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Die Unglücklichen vom Hartplatz

Warum Fortuna Erfurt nicht mehr die schlechteste Fußballmannschaft Deutschlands sein möchte

ERFURT taz ■ Wie änn? sagt Mario Floßdorf, der Präsident. Muss, antwortet Trainer Wolfram Noe müde. Ein Samstag auf einem Trainingsplatz in Erfurt beginnt mit dem in Thüringen üblichen Begrüßungsritual. Der Platz ist knochenhart. Letzte Woche war der Schlamm knöcheltief. Noe schlendert kopfschüttelnd über die Asche. Er findet die Platzverhältnisse „fast unmenschlich“, schlicht eine Zumutung für sein Team, Fortuna Erfurt. Einen Rasenplatz hätten sie sich längst verdient, die Spieler der Erfurter Stadtklasse zwei, Staffel eins. Wenigstens das.

Sie sind nicht irgendwer. Sie sind viel berühmter als ihre Konkurrenten, die TSG Stotternheim zum Beispiel oder Blau-Weiß Büßleben. Fortuna ist nämlich die schlechteste Fußballmannschaft Deutschlands. Beziehungsweise – sie war es. Im Sommer 1999 suchte Sportbild die übelsten Kicker des Landes. Am überzeugendsten konnte Fortuna darlegen, dass sie des Titels würdig sind. Mario Floßdorf wucherte mit kapitalen Niederlagen. 2:33 gegen Empor Erfurt. 0:23 gegen Bischleben. 1:21 gegen Molsdorf. Das Torverhältnis las sich wie das einer hundsmiserablen Handballmannschaft.

Die Thüringer Allgemeine lästerte über die „Schießbude der Liga“. Die Gegner gossen Kübel voller Häme über den Fortunen aus. Wer nicht zweistellig gewann, machte sich zwischen Ingersleben und Erfurt-Vieselbach unmöglich. Anfangs kultivierten die Mannen Noes das Image der Verlierer. Floßdorf stellte selbstbewusst fest, potenziertes Unvermögen mache einfach sympathisch. Und: „Antihelden sind in.“ Was heißen sollte, Antihelden seien heutzutage die wahren Helden. Ja, sie waren kurzzeitig die Helden des Hartplatzes am Erfurter Gebreite. Oder Halbhelden, wie ein Sportreporter des Fernsehens wissen wollte.

Fortuna Erfurt wurde zum MDR eingeladen. Promis kickten gegen sie. Von Sponsoren wurde die Mannschaft in neue Trainingsklamotten gesteckt. Versicherungsvertreter blickten mit den Fortunen von den Lokalspalten, weil sie einen Ball überreicht hatten. Manchmal kamen sogar 20 Zuschauer zu den Spielen. Floßdorf durfte fortan nicht nur offensiv im Mittelfeld spielen, sondern auch den Pressesprecher, später gar den Präsidenten. Eine zwangsläufige Entwicklung, war der 29-Jährige doch schon immer der „heimliche Machthaber“ des Vereins. Ab und an machte ein Kamerateam Aufnahmen. Mitglieder strömten zu den Underdogs. „Wenn wir alle genommen hätten, wären wir der mitgliederstärkste Verein in Thüringen geworden“, sagt Floßdorf bescheiden.

Irgendwann war Fortuna es leid, zum Narren gehalten zu werden. Jeder Thüringer hatte wenigstens einmal über die kickenden Hanswürste geschmunzelt. Das reicht, meinte Floßdorf. Kokettierte Flossi, wie er von seinen Kumpels genannt wird, mit einem Talk im Kreise Reiner Calmunds und Franz Beckenbauers, zu dem er angeblich nach Frankfurt/Main geladen war, so blockert er nun fast jeden Kontakt zu den Medien. Ein Trainerstammtisch des Bayrischen Fernsehens wurde jüngst ebenso abgelehnt wie die Einladung zu „Was bin ich?“ auf Kabel 1.

Fortuna will nicht mehr veralbert, sondern ernst genommen werden, ein Vorhaben, das zu Saisonbeginn Früchte trug. Fortuna war Tabellenführer. Trainer Noe (50) rühmt sich, dass seit seinem Amtsantritt kein Spiel zweistellig verloren ging, was unter anderem auf die „Supermoral“ und die kämpferisch „saustarken“ Auftritte seiner Truppe zurückzuführen sei. Der Thüringer Fußballverband beendete aber das Dasein an der Spitze, denn Fortuna hatte einige zu junge Spieler aufgestellt. Neun Punkte (Präsident Flossi: „Wahnsinnig viele Punkte.“) wurden abgezogen, Fortuna ging als Vorletzter in die Winterpause. „Die Punktabzüge haben uns frustriert“, sagt er. Deswegen verloren sie wohl nach einem geschichtsträchtigen 8:0 über Stotternheim II wieder 1:8 (Bischleben II) und 2:5 (Eintracht Erfurt).

Die Attacke des Fußballverbands taugt den Fortunen zur Dolchstoßlegende. Nur durch Vereinsmeierei seien sie 1999 ins Dilemma gestürzt worden. Der Verband schlug die unglücklichen Balltreter nach ihrem Eintritt in den Spielbetrieb der 1. Stadtklasse zu. Viel zu hoch, meint Fortuna. Dort bezogen sie bekanntlich schlimme Haue. Nun sagt Floßdorf mit gespielter Verbitterung: „Wieder sind wir nicht erwünscht in der Liga.“ Anerkennung will man sich in Zukunft erarbeiten, mit „seriösem Auftreten“ und der Abkehr vom „Negativimage“.

„Alle denken, wir haben unendlich viel Kohle gemacht, aber das ist nicht so“, klagt Noe. Immerhin, bemerkt Jochen Coenen von Sportbild, hätten sie alle Annehmlichkeiten bekommen, die „schlechte Amateurfußballer so schätzen“: Ein bisschen Öffentlichkeit, Artikel zum Ausschneiden fürs Album, schicke Spielkleidung.

Zu einem ordentlichen Rasenplatz hat es freilich nicht gereicht. Dabei, verzweifelt Noe, halten sie doch auch nur ihre Knochen hin. Wie alle.

MARKUS VÖLKER

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