: Bisher bloß Bullen gezüchtigt
Kein Einsatz für Kinderbauernhöfe, kein Schaulauf bei der Grünen Woche: Wie die neue Agrarministerin Renate Künast zwanzig Jahre lang jegliches Engagement im Kampf um den Erhalt der Berliner Landwirtschaft vermissen ließ – und Polizisten bändigte
von UWE RADA
Patsch, Klatsch, Matsch. Fünfundzwanzig Tomaten unterschiedlicher Güteklasse sowie mehrere Eier und andere landwirtschaftliche Erzeugnisse flogen an einem der letzten Augusttage des Jahres 1988 in Richtung des Kreuzberger Baustadtrats Werner Orlowsky. Zwar sei er gut in Form gewesen und habe 23 der 25 roten Geschosse mit Hilfe eines Aktendeckels abwehren können, erklärte der Politiker der damaligen Alternativen Liste. Anschließend aber musste Orlowsky, der ein Jahr zuvor den Kreuzberger Kinderbauernhof an der Adalbertstraße polizeilich hatte räumen lassen, das Weite suchen. Lange vor dem EU-Gipfel 1999 hatte Berlin seine ersten Bauernproteste. Und Renate Künast? Wo war Renate Künast?
Heike Bötziger versucht sich zu erinnern. „Nach der Räumung des Bauernhofs waren wir auf der Landesgeschäftsstelle der Grünen“, sagt die Mitbegründerin des Kinderbauernhofs. Dort habe Renate Künast, damals noch bloße Landtagsabgeordnete, zwar Bedenken gegenüber der Räumung geäußert. Doch für den Erhalt des Kinderbauernhofs habe sie sich nicht weiter stark gemacht. Die grüne Baupolitikerin Barbara Oesterheld, selbst Kreuzberger Urgestein ihrer Partei, kann das nur bestätigen. „Der Kinderbauernhof hat Renate Künast nicht interessiert.“ Kein gutes Zeugnis für die erste grüne Landwirtschaftsministerin der Republik.
Dabei war schon damals das ganze Dilemma der Berliner Agrarproduktion absehbar: Wer während des Kreuzberger Maiaufstandes 1987 den Bollemarkt am Görlitzer Bahnhof plünderte, konnte sicher gehen, Fleisch- und Wurstprodukte aus westdeutscher Massentierhaltung einzupacken.
Auf der anderen Seite sollte einige hundert Meter weiter der Kinderbauernhof an der Adalbertstraße, ein landwirtschaftlicher Musterbetrieb in Sachen extensiver Viehaltung, ein Drittel seiner Fläche lassen. So jedenfalls wollte es der Bezirk, und so wollte es auch Baustadtrat Orlowsky. Dabei hatte die Kreuzberger AL längst Front gegen den eigenen Stadtrat gemacht, hatte die Kreuzberger CDU den Kinderbauernhof eine „Eiterbeule“ genannt, hatten Demonstranten wochenlang Sonntagsspaziergänge zu ihrem „Berliner Wackersdorf“ veranstaltet, hatte ein Pyromane den Rohbau der Kita, der auf das Bauernland sollte, kurzerhand abgefackelt. So viel Bauernrevolte war noch nie in Westberlin. Nur Renate Künast ging den Landwirten nicht zur Seite. In den Juristenkreisen, in denen sie sich wohler fühlte als im bäuerlichen Milieu des „Waldekiezes“, nennt man das wohl „unterlassene Hilfeleistung“.
Heuzutage redet jeder vom Niedergang der Berliner Industrieproduktion. Doch wer redet vom anhaltenden Bauernsterben in der Hauptstadt? In Westberlin, bis 1989 ein Dorado für Nebenerwerbsbetriebe aller Art, gibt es heute nur noch 35 landwirtschaftliche Betriebe mit einer Nutzfläche von insgesamt 1.000 Hektar. „Es war nicht immer einfach, die Landwirtschaft in Berlin präsent zu halten“, resümierte deshalb schon vor fünf Jahren Joachim Kühne. Der „Berliner Heeremann“, wie der Vorsitzende der Berliner Fachgruppe Landwirtschaft in Anspielung an den langjährigen deutschen Bauernpäsidenten genannt wurde, hatte deshalb immer wieder klar gemacht, „dass die Bauernhöfe und die Felder als Fluchtpunkte zur Naherholung für die Städter dringend nötig sind“. Allein, bei der späteren Landwirtschaftsministerin kam diese Botschaft nicht an. Nicht einmal bei Kühnes Pensionierung in einer Lübarser Scheune ließ sich Künast blicken. Wahrscheinlich wusste sie nicht einmal, wo Berlins einziges Dorf liegt. Oder dass die Pferde in Lübars, auf denen jedes Wochenende die Kinder der Hauptstadt ausreiten, regelmäßig von Tierärzten untersucht werden, lange bevor es dazu irgendeiner Vorschrift bedurft hätte.
Inzwischen, so muss man leider feststellen, sind die Versäumnisse der Ministerin Künast Legion. Weder hat sie sich dafür eingesetzt, eine landwirtschaftliche Sprecherin in der Fraktion zu ernennen, noch hat sie um den Erhalt der Domäne Dahlem gekämpft. Dabei sollte dort auf dem Gelände des alten Landgutes sogar eine „Schweineversuchsanlage des Instituts für Tierernährung“ entstehen. Nur einmal, nach ihrer Wahl zur Parteivorsitzenden, ließ sie sich mit dem Kollegen Kuhn auf einem Biobauernhof blicken. Mit dem Erfolg, dass heute jeder grübelt, ob nicht der Kuhn, mit Vornamen Fritz, der Ländler mit der schwäbischen Mundart, ohnehin der geeignetere Nachfolger von Karl-Heinz Funke gewesen wäre?
Natürlich ist der fehlende Stallgeruch der Renate Künast auch den eigenen Parteifreunden nicht entgangen. Wolfgang Wieland zum Beispiel, in dessen Kanzlei Künast Anfang der Achtzigerjahre ihre Karriere als Anwältin begann, glaubt nicht einmal, dass Künast je an einem Eröffnungsrundgang bei der Grünen Woche teilgenommen hatte. Und Sibyll Klotz, dem grünen Landei im Amt der Fraktionsvorsitzenden, bleibt gar nur die Flucht ins Lakonische. „Immerhin“, sagt sie, „war Renate jahrelang für die Berliner Bullen zuständig.“
Zumindest das ist auch dem politischen Gegner aufgefallen. Ingo Schmitt, Generalsekretär der Berliner CDU, kommentiert den Ernennung Künasts als erstmalige Beteiligung des „ehemaligen Westberliner Revoluzzer-Sammelbeckens AL“ an der Regierung Schröder. Zumindest darin tut er Künast etwas Unrecht. An der Zähmung der Berliner Bullen, deren spezieller Virus nicht selten die Kreuzberg-Jacob-Krankheit auslöste, war die Grünen-Politikerin nicht unwesentlich beteiligt.
Aber das war auch schon alles. Wolfgang Wieland will seiner Kollegin zum Ministerantritt zwar ein paar grüne Gummistiefel schenken. Aber ob die der Anwältin den nötigen Stallgeruch verpassen werden, darf bezweifelt werden. Nur einmal, erinnert sich Wieland, hat Renate Künast einmal richtig die Sau rausgelassen: Sie ritt auf einem Schwein über die Felder. Doch das war im Wendland, bei der bäuerlichen Notgemeinschaft in Gorleben, weit weg von Berlin.
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