: Stille Sehnsucht
Klammheimliche Freude (2): Warum Friedrich Merz sich nicht wieder einkriegen kann
„Ich konnte und wollte (und will) eine klammheimliche Freude nicht verhehlen“, schrieb der unbekannte Mescalero damals, und das ist natürlich erst einmal eine paradoxe Aussage. Denn wenn man seine Freude erstens nicht verbergen kann und sie zweitens auch noch in einer Zeitung gedruckt sehen möchte, freut man sich ja nicht mehr heimlich.
Doch der anonyme Schriftführer von 1977 und die Hochschulprofessoren, die seinen Nachruf im Nachhinein unterzeichneten, wussten schon, warum sie ihre Freude nicht ganz so offen zeigen wollten. Nicht weil das laute Lachen unmoralischer wäre als das leise Lächeln – sondern weil die Formulierung so hübsch konspirativ und abenteuerlich daherkommt: Wer sich klammheimlich in aller Öffentlichkeit freut, ist zumindest auf der sprachlichen Ebene Teil des konspirativen Zusammenhangs Terrorismus – und bewegt sich doch zugleich in den sicheren Fahrwassern der bürgerlichen Öffentlichkeit.
Die anderen allerdings, die in den Siebzigerjahren mutmaßlich langweilige Vollzeitbürger waren, amüsieren sich natürlich umso mehr darüber, dass einige der Feierabendterroristen in diesen Tagen kräftig unter Beschuss geraten sind. Der CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer zum Beispiel kann (und will) seine Schadenfreude kaum verhehlen. Stilsicher griff er das Schlagwort von einst wieder auf und warf Außenminister Joschka Fischer vor, nicht nur mit „seinen Jugendsünden zu kokettieren“, sondern – was sonst – „klammheimliche Freude“ an gewalttätigen Auseinandersetzungen bei Castor-Transporten zu haben. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz wird sogar gleich zum Schriftsteller, wenn er den Lesern der Eßlinger Zeitung in einem Gastbeitrag die „späte Wahrheit über Joseph Fischer“ enthüllt: „Es war ein schöner warmer Frühlingstag vor 25 Jahren, als bei einem Aufzug einzelne Mitglieder linksradikaler Gruppen Molotowcocktails auf einen Polizeistreifenwagen warfen ...“
Schön und warm war er also, dieser Frühling: Deutlich spürt man in diesen poetischen Worten die klammheimliche Sehnsucht derjenigen, die in den Siebzigern in endlosen Sitzungen ihre Parteikarriere vorbereiteten – während ihre Altersgenossen auf der Straße Räuber und Gendarm spielen durften.
KOLJA MENSING
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