piwik no script img

Unsicher und ungerecht

Die geplante Rentenreform will das Umlageverfahren durch private Vorsorge ergänzen. Den künftigen Rentnern bringt das nichts – sondern höchstens den Fondsmanagern

Die Renten müssen nicht sinken – denn die Produktivität steigt stärker als der Anteil der Rentner

Fast niemand kann den Diskussionen über die Rente noch folgen. Im Informationskauderwelsch ist nur eines ziemlich klar: Die Bevölkerung soll glauben, dass die herkömmliche Rentenvariante – das Umlageverfahren – nicht mehr funktioniert. Weil immer mehr Rentner immer weniger Beschäftigten gegenüberstehen, müssten wir privat vorsorgen – am besten an der Börse. Doch seit einiger Zeit beobachtet man keine Kursanstiege mehr; mitunter sinken Aktienkurse dramatisch. Dies dürfte jetzt auch den Laien nachvollziehbar machen, dass jedes Gesetz verantwortungslos ist, das das Aktiensparen für die Rente fördert.

In der Vergangenheit sanken oder stagnierten Aktienkurse bisweilen jahrzehntelang. Doch wird dies gern übersehen, da die Aktiencharts nicht inflationsbereinigt dargestellt werden. Wenn Menschen in einer Zeit niedriger Kurse in Rente gehen, kann die Rendite ihrer Kapitalanlage sogar negativ ausfallen. Gerade in Zeiten florierender Aktienmärkte scheinen Fonds attraktiv; doch sollte man zur Kenntnis nehmen, dass nach übermäßigem Kursanstiegen häufig sehr lange Zeiten niedriger Kurse auftreten (so in den USA von 1929 bis 1958 und von 1966 bis 1992).

Es gibt keine Geldanlage, die zu 100 Prozent sicher ist. Außer einer: Das herkömmliche Umlageverfahren ist prinzipiell verlässlich – solange es von allen akzeptiert und finanziert wird.

Um dies zu verstehen, ist ein kleines Gedankenexperiment nötig. Man stelle sich eine Gesellschaft vor, in der es kein Geld gibt. Die Hälfte der Bevölkerung ist erwerbstätig; die anderen, also Kinder, Studenten etc. und vor allem Rentner werden von den Erwerbstätigen versorgt. Die arbeiten offensichtlich nicht nur für sich, sondern versorgen auch die nicht Erwerbstätigen mit. Und zwar mit den von ihnen in der Gegenwart produzierten Gütern, da ja Geldlosigkeit herrscht. Selbst wenn sich die Rentner theoretisch von Dosengemüse und Räucherschinken ernähren könnten, die sie in der Zeit ihrer Berufstätigkeit angespart haben, so ist dies bestimmt nicht erstrebenswert.

Nun führen wir Geld in unserer Gesellschaft ein. Trotzdem wird sich an den Verhältnissen nichts ändern; Geld steigert nur die Effizienz des Systems. Dies ist vollkommen unabhängig davon, welches der beiden Rentensysteme man wählt, ob Umlageverfahren oder private Vorsorge.

In einem Umlageverfahren glaubt der jetzt Arbeitende, im Rentenalter von den künftig Erwerbstätigen Geld zu erhalten. Daher zahlt er jetzt an die Sozialkassen. Ein heutiger Rentner erhält genau dieses Geld und kauft damit Güter, die von den Erwerbstätigen hergestellt werden. Im System der privaten Rentenvorsorge ist der Erwerbstätige gezwungen, im Rentenalter von seinen Ersparnissen Güter zu kaufen und überweist deshalb jetzt Geld auf die Sparkasse. Der Rentner löst in diesem System seine Ersparnisse auf: Es ist genau das Geld, das der momentan Erwerbstätige für seine Rente anspart und eingezahlt hat. Genau mit diesem Geld kauft der Rentner die Güter, die von den Erwerbstätigen hergestellt werden.

Beide Rentensysteme gehorchen also derselben Logik: Menschen können nur die Güter konsumieren, die in der Gegenwart hergestellt werden. Daran ändert auch die Verflechtung mit dem Ausland nichts: Zum einen fließen die meisten Auslandsinvestitionen in Industriestaaten, die eine ähnliche Bevölkerungsstruktur wie Deutschland aufweisen (selbst Länder wie Indien und China werden um 2040 Probleme bekommen); zum anderen würde die Auflösung großer Auslandsvermögen die Binnenwährung stärken und gleichzeitig zu Inflation führen – und so die Ersparnisse entwerten.

Wie ist es dann möglich, dass private Rentenversicherer behaupten, höhere Renditen zu erwirtschaften, als beim Umlageverfahren zu erwarten sind? Solange nur wenige Menschen privat auf die Rente sparen, können sie damit eine Verzinsung erzielen, die stärker steigt als die Löhne und somit die Renten im Umlageverfahren. Dies geht dann aber auf Kosten der Arbeitnehmer und Alten. Denn bei steigender Gewinnquote bleibt von der volkswirtschaftlichen Gesamtleistung weniger übrig für die Bezieher von Einkommen und Renten. Sobald jedoch alle (und sei es auch nur mit vier Prozent ihres Bruttogehalts) privat vorsorgen, wird für alle deutlich werden, dass sich nur die Produktmenge der Gegenwart verteilen lässt. Das bedeutet: Höhere Inflationsraten oder sinkende Aktienkurse werden die durchschnittliche Rendite der Ersparnisse so weit senken, dass nicht mehr Kaufkraft vorhanden ist, als zum Erwerb der Güter und Dienstleistungen notwendig ist, die dann aktuell hergestellt werden. Man kann also das Problem eines künftig steigenden Anteils an Rentnern nicht durch private Rentenvorsorge in der Gegenwart lösen. Die „Kosten“ zur Versorgung der Rentner, nämlich das Teilen von Waren und Dienstleistungen mit ihnen, fallen in jedem System an!

Alle Rentensysteme gehorchen derselben Logik: Es lässt sich nur die Produktmenge der Gegenwart verteilen

Nun wird häufig behauptet, der zukünftig zu verteilende Kuchen sei bei einem Kapitaldeckungsverfahren größer, da es zu einer höheren Sparquote, dies zu einer höheren Investitionsquote und so zu höherem Wirtschaftswachstum führe. Das klingt vordergründig plausibel, doch ein Blick nach Amerika zeigt, dass dies ein Irrtum ist. Die Sparquote liegt dort trotz eines hohen Anteils privater Vorsorge nahe null – im Gegensatz zu Deutschland. Auch die amerikanische Investitionsquote ist niedriger (17 Prozent dort, 20 Prozent hier). Es gibt keinen einfachen Zusammenhang zwischen Rentensystem und Sparquote.

Ist damit gesagt, dass die Renten zwangsläufig sinken werden? Nein! Solange die Produktivität ansteigt, können immer weniger Erwerbstätige immer mehr Nichterwerbstätige versorgen – nicht zuletzt ist genau das der Sinn von Technik. In den 90er-Jahren stieg die Produktivität im Jahresmittel um mehr als 2,5 Prozent an; die Zahl der Rentner wird zwischen 2000 und 2040 jedoch um nur zirka 0,75 Prozent pro Jahr zunehmen.

Fazit: In aktuellen Rentenreformvorschlägen wird unselbständig Beschäftigten vorgeschrieben, einige Prozent ihres Lohns zu sparen. Da jedoch beide Rentenmodelle derselben Logik gehorchen (Beschäftigte müssen mit Rentnern immer in der Gegenwart teilen) und private Vorsorge weder die Sparquote noch die Investitionsquote erhöht (siehe Amerika), wird Zwangssparen die künftige Kaufkraft nicht steigern. Bislang wurden die Rentenbeiträge paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern erhoben; die „Ergänzungsabgabe“ sollen die Arbeitnehmer allein aufbringen. Mit diesem Trick wurde das paritätische Sozialversicherungsmodell ausgerechnet durch Rot-Grün zu Grabe getragen. Niemand profitiert – außer den privaten Fondsgesellschaften, die sich die Verwaltung der für die Rentenvorsorge unverantwortlichen Aktienanlagen gut vergüten lassen. Gleichzeitig wird das Vertrauen in die Umlageversicherung erschüttert, die als einziges System sicher ist und zumindest theoretisch gerecht ausgestaltet werden kann. Aber keiner merkt’s inmitten des Informationskauderwelschs. HARALD KLIMENTA

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen