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Jungs werden zu Tätern, Mädchen zu Opfern

■ Kritik an der Plakat-Aktion für mehr Respekt vor Kindern: Feministische Verschwörung gegen Männer oder das ganz normale Klischee?

Auf dem einen Bild ist ein kleiner Junge zu sehen, auf dem anderen ein kleines Mädchen. Beide haben eine rote Schramme im Gesicht, die sich bei genauerem Hinsehen als Text entpuppt. Beide Bilder gehören zu einer Anzeigenkampagne „Mehr Respekt vor Kindern“ des Bundesministeriums für Familie und sollen die Öffentlichkeit auf einen im letzten Jahr verabschiedeten Gesetzestext hinweisen: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafung, seelische Verletzung und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“

Damit hören die Gemeinsamkeiten auch auf. Der Sprecher des Instituts für Geschlechter- und Generationsforschung an der Universität Bremen, Prof.Dr. Gerhard Amendt, kritisiert die beim flüchtigen Betrachten kaum erkennbaren Geschlechterstereotypen. Die Bildunterschrift des „Jungenplakates“ lautet: „Wer Schläge einsteckt, wird Schläge austeilen“. Der abgebildete Junge nimmt eine Trotzhaltung ein, er stützt die Arme auf, so dass ein Muskelansatz zu erkennen ist. Für Amendt steckt hinter dieser Darstellung das Klischee vom „bösen Mann“, der zwangsläufig nicht anders kann, als sich irgendwann selbst an Schwächeren zu „rächen“. „Vom Leid des Jungen ist hier keine Rede“, beklagt Amendt. Neben dem Gesicht des Mädchens steht: „Man muss ein Kind nicht schlagen, um es zu verletzen“. Damit seien Mädchen und Frauen wieder auf ihre Opferrolle zurückgeworfen, obwohl ja auch Mütter ihre Kinder misshandeln und Mädchen genauso nach einem Wiederholungszwang handeln können, betont Amendt.

Er wittert hinter der Kampagne und deren MacherInnen ein erzkonservatives Männerbild. Diese „Männerfeindlichkeit“ hätte seine Wurzeln auch in einer „bestimmten Richtung des Feminismus“, die hinter jedem Mann einen potenziellen Vergewaltiger vermutet. In einem zehnseitigen offenen Brief an die Familienministerin Sabine Bergmann dokumentiert er sein Unbehagen an der Kampagne, die er generell sinnvoll findet.

Die erste Vorsitzende des Kinderschutzbundeszentrums in Bremen, Gerti Gerlach, war auch nicht „100-prozentig angetan von den Plakaten.“ Sie kritisiert, dass die eigentliche „Zielgruppe“ der Kampagne nicht erreicht würde. „Die Erwachsenen, die sich mit der neuen Gesetzeslage auseinandersetzen sollen, bekommen doch sofort ein schlechtes Gewissen, wenn sie die geschlagenen Kinder sehen.“ Außerdem teilt sie die Kritik Amendts. „Ich verstehe nicht, warum man das so getrennt darstellen musste, warum es überhaupt ein Jungen- und ein Mädchenplakat gibt“, sagt sie. Als Mittragende der Gesamt-Aktion hätte sie sich gewünscht, an der Entwicklung der Kampagne beteiligt worden zu sein. So laufe die Kampagne jetzt so weiter und sie hätten höchstens die Möglichkeit, die Plakate nicht zu verteilen. „Bei einem so schwierigen Thema gibt es bessere Möglichkeiten, darauf aufmerksam zu machen.“ Gut gefallen habe ihr aber der Film zum Thema, der in kurzer Zeit in den Kinos zu sehen sein wird. ei

Mehr Infos zu der Kampagne gibt es im Internet unter: www.mehr-respekt-vor-kindern.de

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