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Kälteschock in Sibirien

Der jüngste Rekordfrost verweist einmal mehr auf grundlegende Mängel der Infrastruktur

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

Bevor Frostbeulen ihre Gesichter zieren, beschlossen die Einwohner der von einer Kältewelle heimgesuchten Hafenstadt Wladiwostok im russischen Fernen Osten auf die Straße zu ziehen. Dort ist es auch nicht viel kälter als in den Wohnungen, die seit einer Woche kaum noch beheizt werden. Bewegung und aufgeladene Emotionen halten den Körper wenigstens von innen warm.

Vorbei ist es mit der russischen Geduld, die den ansonsten hartgesottenen und frosterprobten Russen rät: „Setz dich ans Meer und warte auf besseres Wetter.“ Aus Protest blockierten die Wladiwostoker zu Wochenbeginn den binnenstädtischen Straßenverkehr. Erfolglos. Die örtliche Verwaltung reagierte mit Achselzucken, Motto: Wo keine Kohle ist, kann nicht geheizt werden. Das ist im doppelten Wortsinn zu verstehen. Die örtliche Kohlegrube „Lutek“ kann den Bedarf nicht decken. Es wurden Investitionen eingespart, die nötig gewesen wären, um unter extremen Witterungsbedingungen zu fördern. Überdies liegen seit Jahren die Lokalbehörden mit dem russischen Stromversorger, den staatlichen Vereinigten Energiesystemen (RAOES), wegen unbezahlter Stromrechnungen im Clinch. In der Region Primorje gehören daher Engpässe in der Energieversorgung zum Alltag. Selten hatten die Haushalte mehr als vier Stunden Strom am Tag.

Der Rekordfrost, der über dem Fernen Osten, Süd- und Mittelsibirien seit zehn Tagen mit Temperaturen bis zu minus 50 Grad hereingebrochen ist, hat die Mangellage bis an den Rand des Unerträglichen zugespitzt. Die Temperatur fiel bis zu 30 Grad unter den Durchschnittswert.

Im Süden Sibiriens sind die Winter nicht so unerträglich wie es die zweistelligen Temperaturen unter Null nahe legen mögen: Ein beständiger Hochdruck beschert viel Sonnenschein und trockene Luft, so dass sich die Kälte aushalten lässt.

Der Dauerfrost führt wieder Mängel vor Augen: Die lokalen Planer denken nur wenige Tage im Voraus und sind für Ausnahmesituationen oft ungenügend gerüstet. Ganz zu schweigen von der Infrastruktur. Noch werden alle russischen Wohnungen mit Fernwärme versorgt. Das über Jahre vernachlässigte Leitungssystem ist marode. In Krasnojarsk, das von Väterchen Frost hart geprüft wurde, sind Fernwärme und Gasleitungen nur auf 38 Grad unter Null ausgelegt. Versucht die Feuerwehr, Rohre mit Schweißbrennern aufzutauen, bersten oft die Leitungen.

Russlands oberster Stromherr, Anatolij Tschubais, wies vor der Duma darauf hin: Selbst wenn alle Schulden bei RAOES getilgt würden, kehre keine Behaglichkeit ins Heim zurück. Wegen angefressener Rohre versickerten zwei Drittel des heißen Wassers im Boden. Stellenweise haben in Sibirien Diebe ganze Rohre abmontiert und als Altmetall verhökert.

Das Problem ist nicht nur auf den Winter beschränkt. Wird sich etwas ändern? Tschubais gibt sich pessimistisch: Um solche gigantischen Mängel zu beheben, „brauchen wir ein Maßstäbe setzendes Langzeitprogramm, aber das sehe ich nicht am Horizont“. Während der Osten und Sibirien schlottern, schwimmt Moskau in Petrodollars bei gemäßigten Temperaturen. Immerhin hat sich ein Vertreter der RAOES nach Wladiwostok aufgemacht, um einen Ausweg aus der Krise zu suchen. Eigentlich wäre es die Aufgabe Wladimir Putins, der versprach, für alles Verantwortung zu übernehmen. Dafür konstruierte er eine neue „Vertikale der Macht“. Die funktioniert nur einseitig. Von der Bündelung der Kompetenzen profitieren die Provinzen bisher nicht.

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