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Symbol „Ausländer“

Die deutsche Einwanderungsdebatte schwankt zwischen den untauglichen Konzepten „Multikulti“ und „Integration“. Politikansätze der Nachbarländer werden ignoriert

Integrationspolitik muss die Benachteiligung bei Ausbildung und Beschäftigung bekämpfen

„Multikulti“ ist seit letztem Jahr out. Neuerdings wird wieder die abendländische Zivilisation beschworen – ununterbrochen ist die Rede von Demokratie, Gleichheit vor dem Gesetz und Gleichstellung der Geschlechter. In diesem Sinne wollte Renate Künast als grüne Parteivorsitzende die Asiaten in Deutschland den Individualismus lehren, und der Dichter Wolf Biermann betonte kongenial, dass die Türken und Araber, die keine „westliche demokratische Kultur“ kennen, sich hier an die Regeln halten müssten – sonst heiße es zurück in die „alte Barbarei“. Rita Süssmuth wiederum, Vorsitzende der Einwanderungskommission, verlangte sogar, dass es keine „rein ethnisch ausgerichteten Discotheken und Sportvereine“ mehr geben solle.

Seit dem letzten Jahr fühlt man sich in die mittleren Siebzigerjahre zurückkatapultiert. Damals kam das Schlagwort „Integration“ auf, wobei sich die Liste der „Ausländer-Defizite“ aus jenen Tagen kaum verändert hat: Sprache, Ghettoisierung, Kriminalität – alles besonders schlimm in der ewigen „zweiten Generation“. Neu hinzugekommen sind mittlerweile – quasi als heruntergekommene Errungenschaften der Alternativbewegungen – mangelndes Demokratieverständnis und Sexismus. Die „Ausländer“ sind dabei ein höchst komfortables symbolisches Spielzeug: Solange man „sie“ noch Demokratie und Emanzipation lehren kann, fällt gleich viel weniger auf, wie rasant unter den Eingeborenen die Wahlbeteiligung schrumpft oder dass Deutschland in puncto Gleichstellung der Geschlechter im Westen das Schlusslicht bildet. Besonders die Bemerkungen der erstaunlich schnell zur Expertin in Migrationsfragen avancierten Süssmuth zeigen, worauf die ganze Rede von der Integration wieder einmal hinausläuft: auf kulturelle Anpassung im herkömmlichen Sinne.

Dabei gleicht die Kampfansage an „ethnisch ausgerichtete“ Diskotheken einer Sabotage der Integrationsbemühungen von Migranten. Denn der Rückzug in ethnisch aufgeladene Räume ist zunächst einmal zweifelsohne eine Reaktion auf die permanente Ausgrenzung. So hat der Essayist Imran Ayata einmal beschrieben, dass er ein türkisches Männercafé besucht, weil er dort den ununterbrochenen einheimischen Fragen nach seiner Herkunft entkommt: Es geht also oft nicht um ethnische Zugehörigkeit, sondern vielmehr um Individualität. Zudem hat die Ethnologin Ayse Caglar bei Interviews mit den Besitzern von türkischen Kneipen und Clubs in Berlin herausgefunden, dass diese sich zwar Anregungen aus der Türkei holen, aber vor allem modern sein wollen.

Hierzulande jedoch wird jede sichtbare Differenz immer noch eins zu eins als potenziell gefährlicher Ausdruck fremder Sitten interpretiert. Beim genaueren Hinsehen erweisen sich solche Differenzen allerdings oft als kreative Formen von Selbst-Eingliederung in einem Land, das zwar viel von Integration spricht, aber bislang fast nichts dafür getan hat. Anstatt diese Äußerungsformen als mögliche Ausgangspunkte dafür zu betrachten, wie sich Einwanderer ins öffentliche Leben einbeziehen ließen, werden sie stets zum Objekt einer zwanghaften Regulierungswut in kulturellen Fragen.

Tatsächlich war auch der Begriff Multikulturalismus in diesem Sinne zu verstehen – selbst die Verniedlichung „Multikulti“ konnte den Beigeschmack der Sortierung von Unterschieden und Toleranzgrenzen nicht verhindern. Vor allem in der Pädagogik ist die Bezeichnung daher seit Jahren unter Beschuss. Die einen halten Multikulturalismus für eine demokratiegefährdende, weil zu sehr auf Ethnizität bezogene Beschreibung der Gesellschaft. Die anderen kritisieren den zu starren Kulturbegriff, der die Einwanderer zu sehr auf ihre Herkunft festnagelt.

In letzter Zeit hat sich daher schleichend der Ausdruck „Interkulturalität“ durchgesetzt, der auf den Prozesscharakter der kulturellen Entwicklung und auf gegenseitiges Lernen abhebt. In Großbritannien hat sich die theoretische Debatte derweil noch weiterentwickelt. Während auch Interkulturalität immer noch auf die Unterschiede zwischen Kulturen abhebt, interessieren sich Stuart Hall oder der gerade ins Deutsche übersetzte Homi Bhabha vor allen Dingen für die Differenzen innerhalb von kulturellen Identitäten. Tatsächlich gibt es überhaupt keine Mehrheitskultur mehr ohne Referenz auf die Kultur der Migranten; und die Identität der Minderheiten ist nicht ohne die Anforderungen der Majorität denkbar.

Die britische Diskussion verdeutlicht auch, dass kulturelle Unterschiede in einer Einwanderungsgesellschaft mit ungleichen Machtverhältnissen zu tun haben. Insofern ist es nicht nur notwendig, Kultur als Prozess zu verstehen, sondern gleichzeitig die Integrationspolitik nicht auf die Sphäre der Kultur zu beschränken. In Deutschland werden alle Probleme als kulturell interpretiert – und darin ähneln sich alle bisherigen Vorschläge zum Leben in der Einwanderungsgesellschaft. In anderen europäischen Ländern ist man weniger beschränkt. Während die Niederlande hier gewöhnlich nur als Vorbild dafür gelten, wie man mit Zwangsmaßnahmen den Erwerb der Landessprache fördert, gibt es dort seit zwanzig Jahren ein wesentlich breiteres Integrationskonzept. Priorität hatte dort stets, die Benachteiligung der Migranten bei Ausbildung und Beschäftigung zu bekämpfen. Man will Diskriminierung vermeiden und die Migranten ermuntern, sich in den wichtigen gesellschaftlichen Bereichen zu beteiligen (etwa Wohnungswesen oder Bildung und Erziehung). Was die kulturelle Vielfalt betrifft, so zielt die niederländische Politik vor allem auf die Voraussetzungen ab: auf Chancengleichheit und die tatsächliche Pluralität der Institutionen.

In Deutschland werden alle Probleme der Einwanderungsgesellschaft als kulturell interpretiert

Nun ist keineswegs alles in bester Ordnung in den Niederlanden. Dennoch könnte dieser breitere Ansatz als Orientierung dienen. Die Situation besonders der jüngeren Migranten auf dem deutschen Arbeitsmarkt ist dramatisch – eine sinnvolle Integrationspolitik darf diese Marginalisierung nicht länger hinnehmen. Die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts muss weiter vorangetrieben werden: Die jüngsten Einbürgerungsquoten zeigen, dass die Änderungen weniger als Angebot, sondern eher als Anpassungszwang verstanden werden. Auf kultureller Ebene kann es nicht darum gehen, ständig die Infrastruktur der Migranten unter die Lupe zu nehmen und sich über „rein ethnische Sportvereine“ zu erregen – sondern die hiesigen Kulturinstitutionen müssen zunächst überprüft werden, ob sie Migranten teilhaben lassen und der Realität einer pluralen Gesellschaft gerecht werden. Zudem muss die Bundesrepublik in diesem Jahr die Richtlinien der EU zur Antidiskriminierung umsetzen. Eine gute Chance, endlich den Blickwinkel zu verbreitern und die Kulturbesessenheit abzustreifen. Bekanntlich sind die meisten „Ausländer“ nicht den lieben langen Tag mit der Ausübung ihrer Religion, dem Verprügeln von Frauen oder dem Untergraben der Verfassung beschäftigt.

MARK TERKESSIDIS

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