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Light my Stöckchen

Knusper Waldschrat: Robert Zemeckis’ Robinson-Crusoe-Adaption „Verschollen“ mit Tom Hanks in der Hauptrolle

Das Leben und die seltsamen Abenteuer des Chuck Noland, eines FedEx-Managers aus Memphis. Welcher vier Jahre ganz allein auf einer unbewohnten Insel im Südpazifik lebte, wohin er nach einem Flugzeugabsturz, bei dem die ganze Besatzung außer ihm selbst ums Leben kam, verschlagen wurde. Nebst dem Bericht, wie er sich auf wunderbare Weise selbst rettete.

Tja. Da hat Robert Zemeckis also für seinen neuen Film „Verschollen“ Daniel Defoes Roman „Robinson Crusoe“ adaptiert und aus dem postmerkantilen Handelsreisenden mit calvinistischem Geschäftssinn einen postindustriellen Zeit-ist-Geld-Fanatiker gemacht. Zemeckis’ Chuck „Crusoe“ Noland ist ein moderner Homo oeconomicus, dummerweise ohne Handy. Für dieses Abbild des heutigen Menschen eignet sich wohl keiner besser als Tom „Forrest Gump“ Hanks, der Amerikaner, sprich: der Mensch schlechthin.

Schon Robinson war ein reichlich kleinmütiger Held, der sich die Natur aneignete und auf seiner Insel den absoluten ökonomischen, sozialen und intellektuellen Individualismus lebte. Hanks agiert weniger anmaßend, wird aber schon allein deshalb den Oscar bekommen, weil er ja auf der Leinwand praktisch konkurrenzlos ist.

Ist Tom Hanks eigentlich der Typ, mit dem man auch nur zweieinhalb Stunden auf einer einsamen Insel verbringen möchte? Auf jeden Fall. Der Logistik-Traveller bemalt Höhlenwände, geht fischen, macht Krebse zu Sushi und knackt Kokosnüsse. Fürs Feuerchen muss er Stöckchen reiben, und dabei dürfen wir ihm minutenlang zusehen. Die Suggestionskraft von Bildern, auf denen ein Mensch ohne jede Handlung Dinge tut, sollte man nicht unterschätzen. Und Hanks’ sprichwörtliche Dämlichkeit lernt man geradezu lieben, wenn er in jedes Wäldchen sein „Hello“ quäkt und mit tumben Bewegungen ein „Help“ in den Sand schreibt. Er verhält sich nämlich wie einer, der sich unbeobachtet fühlt. Eben wie der erste Mensch, der die Entdeckung des Feuers mit einem prometheischen Veitstanz begrüßt: „Come on baby, light my fire“.

„Verschollen“ erzählt die schöne Mär vom Naturzustand, die uns seit der frühen Neuzeit zu verfolgen scheint. Rousseau gab den Eltern von Emile den Rat, dem Heranwachsenden nichts als Robinsonaden zu lesen zu geben – des vorurteilsfreien Zugangs zur Natur wegen. Andere faszinierte der proletarische Besitz von Produktionsmitteln. Voilà! Hanks erfindet den Faustkeil.

Doch bei Zemeckis drängelt sich die Zivilisation schon bald und reichlich forsch ins Bild, in Form angeschwemmter FedEx-Pakete. Robinson rettete aus seinem Wrack bekanntlich Schießpulver und ähnlich nützliche Dinge. Hanks bekommt ein Ballkleid, Videos, Schlittschuhe und einen Volleyball der Marke „Wilson“. Und erteilt der Wegwerfgesellschaft eine Absage. Das Kleid wird zum Netz, die Schlittschuhe eignen sich als Axt und – willkommen im Reich der Schmerzen – als zahnärztliches Instrument. „Wilson“, der Volleyball, deutungsschwer mit Eigenblut bemalt, wird sein Ansprechpartner mit Aussichten auf den Nebendarsteller-Oscar. Handlicher noch als Freitag, rettet er den zunehmend unansehnlichen Hanks vor der geistigen Deprivation. Denn nach vier Jahren Inseldasein ist die ewige Knubbelnase zum zotteligen Waldschrat mutiert, hat um fünfzig Pfund zugenommen, ist aber immer noch knusper.

Tatsachenberichte, die vermutlich auch Defoe vorlagen, berichten von einem Franzosen, der nach zwei Jahren Einsamkeit (und des ausschließlichen Verzehrs rohen Schildkrötenfleisches) dem Wahnsinn verfiel. So eine Geschichte hätte „Verschollen“ natürlich auch erzählen können, doch es geht schließlich schon seit jeher in den Erzählungen von der „einsamen Insel“ um eine Moral. Die greift im letzten Akt des Films. Nach seiner Rettung passt Hanks nicht mehr in die Gesellschaft. Denn, so lautet Zemeckis’ und Hanks’ zartbitteres Pralinenschachtelfazit, nicht das Überleben, sondern das Leben ist schwierig. Und man muss erkennen, was „wirklich wichtig“ ist. Das ist hundertmal ehrlicher als Defoes Survival-Saga, aber auch so harmlos traurig, dass der Insel-Entrepreneur Robinson darüber gelacht hätte. Das Vorbild aller Start-ups ist gleich wieder auf seine Insel gefahren, hat zuerst eine Familie gegründet, dann ein Empire und später wahrscheinlich FedEx. Der FedEx-Chef Fred Smith hat übrigens einen Gastauftritt. PHILIPP BÜHLER

„Verschollen“. Regie: Robert Zemeckis. Mit Tom Hanks, Helen Hunt u. a., USA 2000, 143 Min.

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