: Wahnsinnsstau im Stall
Bauernverband befürwortet Massenschlachtungen. Diskussionen über die Verwendung des Fleisches. EU kritisiert deutsche Agrarpolitik. Neue Theorie über BSE-Infektionswege. Länder üben Druck auf panschende Wursthersteller aus
von MAIKE RADEMAKER
Vor der heutigen Bundestagsdebatte zu BSE ging gestern der Streit um die Schlachtung von 400.000 deutschen Rindern weiter. Die EU-Kommissare David Byrne (Gesundheit) und Franz Fischler (Agrar) verteidigten die Massentötung und stellten sich so gegen den bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, der sie aus ethischen Gründen ablehnt. Auch der Präsident des deutschen Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner, sprach sich für Massentötungen aus. Als Grund führte er die enormen Verluste an und den „Stau“, den allein in Bayern 60.000 unverkäufliche Tiere in den Ställen verursachten.
Umstritten ist auch weiterhin, ob die Tiere nach einer Massenschlachtung verbrannt, gelagert und verkauft oder exportiert werden sollen. Eine kostenintensive Lagerung würde den EU-Haushalt vor erhebliche finanzielle Probleme stellen, ohne dass sicher sein kann, dass das Fleisch später verkäuflich ist. Verbraucherschutzministerin Renate Künast (Grüne) lässt derzeit das Schlachtprogramm und Alternativen zur Verbrennung prüfen.
Zur Eindämmung der BSE-Krise hatte die EU im Dezember eine Milliarde Euro bewilligt. EU-Haushaltskommissarin Michaele Schreyer warnte gestern in der Frankfurter Rundschau bereits, dass jede Erhöhung dieses Etats Sparmaßnahmen an anderen Stellen des Ressorts bedeuten würde. Zusätzliche Mittel könnten nicht bewilligt werden. Die Bundesregierung müsste sich zu 30 Prozent an den Kosten beteiligen, hat aber bisher keine Zustimmung gegeben. Gleichzeitig fordern die Bauern die Übernahme von Kosten wie BSE-Tests und Liquiditätshilfen. Sonnleitner versprach seinerseits zur Eröffnung der „Grünen Woche“ in Berlin den Aufbau einer „gläsernen Produktion“.
Für die Debatte im Bundestag liegen Anträge der Koalition, der Union und der PDS vor. SPD und Grüne fordern die Tötung der gesamten Herde, Union und PDS umfassende Hilfen für die Betriebe. Bis zum Abend bereiteten außerdem die Agrar-Staatssekretäre der Länder ein Programm zur BSE-Bekämpfung vor.
EU-Agrarkommissar Fischler kritisierte gestern die bisherige deutsche Landwirtschaftspolitik. Es würden nicht alle Möglichkeiten für eine umweltgerechte Landwirtschaft genutzt. Den Anstoß zu einer Agrarwende befürworten nach einer Umfrage des Forsa-Institutes auch drei Viertel aller Deutschen. Deren Vertrauen in Rindfleisch ist gleichzeitig dramatisch gesunken, nur noch 16 Prozent glauben, dass Rindfleisch sicher ist. Bei Landwirtschaftsprofessoren stößt die neue Agrarpolitik der Bundesregierung allerdings auf Skepsis. Die 33 Professoren wiesen in einem Aufruf darauf hin, dass die Ursachen der BSE-Krise nicht in der traditionellen Landwirtschaft lägen, sondern in mangelhaften Kontrollen von Verboten.
Die Bundesanstalt für Fleischforschung in Kulmbach hat gestern eine neue Theorie zur Infektionsmöglichkeit für BSE vorgestellt. Demnach könnten sich Rinder durch Verletzungen im Magen- und Darmtrakt infizieren, die durch das Verschlucken spitzer Gegenstände entstehen.
Die Bundesländer wollen spätestens von Montag an Namen von Wurstherstellern nennen, wenn sie Erzeugnisse fälschlich als rindfleischfrei deklarieren.
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