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Ungarns Weg nach rechts außen

Rückkehr nach Europa (II): Die Medienpolitik der „positiven Diskriminierung“ ermöglicht es Abgeordneten vom rechten Rand, rassistisches und antisemitisches Gedankengut öffentlich zu machen. Der Hass gilt Liberalen und „Interkosmopoliten“

Angst wird geschürt, dass fremde Mächte Ungarns Kultur ihrem Denken angleichen

von MAGDALENA MARSOVSZKY

Es ist das liebste Kind der Deutschen. Noch immer denkt man in Deutschland bei Ungarn an die „Piroschka von Hódmezövásárhelykutasipuszta“ oder an die „lustigste Baracke im ehemaligen Ostblock“, neuerdings allerdings – wegen seines Wirtschaftswachstums – auch an das Land von „Paprika-Porsche“; und für lesende Zeitgenossen war es immerhin Schwerpunktthema der Frankfurter Buchmesse 1999.

Und wie sieht es vor Ort aus? „Es hat keinen Sinn, für etwas zu demonstrieren, was wir besitzen“, sagte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán am 15. März kurz vor der Morgenchronik in einem Interview. Orbán, dem jeden Mittwoch ein fester Sendeplatz im meistgehörten ungarischen Kossuth Rádió zur Verfügung steht, dachte dabei an die knapp zehntausend Demonstranten, die am Abend zuvor anlässlich eines Fackelzugs zum nationalen Feiertag durch die Innenstadt von Budapest die Pressefreiheit gefordert hatten.

Weniger zurückhaltend drückte sich dann einige Tage später einer der Orbán-Berater in der rechtskonservativen Tageszeitung, dem Regierungsorgan Ungarische Nation, aus: Er nannte die Demonstranten „Europäer“, „Interkosmopoliten“, „Genossen“, die auf Befehl des eigenen „Zentralkomitees“ die ungarische Regierung vor dem Ausland anschwärzen wollen. Diese „einheimischen Bolschewiken“ hätten sich wieder einmal zur Aufgabe gemacht, ihren westlichen Verbündeten Stoff für Kritik am „Haider-Nachbarn“ Ungarn zu liefern. Das „Programm“ sei also „für den Export“ gedacht, damit westliche Autoritäten einen Anlass fänden, die ungarische Regierung „ermahnen“ zu können. Diese Sätze voller Aggressionen überraschen im Falle eines Landes, über das man hierzulande eigentlich fast immer nur Positives hört.

Dabei spiegelt sich in all diesen Zuschreibungen ein seit der Wende andauernder Kultur- und Medienkampf und dessen massiver Antisemitismus, der sich in diesen Codes artikuliert. Folgt man den ungarischen Medien der letzten zehn Jahre aufmerksam, können solche Texte ohne Mühe entschlüsselt werden. Wenn man weiß, dass der Antisemitismus sowohl nach rechts gegen die „Kapitalisten“ als auch nach links gegen die „Bolschewiken“ gerichtet ist, versteht man den logischen Zusammenhang zwischen „Interkosmopoliten“ und „Zentralkomitee“ und begreift, dass der Begriff „Europäer“ nur zynisch gemeint sein kann. Da unter „Europäer“ der „West-Europäer“ verstanden wird (diese Denkweise ist in Ost und West gleichermaßen zu beobachten), sind hier die Anhänger der „westeuropäischen Globalisierung“ gemeint, und das ist – nach konservativer Auffassung – beinahe das gesamte linke demokratische Parteienspektrum: erstens die Sozialisten, die Nachfolgepartei der Kommunisten, deshalb auch „Bolschewiken“, zweitens die Liberalen, deren Kern aus der eigentlichen demokratischen Opposition des späten Realsozialismus besteht.

Besonders die Liberalen, darunter viele jüdische Intellektuelle, werden oft und meistens codiert beschimpft. So wurden sie vor kurzem im Budapester Stadtparlament die Partei des „Rot, Weiß und Grün“ (so, auf Deutsch) bezeichnet, was decodiert die Partei der Herren Rot, Weiß und Grün bedeutet.

Die ungarischen Konservativen werfen den Sozialisten vor, als „Wendemanager“ bereits 1989, noch vor den ersten demokratischen Wahlen, Teile der Medien, der wichtigsten Meinungsbildner, aus staatlichem Besitz gleich in die Hand westlicher – vor allem deutscher – Großkonzerne überspielt zu haben. Die restlichen, in ungarischem Besitz verbliebenen Medien würden sie zusammen mit den Liberalen weiterhin dominieren, sodass heute die sozialistisch und liberal gesinnten Journalisten eindeutig in der Überzahl seien.

Nach seinem Machtantritt 1998 nahm sich daher Viktor Orbán vor, konservativ gesinnten Journalisten und Presseorganen durch eine „positive Diskriminierung“ unter die Arme zu greifen. Medienpolitik sei von strategischer Wichtigkeit, heißt es immer wieder, und auf Kommunikation wird in der neu aufgestellten konservativen Werteskala höchster Wert gelegt.

So wächst, zehn Jahre nach der Wende, der Einfluss des Staates in den Medien Stück für Stück: Da die öffentlich-rechtlichen Medien – als Aktiengesellschaften organisiert – in staatlichem Besitz geblieben sind, sind sie den tiefgreifendsten Manipulationen ausgesetzt. Obwohl gesetzlich bestimmt ist, dass die Aufsichtsgremien paritätisch mit Regierungs- und Oppositionskuratoren besetzt sein müssen, um so über die Unabhängigkeit zu wachen, wurden die Medienkuratorien um rechtskonservative Kuratoren so aufgestockt, dass die Opposition weder im Rundfunk- noch im Fernsehrat vertreten ist. Die Schuld liege bei der Opposition, heißt es in der Regierungskoalition, sie hätte sich auf keine gemeinsamen Kandidaten einigen können – um eine Einigung zu erzielen, hätten die Sozialisten und die Liberalen mit der rechtsradikalen Partei MIEP verhandeln müssen, was sie jedoch strikt ablehnen. MIEP, die Oppositionspartei rechts außen, ist – nach eigener Aussage – „Opposition der Opposition“ und bei Abstimmungen allgemeiner inoffizieller Koalitionspartner der Regierung.

Auch die Zweidrittelmehrheit der Konservativen im – für Unabhängigkeit verantwortlichen – Medienaufsichtsrat selbst erweist sich bei der Vergabe von Medienfrequenzen an private Sender günstig. So konnten in letzter Zeit einige unpolitisch bis rechtsradikal einzustufende Sender ihre Arbeit aufnehmen, während der geplante Nachrichtensender, ein Zusammenschluss von BBC, Deutscher Welle und Radio France International mit Sitz in Budapest, wegen angeblicher formaler Fehler bei der Bewerbung abgelehnt wurde. Eingestellt werden musste auch der legendäre Sender „Verbotenes Radio“, das bereits im Realsozialismus im Untergrund arbeitete, und schließlich erhielt die größte ungarische Minderheit der Roma auch keine Frequenz.

Die Regierung kann also wahrlich den Eindruck haben, dass ihr die Pressefreiheit gewährt ist, denn ein Teil der Medien gehört ihr bereits, und sie würde gern einen noch größeren Teil unter ihre Kontrolle bringen. So wurden in den letzten zwei Jahren einige rein ungarische und kritische Zeitungen eingestellt, während andere vor allem über staatliche Anzeigen regelmäßige Finanzspritzen erhalten. Redaktionen, deren Kurs dem Kanzleramt nicht gefällt, werden durchsucht oder durch Polizeiverfahren eingeschüchtert, und kritische Journalisten werden von Politikern als „schmutzig“ und „frech“ oder als „seelisch fremd“ beschimpft. Diese werden dann vor allem in der rechtsradikalen Hetzsendung „Sonntagsmagazin“, dem Lieblingsprogramm Viktor Orbáns, von „linientreuen“ Kollegen als „Liberalbolschewiken“, „Kosmopoliten“, „Schein-Ungarn“ und Verräter beschimpft und namentlich genannt, weil sie das eigene Nest beschmutzten, indem sie das Land vor dem Westen als antisemitisch denunzierten. Versuchen sich diese gegen die „öffentlich-rechtliche Judenhetze“ zu wehren, wird ihnen von Regierungsseite „Hypersensibilität“ vorgeworfen. Sie würden unter dem Vorwand des Antisemitismus die westlichen Berichterstatter von innen heraus beeinflussen wollen und behaupteten, dass die ungarische Haider-Partei, die MIEP, faktisch mitregieren würde. Dies stimme überhaupt nicht, doch selbst wenn, die MIEP sei nicht mehr, aber auch nicht weniger als die Sozialisten und die Liberalen.

Die Opposition ist weder im Rundfunk- noch im Fernsehrat vertreten

Auch der MIEP wird im Rundfunk Gelegenheit gegeben, sich gegen die „Verleumdungen“ zu wehren: So durfte ihr Parteiführer, ein ständiger Gast von Kossuth Rádió, letztes Jahr den Code des „internationalen Menschen‘‘ definieren: „Der internationale Mensch ist der verlängerte Arm der Globalisierung, und es ist ... sein Bedürfnis, die Nation zu zerstören. Doch diese Definition als einen Angriff gegen eine Gruppe von Menschen zu deuten, wäre natürlich ein riesiges Missverständnis ..., denn ich sage: Es ist keine Frage der Abstammung, wie man zum internationalen Menschen wird, es ist eine Frage der Entartung.“

Rechtsradikalem Gedankengut sind im Rundfunk und Fernsehen sowie in regierungsnahen Printmedien kaum Grenzen gesetzt. Viele ihrer Themen spiegeln die ungarische Neurose wider, die aus der Lage eines Landes resultiert, das auf der „Verliererseite der Geschichte“ noch immer mit dem Fiebertraum des Verschwindens seiner nationalen Existenz kämpft. Mit einer Rhetorik, die der der Zwanziger- und Dreißigerjahre gespenstisch ähnelt, wird die Angst geschürt, fremde Mächte würden versuchen, die ungarische Kultur und damit die Ungarn ihrem Stil und Denken anzugleichen, weshalb sie verteidigt werden müssten. Während der Landwirtschaftsminister eine Gesetzesänderung zur „Maßregelung der Presse“ verlangt, damit Medien, die die „wahren Äußerungen“ nicht veröffentlichen, auch verboten werden können, dankt Orbán denen, die „verleumderische“ Artikel westeuropäischer Zeitungen und deren ungarischen „Informanten“ in der Presse nennen.

Dass es in einem der ersten Anwärterstaaten der Europäischen Union so weit kommen konnte, hat auch mit dem bisherigen Prozess der EU-Integration zu tun: Er wurde bis jetzt vor allem vom Markt her bestimmt, und Ungarn wurde dabei weit gehend zum Wirtschaftsfaktor degradiert. Kulturelle Investitionen zum Aufbau einer zivilen Gesellschaft wurden weit gehend außer Acht gelassen. Auch die deutsche Wirtschaft, die im Lande am stärksten vertreten ist, nimmt sich des Problems – obwohl erster Adressat des Globalisierungsvorwurfs – denkbar wenig an. Wen kümmert es in Essen oder Hamburg, was hier passiert, man ist doch nur am Gewinn interessiert, heißt es in Ungarn. Der kulturpolitische Dialog mit der EU erschöpft sich in gelegentlichen Mahnungen ihres in Budapest ansässigen Botschafters, aber im Grunde schauen alle zu und erteilen Ungarn „beste Noten“ für die Integration. Auch die deutsche Berichterstattung ist – entgegen der ungarischen Befürchtung – bis auf wenige Ausnahmen unkritisch positiv, wobei sie dadurch den ungarischen Nationalismus verniedlicht und seine völkische Seite ausklammert. Man bedient sich gängiger Klischees und folgt in Formulierungen teilweise genau der Diktion der gegenwärtigen rechtskonservativen Orbán-Regierung.

So überrascht auch nicht, dass im August im ZDF ein ungarischer Staatssekretär als progressiver Politiker interviewt wurde, der kurz zuvor einen Artikel mit folgenden Zeilen veröffentlicht hatte: „Während die DNS der menschlichen Rasse innerhalb einer gegebenen Länge zwei bis drei Drehungen aufweist, weist die der ungarischen Rasse neun Drehungen auf ..., was wiederum mit der Drehzahl des vom Planet Sirius auf die Erde kommenden Lichtes identisch ist. Aus dieser Tatsache resultiert der kosmische Ursprung der ungarischen Intelligenz, der ungarischen Seele und des ungarischen Geistes und darauf geht die Auserwählung des ungarischen Volkes zurück.“

Der Zusammenbruch der sozialistischen Systeme 1989/90 bedeutete für viele Staaten Mittel- und Osteuropas den Startschuss für ihre „Rückkehr nach Europa“. Diese Rückkehr manifestiert sich konkret in den Beitrittsverhandlungen, die die Europäische Union mit zehn dieser Länder führt. Im Vordergrund stehen politisch-ökonomische Fragen. Doch wie der Streit um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Tschechien zeigt, interessieren mehr denn je Fragen nach der politischen Kultur dieser Länder. Der Eigensinn steckt auch hier in Details, denen wir in einer Folge von Artikeln nachgehen wollen. Am 15. Januar analysierte Gabriele Lesser das polnische Wort „Ende“.

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