: Nicht mehr sexy? Eben drum
Warum die taz noch immer viel und anders über Länder der so genannten Dritten Welt berichtet
von BERND PICKERT
Das Ausland ist groß, die taz ist klein, und damit ist ein Teil des Dilemmas bereits recht präzise beschrieben. Von Beginn an war die Auslandsberichterstattung bewusst prägend für die Zeitung, entstand die taz doch in einer Zeit, als sich eine ganze Bewegung innerhalb der deutschen Linken über ihre Solidarität zu den damals noch ungebrochen „Befreiungsbewegungen“ titulierten Guerillas insbesondere Lateinamerikas politisch definierte. Nicht nur in der innenpolitischen Auseinandersetzung konnte eine Zeitung wie die taz andere Akzente setzen - unterdrückte Nachrichten, ungedruckte Sichtweisen gab und gibt es auch aus dem Ausland.
Ziel: Verwurzelt sein
Noch heute schreibt das Redaktionsstatut fest, die taz betrachte Berichterstattung aus dem In- und Ausland als gleichwertig. Auch deshalb unterhält die taz mit ihren bescheidenen Mitteln ein recht dichtes Netz von KorrespondentInnen in aller Welt. Ihnen ist gemein, dass es keine journalistischen ÜberfliegerInnen sind, die als Reporterstars heute hier, morgen dort einfliegen, sondern Menschen, die mit ihren Ländern und Regionen seit langem verwurzelt sind, eine besondere Beziehung zu ihrem Berichtsgebiet aufgebaut haben und das auch in ihren Texten spüren lassen - ob nun Toni Keppeler in San Salvador oder Ralf Sotscheck in Dublin, Dorothea Hahn in Paris oder Jutta Lietsch in Bangkok.
Und doch sind wir nie zufrieden. Wer sich Ordner mit taz-interner Korrespondenz ansieht, wird mindestens in den letzten zehn Jahren ein Kontinuum finden: Die Klagen „des Auslands“, wie das Ressort im Haus einfach heißt, über viel zu wenig Platz. Die KorrespondentInnen klagen, mit ihren Geschichten nicht ins Blatt zu kommen. Die Redaktion klagt, die jeweils letzte Blattreform habe bewirkt, dass keine kontinuierliche Berichterstattung mehr gewährleistet werden könne. Und stolz zur Untermauerung der Ressortmeinung abgeheftete LeserInnenbriefe beklagen, früher sei die Auslandsberichterstattung viel mehr und viel fundierter gewesen und überhaupt habe man die taz nur deswegen gelesen.
Es stimmt: Wir sind maßlos. Wir wollen, etwas profunder, wenn es geht, die Nachrichten bringen, die die Agenturen auch melden - das gehört dazu. Aber wir wollen auch dann berichten, wenn es die Agenturen nicht tun; etwa auf einer ganzen Seite zum US-amerikanischen „Plan Colombia“, der nach einer militärischen Lösung im Konflikt zwischen Guerilla und Militär in Kolumbien strebt. Oder über die früheren Opfer des Wirbelsturms „Mitch“ in Nicaragua und was zwei Jahre später aus ihnen geworden ist. Oder wir lassen den unabhängigen kubanischen Autor Reynaldo Escobar über die Spekulationen schreiben, Fidel Castro könnte auf die Expo nach Hannover kommen.
Noch immer hat die taz in ihrer Auslandsberichtserstattung ein stärkeres Gewicht auf Themen aus Ländern der so genannten Dritten Welt als andere.
Ein überlebtes Konzept, ein Relikt aus den Hochzeiten der Solidaritätsbewegung? Wohl kaum. Natürlich gilt es heute, auch die Entwicklung der Europäischen Union und die Staaten des ehemaligen Ostblocks stärker zu beobachten, und auch unser Binneninteresse an der Politik der USA hat sich verändert - doch die grundsätzlichen Verhältnisse in den Ländern des Südens, die immerhin einen großen Einfluss auf globale Fragestellungen von Umwelt über Migration bis Frieden und Gerechtigkeit haben, sind ja noch immer die gleichen, auch wenn es schon lang nicht mehr sexy ist, darüber zu berichten.
Die taz will sich den Modeerscheinungen entziehen, daher werden wir weder anfangen, unbedingt lange Reportagen über alte Männer in Kuba drucken zu wollen noch Kolumnen von Mumia Abu Jamal. Natürlich gucken wir in den Nahen Osten, wenn der Friedensprozess dort auf Messers Schneide steht - und doch können wir auf den täglichen 100-Zeiler anläßlich immer neuer Politikertreffen gut verzichten. Natürlich melden wir Lawinen, die Snowboarder erschlagen - mehr aber interessiert uns, wie es ein Jahr nach dem Untergang des Öltankers „Erika“ vor der Bretagne aussieht.
Ziel: Antizyklisch sein
Ein selbstgemachter Anpassungsdruck verursacht mitunter seltsames Unwohlsein beim Versuch, eine wenigsten etwas antizyklische Berichterstattung in der täglichen Produktion umzusetzen. Dass wir das dennoch meist hinbekommen, ist in der taz nachzulesen. Und das trotz viel zu wenig Platz.
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