proben.
Laaslich ist ein ganz normaler Brandenburger Ort, das lassen Sie sich mal gesagt sein. „Anfangs war ja alles ganz lustig“, sinniert irgendwann Lysann Jacob. „Dann haben die Männer – berechtigt – aufgemuckt“. Der Medienrummel bringt alles durcheinander, sagt Astrid Buls vom Karnevalsverein: „Die Männer machen doch die Arbeit. Die Frauen haben nur die leitenden Posten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen