: Über Zivilisten wurde kaum geredet
Der Verteidigungsausschuss des Bundestags erörtert die Gefahren von Uran-Munition – nicht nur im Kosovo. Sorge macht den Abgeordneten, dass die Munition außer mit Plutonium mit weiteren Transuranen verunreinigt sein soll. Das wird nun geprüft
von BETTINA GAUS
Wäre Rudolf Scharping als Politiker nicht vor Strafverfolgung geschützt – er hätte dem Verteidigungsausschuss wohl besser nicht anbieten sollen, ein bisschen Uran-Munition zur nächsten Sitzung mitzubringen. So etwas kann nämlich teuer werden: Zu einer Strafe von 3.000 Mark hat das Amtsgericht Berlin-Tiergarten einen Arzt verurteilt, der nach einem Irak-Besuch ein Geschoss mit Resten von abgereichertem Uran der Strahlenklinik der Freien Universität Berlin zur Untersuchung übergeben hatte.
Das Hessische Ärzteblatt veröffentlichte 1995 in einem Sonderdruck Einzelheiten über den Fall. Demnach hatte eine Gruppe von Ärzten 1992 den Irak bereist und beobachtet, wie Kinder mit herumliegenden Geschossen und Hülsen spielten. Den Medizinern wurde von mehreren Leukämiefällen berichtet. Professor Siegwart G. nahm ein Geschoss mit, weil, so das Ärzteblatt, „im Irak keinerlei Untersuchungsmöglichkeiten bestanden“.
Die Zeitschrift zitiert den telefonischen Untersuchungsbefund des Rudolf Virchow Krankenhauses: „Die Strahlung ist nicht stark, aber natürlich ist dringend davon abzuraten, dass Kinder damit spielen. Wir haben das Geschoss der Berliner Polizei übergeben.“ Die Staatsanwaltschaft wurde aktiv. Sie klagte den Arzt an, radioaktive Abfälle rechtswidrig nicht ordnungsgemäß abgeliefert zu haben. In der Urteilsbegründung hieß es später: „Durch falschen Umgang mit dem Projektil entsteht die Gefahr der Kontamination und Inkorporation radioaktiven Materials, was zu einer Gesundheitsgefährdung führen kann.“
Die Mitglieder des Verteidigungsausschusses wurden dieser Gefahr nicht ausgesetzt. Nachdem die Unionsparteien das Uran-Mitbringsel von Scharping abgelehnt hatten – „Kasperletheater“ –, verzichtete der Minister darauf und beschränkte sich gestern auf mündliche Informationen. „Die Botschaft sollte sein: Das Strahlenrisiko ist vernachlässigbar gering“, sagte hinterher ein Teilnehmer. Allerdings habe der Inspekteur Sanitätswesen darauf hingewiesen, dass die arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen im Bereich radioaktiver Strahlung keine Grenzwerte vorsähen, weil immer ein Restrisiko bestehe.
Geprüft wird derzeit, ob die Uran-Munition außer mit Plutonium noch mit weiteren Transuranen verunreinigt ist. Dieser Verdacht wird unter anderem durch eine Stellungnahme des US-Verteidigungsministeriums genährt. Ein Sprecher hatte mitgeteilt, dass drei Munitionsfabriken noch aus den Nachkriegsjahren verseucht gewesen seien, in denen sie wiederaufbereitetes Uran verarbeitet hatten. Beim Gebrauch bereits kontaminierter Werkzeuge sei dann auch die Munition mit Transuranen verunreinigt worden. Die Spuren seien jedoch zu gering, um ein Risiko für Gesundheit oder Umwelt zu bedeuten.
Der deutsche Verteidigungsausschuss befasste sich gestern erneut vorwiegend mit der Frage möglicher Gesundheitsrisiken für die auf dem Balkan eingesetzten Soldaten. Die Lage der dort lebenden Zivilbevölkerung habe dagegen „eine vergleichsweise sehr geringe Rolle“ gespielt. Außerdem gilt das Interesse von Öffentlichkeit und Fachleuten nach wie vor fast ausschließlich dem Kosovo – die Tatsache, dass Uran-Munition auch in Bosnien verschossen wurde, findet kaum Beachtung.
Immerhin soll Scharping dem Ausschuss gestern mitgeteilt haben, dass die damalige Bundesregierung einen Befehl zum ABC-Schutz vom Februar 1997 auch dann noch für ausreichend gehalten hatte, als sie einige Monate später vom Einsatz der Uran-Munition in Bosnien erfuhr. Weitere Maßnahmen wurden offenbar nicht veranlasst.
Fragen nach dem Zeitpunkt und dem Weg der Information über den Einsatz von Uran-Munition in Bosnien sowie nach Maßnahmen zum Schutz der dort lebenden Bevölkerung hatte die taz bereits vor zwei Wochen an das Verteidigungsministerium gerichtet. Wir wollten außerdem wissen, weshalb das Ministerium für die in Bosnien stationierten Bundeswehrangehörigen nicht die gleichen systematischen Gesundheitsuntersuchungen veranlasst hat wie für die Soldaten im Kosovo.
Diese Fragen seien „sehr komplex“ und „detailliert“, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in einer ersten Stellungnahme. Er bat um Verständnis dafür, dass die Beantwortung einige Zeit in Anspruch nehmen könne. Weitere Informationen waren bislang nicht zu erhalten. Rudolf Scharping hat gestern übrigens erneut jede Kritik an seiner Informationspolitik vehement zurückgewiesen.
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