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„Humankapital ist ein Unwort“

Migranten sind moderne Globetrotter, die die Beziehung zum Herkunftsland halten und globale Netzwerke schaffen, meint Margret Pelkhofer-Stamm vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Um sie aber hierzulande zu qualifizieren, mangele es in vielen Bereichen an interkultureller Kompetenz

„Wir müssen das Thema der kulturellen Öffnung am Kochen halten.“

Interview NICOLE MASCHLERund EDITH KRESTA

taz: Was heißt für Sie Integration?

Margret Pelkhofer-Stamm: Integration ist ein Streitbegriff. Solange ich mich mit dem Thema beschäftige, wehren sich vor allem Migranten gegen diesen Begriff, den sie gleichsetzen mit Assimilation in die deutsche Mehrheitsgesellschaft.

Was bedeutet das für die soziale Beratung?

Die Frage ist, was das Notwendigste für die Migranten ist: Wie sieht es mit dem Aufenthaltsrecht aus, wie kann man Sicherheit und eine langfristige Lebensperspektive schaffen, und wie ermöglicht man Zugang zu allen gesellschaftlichen Bereichen.

Welche Antworten gibt dazu der Familienbericht?

Im Familienbericht wird zum ersten Mal herausgestellt, dass Migranten nicht nur Problemgruppen darstellen, sondern dass sie selbst eine große Leistung im Integrationsprozess übernehmen. Die Stellungnahme der Regierung zum Familienbericht gibt an, wie dies zu fördern ist. In der konkreten Arbeit zeigt sich jedoch, dass das Idealvorstellungen sind. Da klaffen noch jede Menge Lücken.

Wo sehen Sie Lücken?

Nehmen Sie allein die Aussage des Berichts: Familien brauchen eine langfristige, sichere, stabile Perspektive, weil sich Migration über mehre Generationen abspielt und ein Prozess ist. Wenn man genau hinsieht, entspricht die Ausländerpolitik dem aber überhaupt nicht. Zum Beispiel das Drama in der Asylgesetzgebung: Bürgerkriegsflüchtlinge und Flüchtlinge dürfen zwar hier bleiben, sitzen aber sieben oder acht Jahre sozusagen im Flur. Sie wissen nicht, wann sie gehen müssen, noch wie sie für ihre Kinder planen sollen. Der Asylbereich, das ist der prekärste Bereich.

Wie sieht die Perpektive für Migranten der ersten Generation aus?

Bei dieser Gruppe gibt es langsam Fortschritte und Sicherheiten, aber auch immer noch sehr viele Verunsicherungen. Das ist die Folge der Ausländerpolitik der letzten dreißig Jahre. Durch die Gesetzgebung, aber vor allem durch den öffentlichen politischen Diskurs, wurde transportiert: Bleibt mal schön draußen.

Und wenn ihr nicht mehr arbeitet, dann brauchen wir euch sowieso nicht mehr...

Genau. Allein die Diskussion um das neue Staatsbürgerschaftsrecht und die Einbürgerung hat viele Familien verunsichert.

In den Sechzigerjahren holte man Fabrikarbeiter, jetzt Computerspezialisten. Weiß man heute besser als damals, welchen gesellschaftlichen Platz die Migranten einnehmen sollen?

Dass nun Computerexperten gefragt sind, ist im Interesse der Wirtschaft. Vor dreißig Jahren war das auch so. Heute wie damals überlegt man nicht, was wir den nachkommenden Familien bieten. Die Kinder der Arbeitsmigranten der letzten Wellen haben diesen Prozess noch gar nicht durchlaufen. Und die Institution, deren Aufgabe das wäre, nämlich die Schule, hat sich noch nicht geöffnet. Es gibt engagierte Lehrer und einige Programme. Aber im Großen und Ganzen hat die Schule massive Probleme damit, zweisprachige Kinder so zu fördern, dass sie die Abschlüsse schaffen.

Weil Migranten eben nicht als Teil der Gesellschaft begriffen werden?

Einerseits. Andererseits wird die politische Diskussion hier sehr eng geführt: Migranten müssen sich entscheiden, ob sie hier bleiben – nur dann kriegen sie was. Wir müssen die Leute qualifizieren. Wir müssen aber auch zugestehen, dass sie mit ihrer Qualifikation woanders etwas anfangen. Denn Migration heißt nicht, dass jemand immer bleiben will. Migranten sind eigentlich die modernen Globetrotter. Sie halten die Beziehung zum Herkunftsland, schaffen ein globales Netzwerk. Bei den Migranten hat sich ein Leben mit mehreren Optionen entwickelt und auch Ressourcen für diese Optionen, die gefördert werden sollten.

Sind wir Deutschen am Aussterben und müssen deshalb verstärkt um Migranten werben?

Wir brauchen auf jeden Fall eine klare Regelung für Zuwanderung, und dann wird es auch ein klare Akzeptanz geben, dass Zuwanderung sein muss. Aber wir brauchen jetzt nicht die Werbetrommel rühren. Wir müssen mit den Ausländern, die hier sind, und denen, die neu kommen, etwas machen. Die Spätaussiedler habe ich noch gar nicht angesprochen. Diesen Menschen muss man eine Chance geben und sie beschäftigen. Es ist natürlich einfach für die Wirtschaft, zu sagen, wir brauchen aber andere. Die Leute, die da sind, sind das Potential. Das sagt der Familienbericht mit dem Unwort Humankapital.

Hat sich das gesellschaftliche Klima unter Rot-Grün verändert?

Es gibt eine ziemliche Veränderung. Ich glaube im Moment aber noch nicht, dass sie sehr tragfähig ist. Die letzten Jahre haben gezeigt, wie schnell sich beim Thema Zuwanderung die Stimmung ändert. Als ich angefangen habe, Ende der Achtziger, da konnte man viel machen. Dann kam der große Crash, und auch in engagierten Gruppen war ein Erschöpfungszustand erreicht. Die Geduld, in einer Gesellschaft, die sich immer stärker am wirtschaftlichen Marktgeschehen orientiert, mit Vielfalt, aber auch mit Konflikten umzugehen, war auf dem Nullpunkt. Im Grunde hat erst die Greencard-Diskussion etwas verändert: Nun möchte Deutschland auf einmal offen und modern sein. Dadurch ist die Politk aufgewacht. Ich glaube nicht, dass Schröder dieses Thema gepusht hätte, wenn es nicht von wirtschaftlicher Seite auf die Tagesordnung gesetzt worden wäre.

Und die Grünen?

Bei den Grünen gab es dieses Thema zwar immer, aber es war einfach nicht mehr in, auch bei den Verbänden nicht. Durch die Wirtschaft kam der Wandel. Dadurch kriegt die kulturelle Öffnung Futter. Wir müssen das am Kochen halten, damit sich wirklich strukturell was verändert.

Was tragen die Sozialdienste dazu bei?

Wir haben von Anfang an die Selbstorganisation von Migranten unterstützt. Sei es nun der türkische Elternverein, der kurdische oder der polnische Sozialrat oder iranische Flüchtlinge. Sie agieren als Vermittler, aber auch als Anlaufstellen.

Wurden die Selbsthilfepotenziale nicht lange Zeit ignoriert, weil man die Leute an der kurzen Leine halten wollte und Selbstbewusstsein bei Migranten unerwünscht war?

Das ist ein alter Mechanismus in Sozialarbeit und Politik: Man lässt nicht zu, dass Menschen auf der gleichen Ebene stehen, man akzeptiert Gleichheit nicht. Diese Diskussionen und Kämpfe gab es Ende der Achtzigerjahre in vielen Projekten, die vielfach von Deutschen für Ausländer gemacht wurden. Dann sagten die Migranten: Wir sind hier nicht nur Dolmetscher und forderten gleichberechtigte Positionen.

Und nun fördert man verstärkt das Selbsthilfepotenzial, statt Migranten als Sozialfälle zu bemuttern?

Man hat lange Zeit mehr bei Defiziten statt bei den Ressourcen angesetzt. Man sah Migranten als Opfer. Man hat sich überengagiert. Da gibt es inzwischen neue Ansätze.

Gibt es, wie es der Familienbericht fordert, auch mehr Angebote für die Frauen?

Sozialarbeit setzt schon lange bei den Frauen an. In Berlin gibt es seit Jahren Migrantinnenprojekte, die jetzt wie viele andere Projekte finanziell gefährdet sind. Darüber hinaus fehlen aber Angebote der Familienbildung und der beruflichen Förderung für Frauen ausländischer Herkunft. Solche Projekte laufen sehr oft über Modellförderung und brechen dann nach drei Jahren wieder völlig in sich zusammen. Es bedarf daher einer kontinuierlichen Regelförderung. Doch auch dann kommt das große Loch, denn die Frauen wollen ja arbeiten. Und da gibt es nicht genügend Arbeitsplätze. Der Arbeitsmarkt muss sich öffnen. Da müssen noch viele Vorurteile über Bord geworfen werden.

Wie kann man gewährleisten, dass die Integrationsangebote angenommen werden?

Den Zuwanderern sollten direkt nach ihrer Ankunft Angebote gemacht werden. Angebote, die auch eine gewisse Verpflichtung enthalten: Wer das macht, der kriegt eben schneller die Aufenthaltserlaubnis oder die Arbeitserlaubnis. Daraus ein richtig strukturiertes Angebotsprogramm zu machen, das halte ich für notwendig.

Sozialdienste brauchen mehr interkulturelle Kompetenz, fordern Migrationsexperten. Was ist das eigentlich?

Schulen, Ausbildungsstätten, aber auch soziale Dienste müssen zugestehen, dass ihre Sicht der Dinge nicht die alleinige ist, sondern dass es viele verschiedene Sichtweisen und Traditionen gibt. Jeder, der in diesem Feld arbeitet, ob Sozialarbeiter, Lehrer oder Therapeut, muss wissen, mit welcher Lebensgeschichte und aus welchem Milieu die Menschen zu ihm kommen. Es ist etwas anderes, ob ich es mit Vietnamesen oder Latinos zu tun habe, ob es Kinder aus Neukölln oder Zehlendorf sind.

Wobei sich die Zehlendorfer massiv von den Neuköllnern unterscheiden können ...

Sowieso ...

Kann man interkulturelle Kompetenz lernen?

Ja. Man muss lernen, den Menschen vor sich differenziert wahrzunehmen und nicht in Klischees und Schubladen zu denken. Es gibt ganze Abhandlungen darüber, wie beispielsweise die türkische Familie so ist. Man kann bestimmte Dinge zwar vermitteln, aber es gibt da keine Auflistung, an die man sich halten könnte. Das ist ein sehr komplexer Bereich. Da muss man einerseits sehr sensibel mit den Dingen umgehen, andererseits aber auch ganz normal. Wenn man sich normal verhält, einen Menschen respektiert, dann kommt das rüber.

Ist es nicht schwierig, interkulturelle Kompetenz einer Gesellschaft zu vermitteln, die eigentlich noch gar nicht so weit ist?

Die gesellschaftlichen Einrichtungen müssen der intellektuellen Debatte nachrücken. Es gibt inzwischen eine Bereitschaft, daran zu arbeiten. Bei vielen Ämtern, bei bestimmten Leitungskräften gibt es Umdenkprozesse.

Interkulturelle Kompetenz gut und schön. Integration ist aber vor allem auch ein soziales Problem. Wie sieht es mit der finanziellen Förderung von sozial Schwachen unter den Migranten aus?

Die ist auf jeden Fall notwendig. Aber das ist bisher nicht der Fall. Kinder, die gute Rahmenbedingungen haben und deren Eltern sich dahinterklemmen, die schaffen es. Andere, mit weniger guten Bedingungen, schaffen es nicht. Ich glaube, wenn die Lernprogramme das stärker berücksichtigen würden, wäre viel gewonnen. Und es muss ein Anreiz geschaffen werden, dass auch Migranten selbst in diesen Arbeitsfeldern mitarbeiten.

Als Vorbilder?

Ja. Wenn Migranten im Beruf erfolgreich sind, hat das eine positive Wirkung. Es gibt ja sehr erfolgreiche Migranenkinder mit guten Abschlüssen. Sie suchen sich meist andere Berufe aus, Erfolg versprechende wie Informatik oder Medizin. Sozialarbeit und Pädagogik sind da nicht die Hits. Sie wollen ja aufsteigen.

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