Luftblasen im Meer

So treibt Ellie durch Berlin: Bianca Döring feiert in ihrem neuen Roman Metaphernexzesse und entkommt endlich dem Makel des ewigen Talents

von ANGELIKA OHLAND

Die Frau ist weiß, ihr Oberkörper nackt, die Brüste hält sie bedeckt mit Händen, die in Netzhandschuhen stecken. Weiß ist auch der Hintergrund, aus dem sich zwei ebenfalls weiße Pflanzen – sind es Fleisch fressende? – hervorstülpen. Aus diesem entrückten Eisweiß sticht das Rot der Lippen hervor, rot sind auch die Augen der Frau und ihre Haare. Wenn man dieses Cover anschaut, muss man das Buch eigentlich gar nicht mehr lesen, so deutlich ist seine Sprache. Und es ist ja nicht mal falsch, was da bildhaft behauptet wird: Frau sucht offensiv erotischen Kontakt zur Welt und fühlt sich dabei so fremd, als käme sie von einem anderen Stern – ein „Little Alien“ eben, so der Titel.

Wenn man das Buch dann doch liest, ist es verblüffend kompliziert. Wobei die Geschichte als solche durchaus simpel ist, aber sie sagt über diesen Roman eben so gut wie nichts: Eine Frau zieht aus dem verhassten Dorf nach Berlin, mittel- und arbeitslos treibt sie durch die Stadt, lernt einen Barpianisten und andere kuriose Charaktere kennen und verliebt sich unsterblich in einen Mann mit bernsteinfarbenen Augen. Na und? Wäre Bianca Döring eine Kandidatin für den deutschen Erzählhype, wäre dieser Roman zu Ende, bevor er begonnen hat. Aber diese Autorin hat mit gut geschmierten Geschichten oder gar mit der Konstruktion von Plots nicht viel am Hut. Sie zielt auf Töne, genauer: auf jene Dissonanzen, die sich ergeben, wenn die Schnittmenge zwischen Subjekt und Welt auf ein Minimum schrumpft, wenn Wahrnehmung und Realität nicht mehr zur Deckung kommen. Dörings Welt ist wie ein Meer, in dem die Figuren eingeschlossen in großen Luftblasen schweben – staunend blicken sie um sich, schweben hierhin und dorthin, sind unerreichbar und fremd.

So treibt Ellie durch Berlin, ein mal autistisches, dann wieder hyperkommunikatives Bündel Mensch, das sich nach einem Paar bernsteinfarbener Augen verzehrt. Der schöne Herr Doktor aber hat offenbar anderes im Sinn. Nur sieht Ellie das nicht, will es nicht sehen. Von Sinnen zieht sie mit einer Tasche voller Rosen durch die Stadt, schläft im Dom, trinkt Kaffee im Tacheles, kauft Chips für den Jungen von der Straße; ist erschüttert, als ihre Freundin vom Land sich scheiden lässt und damit die letzte bürgerliche Bastion in ihrem Leben fällt. Ellie nähert sich dem Wahnsinn. Berlin zeigt sich als Jagdrevier für eine Frau, die ganz und gar den Gesetzen der Subjektivität verpflichtet ist – und die den Strategien ihrer Mitmenschen gnadenlos unterliegt. Denn Ellie hat nichts, womit sie sich gegenüber dem zielgerichteten Handeln anderer behaupten könnte. Überdreht, absurd, witzig ist dieser Roman in seinen besten Passagen, makaber sind seine plötzlichen Einbrüche von Realität.

Döring schreibt in Bildern. Metaphern sind ihr bevorzugtes Mittel, um Empfindungen auf Papier zu bannen. Und weil die Empfindungen so reich sind, feiert sie wahre Metaphernexzesse. Doch anders als in ihrer Lyrik ist sie im Roman viel weniger streng mit sich, wenn es um den Willen zur Form geht. Die Bilder wallen und tosen, sie reißen den Leser fort und geben keine Ruh. Das ist grandios, wird aber einfach nur anstrengend, sobald die Bilder nicht ganz stimmen. Manchmal sind es nur Nuancen, und der Ton wird überspannt. Außerdem hat der enge Fokus, der bei der Protagonistin wie ein Brennglas wirkt, auch einen Nachteil: Er beschränkt die Gesamtsicht. Gegenüber der Hauptfigur bleiben die anderen Figuren fahl.

Bianca Döring gilt als das, was mal ewiges Talent hieß. Sie war schon die Hoffnung der jungen deutschsprachigen Literatur, als diese noch als hoffnungslos galt. Seit gut zehn Jahren veröffentlicht sie kontinuierlich Erzählungen (unter ihnen „Ein Flamingo, eine Wüste“ und „Schnee und Niemand“, beide bei Suhrkamp) und Lyrik (ihr letzter Band „Schierling und Stern“ ist bei Zu Klampen erschienen). Sie tritt mit Performances auf, und wie man hört, malt sie auch und macht Musik. 1999 dann hat sie ihren ersten Roman geschrieben, „Hallo Mr. Zebra“, eine hochfliegende Abrechnung mit der hessischen Provinz der Fünfzigerjahre, ein finsteres, ein böses Buch, das nur durch den Schutzschild der Hyperrealität zu ertragen ist.

Gut ein Jahr später nun liegt bereits ihr zweiter Roman vor. Und es wäre fatal, wieder nur zu behaupten, diese Autorin habe Talent. Sie ist ein Profi durch und durch. Von welchem anderen deutschsprachigen Autor erfahren wir derzeit so viel über die subjektive Wahrnehmung einer Frau, die relativ unabhängig von der Welt „da draußen“ Bilder produziert und nach ihnen ihr Leben ausrichtet? Diese Konsequenz des Blicks ist Dörings Stärke, ihre literarische Spezialität. Zugleich aber markiert sie die Grenze dieser Autorin – da ergeht es ihr nicht anders als Marlene Streeruwitz oder Elfriede Jelinek. Ihnen hat Bianca Döring allerdings auch etwas voraus: Von den gängigen Kausalitätsmustern, nach denen jene Autorinnen ihre Frauengeschichten bisweilen totreiten, lässt sie sich wenig beeindrucken.

Bianca Döring: „Little Alien“. dtv,München 2000. 234 Seiten, 28 DM