Weites Feld, steiniger Acker

Bei jedem seiner Gastspiele laufen Gerüchte um. Zuerst für das Berlin Ballett ins Gespräch gebracht, wird Joachim Schlömer von Joachim Sartorius als Choreograf für die neue Volksbühne umworben

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Joachim Schlömer hat die Nase voll vom Kleinstadtpublikum. Er war Ballettdirektor in Ulm und Weimar und leitet zur Zeit das Tanztheater Basel. Jetzt möchte er nach Berlin kommen. Hier hat ihn Gerhard Brunner, Beauftragter für die Umwandlung der Opernballette in das Berlin Ballett, ins Gespräch gebracht. Jetzt nutzt der Choreograf, geboren 1962, ein Gastspiel mit dem Tanztheaterstück „Hochland oder der Nachhall der Steine“ im Hebbel-Theater für Gespräche.

taz: Sie gehören zu den Choreografen, mit denen Gerhard Brunner gerne das Berlin Ballett bauen würde. Doch mit dem Stocken der Opernreform kommt auch das Berlin Ballett nicht voran. Schreckt Sie die Berliner Kulturpolitik nicht ab?

Schlömer: Doch, das hat mich abgeschreckt. Der Höhepunkt der Frustration war im Dezember, als die Reformpapiere platzten. Vorher hatte sich das Modell abgezeichnet, dass es im Berlin Ballett neben den zwei Compagnien aus den Opernhäusern eine dritte, zeitgenössische an der Freien Volksbühne geben könnte. Dafür hatte ich ein Konzept vorgelegt. Als das ganze Projekt auf Eis gelegt wurde, dachte ich, jetzt sumpft das vor sich hin. Eigentlich wollte ich mich da von Berlin völlig verabschieden.

Dann kam die Falschmeldung, dass Sie an die Komische Oper gehen.

Das war besonders absurd, weil ich den Intendanten Herrn Kost bis dahin weder getroffen noch gesprochen hatte. Aber die vehementen Reaktionen von Nele Hertling, von Joachim Sartorius, der als Intendant der Festspiele und der Volksbühne der Idee einer Zusammenarbeit zugestimmt hat, ließen mich sehen: Da steckt noch Hoffnung und Energie dahinter.

Herr Sartorius ist von dem Plan, ab der Saison 2003/04 eine Compagnie an der Freien Volksbühne zu haben, sehr angetan. Wann haben Sie mit ihm Kontakt aufgenommen?

Gestern. Die Wege sind lang, das dauert seine Zeit. Das Konzept ist noch nicht mit ihm abgesprochen, da gibt es sicher viel, was man korrigieren muss. Aber das wären Kleinigkeiten, wenn es grundsätzlich für die Sache grünes Licht gibt. Das kann nur Herr Stölzl geben.

Die Festspiele könnten nur das Haus und die Infrastruktur stellen, aber keine Compagnie bezahlen.

Genau. Ich werde jetzt noch keine Zahlen nennen. Das muss der Senator tun. Wir planen ab 2003/04 für eine Saison von sieben, acht Monaten neun bis zehn Stücke, Uraufführungen und Wiederaufnahmen aus meinem Repertoire.

Was zieht Sie so nach Berlin?

Ich habe lange in kleinen Städten gearbeitet, in Ulm, Weimar, Basel. Davor war ich drei Jahre in Brüssel und da war es einfacher, für ein modernes Tanzprogramm Zuschauer zu finden. Aus den Kleinstädten gehen die Jüngeren weg. Eine Stadt wie Berlin hat ein ungeheures Potenzial an jungem Publikum, das offener ist für neue Zusammenhänge.

In Ihrer Arbeit geht es nicht nur um Tanz. Sie haben mit dem Gorki-Theater vor zwei Jahren Parzival als opulenten Bilder-Bogen auf die Bühne gebracht und waren mit einer Oper von Monteverdi zum Theatertreffen eingeladen. Wie verhält sich die Auseinandersetzung mit Literatur, Oper, Theaterstoffen zu ihrer choreografischen Arbeit?

Das sind verschiedene Felder. Wie ein Akku, der einmal leer läuft, kann ich nach einer Tanzproduktion nicht gleich die nächste anpacken. Nach der nächsten Uraufführung im Tanz inszeniere ich ein Artaud-Projekt am Burgtheater. Ich versuche mir einen Plan zu machen, dass ich mich immer wieder neu informieren kann, in neue Zusammenhänge geraten muss; damit man wach bleibt.

Wenn Sie an die Volksbühne kämen, dann würden Sie auch dort nicht nur Tanz zeigen?

Das hoffe ich. Aber da das viel Geld kostet, ist das eine Frage der Finanzierung und der Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit den Opern und Orchestern. Ende Dezember arbeite ich in Luzern mit René Jacobs, der hier an der Staatsoper Barockopern als Dirigent betreut hat, an „Acis and Galatea“ von Händel. Das würde ich gerne auch nach Berlin bringen.

Für das Stück „Hochland“ haben Sie in Schottland recherchiert; ein anderes Stück entstand in Lissabon und hat viel von den Farben der Stadt angenommen. Wie wichtig ist der Ort, an dem etwas produziert wird, für das entstehende Bewegungsvokabular?

Das spielt eine große Rolle, nicht nur musikalisch und von der Bewegung her, sondern mehr noch von der Charakterisierung, wie sich Personen zueinander verhalten.

In den Neunzigerjahren wurde Tanz oft als Hochleistungsaktion betrieben. Setzen Sie dagegen auf Zurückhaltung und Langsamkeit?

Meine Stücke sind bedacht. Ich schrecke vor Geschwindigkeit um ihrer selbst willen zurück. Nur weil wir in dieser beschleunigten Gesellschaft leben, kann das nicht das Thema sein.

„Hochland“, Hebbel-Theater, 29. Januar, 20 Uhr