juttas neue welt: Grüner Tee und andere Entzugserscheinungen
Hätte nicht bereits mein Mitkolumnist am Ende des vergangenen Jahres an dieser Stelle sein Leid über den kaputten Computer geklagt, so würde ich es jetzt tun. Denn auch meiner Maschine geht es nicht gut. Kaum quetscht man den Einschaltknopf, fängt sie an zu jaulen. Nun ist sie in Behandlung, ein schwieriger Fall, meinte der zuständige Pfleger. Was bedeutete, dass ich mich auf die Suche nach einem Schreibasyl machen musste. Fängt ja gut an, das neue Jahr!
Doch zuversichtlich wanderte ich zu meinem internetsüchtigen Freund Steffen. Ich musste wie immer dreimal klingeln, bevor er mir aufmachte. Und als ich im zweiten Stock ankam, erwartete mich wie gehabt kein Steffen an der Wohnungstür. Alle Ansätze von Manieren hat er sich nämlich im Lauf seiner Onlinezeit weggeklickt. Also ging ich direkt in sein Arbeitszimmer. Aber ich sah nur einen Bildschirm, der mit einem schwarzen Tuch verhängt war, sowie eine mit einem Fahrradschloss umwickelte Tastatur. Steffen fand ich schließlich schuh- und strumpflos im Wohnzimmer, wo er seine Beine zum Lotossitz verknotet hatte. Ich könne mir ruhig ein Bier nehmen, meinte er geistesabwesend, aber ich solle ihn bitte nicht beim autogenen Training stören. Er habe nämlich den Neujahrsvorsatz gefasst, seine Onlinesucht effektiv zu bekämpfen. „Gesurft wird nur noch samstags von 11 bis 16 Uhr. Sonst bleibt die Kiste gesperrt.“ Nein, montagabends werde keine Ausnahme gemacht, ich könne die Kolumne sicher auch woanders schreiben. „Ich will nicht gleich in der ersten Woche rückfällig werden“, sagte er und murmelte etwas vom schwerer werdenden linken Zeigefinger.
Ich klingelte ein paar Straßen weiter bei Susi – noch ziemlich verwirrt über Steffens wundersame Heilung. Noch mehr erschrak ich, als mir ein Gespenst die Tür öffnete. Doch es war tatsächlich Susi, die sonst eigentlich ganz normal ist, sich aber eine Gurkensalatmaske aufgeklatscht hatte. Ich gewöhnte mich an ihren Anblick und dachte, ich könne ihr rauchenderweise bei einem Glas Wein von Steffen erzählen, doch sie schüttelte den Kopf. Sie trinke nur noch grünen Tee und Zigaretten rühre sie nicht mehr an. „Du kannst aber gerne meinen Computer benutzen, unterdessen will ich mein Liegestütztraining fortsetzen.“
Lustlos surfte ich durchs Netz, eine Kolumnenidee wollte mir hier nicht begegnen. Dafür schaute ich aus Solidarität bei den „Writers in Exil“ unter www.pen-deutschland.de vorbei. Und tippte zum Test „www.meine-freunde-spinnen.de“ in den Browser – Fehlanzeige, scheint mein Einzelschicksal zu sein. Verzweifelt hackte ich schließlich „gute vorsätze“ in die Suchmaschine. Immerhin ein Hoffnungsschimmer: Unter www.psychohelp.at erfuhr ich, dass Neujahrsvorsätze selten länger als ein halbes Jahr anhalten. Trotzdem war ich traurig, und in diesem Zustand darf man nichts niederschreiben. Ich fuhr Susis Rechner herunter, winkte ihr zu und ging nach Hause.
Hätte ich gewusst, was mich hier erwartet! Ich schlitterte entsetzt und völlig haltlos durch die glitschnasse Küche – mitten in dieser Sintflut stand die Mitbewohnerin und betrieb Hochleistungsputzen. Sie habe beschlossen, dass wir ab sofort besser sauber machen und immer aufräumen sollten. „Schöner wohnen eben“, resümierte sie und wischte zwischen meinen Füßen rum. Mir blieb nur noch eins: Ich warf mich auf den Boden und stellte mich schlafend. Ich wache erst wieder auf, wenn dieser Albtraum vorbei ist und meine Freunde wieder die Alten sind. Kann sich ja nur um Monate handeln. JUTTA HEESS
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