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Bohnenkaffee im BH

■ Der neue Bildband über den Überseehafen bedient den Mythos vom deutschen Wirtschaftswunder / Bremensien-Autor Georg Schmidt ist 87 Jahre alt – und ein Berliner

Es war einmal... So beginnen eigentlich Märchen. Der Wartberg Verlag im nordhessischen Städtchen Gudensberg hat die drei Worte zur Firmenphilosophie umgemünzt und vertreibt neben Bildbänden selbst über den allerwinzigsten Landkreis nostalgisch gefärbte, reich illustrierte Regionalliteratur, die sich an die Wiederaufbaugeneration samt interessierter Nachkommenschaft richtet. 200 Titel bringt der Verlag jedes Jahr bundesweit auf den Markt, und der kürzlich erschienene Fotoband über den – zugeschütteten – Bremer Überseehafen ist einer davon.

Das historische „Es war einmal“, das dieses gut siebzig Seiten starke, großformatige Buch transportiert, ist wieder einmal der Mythos des deutschen Wiederaufbaus nach der „Stunde null“. Entsprechend startet die schwarz-weiße Bilderfolge auch mit Bildern der von alliierten Bombern zerstörten Hafen- und Wohngebiete.

Bald jedoch betreten Arbeiter die Szene, die ordentlich „ranklotzen“ und den Überseehafen wieder erschaffen. Im Kinderheim freut man sich über C.A.R.E-Pakete, die ersten Dampfer mit Kaffee, Tabak, Baumwolle treffen ein, und irgendwann kommt auch der Export wieder in Gang – zuerst Beck's Beer für Amerika, später Aggregate, Busse, Lokomotiven. Am „Checkpoint Bremerhaven“ holen Uniformierte einen Mann unter einer Persennig hervor, der Trümmer-Deutschland als blinder Pasagier verlassen wollte.

Bildautor ist mit wenigen Ausnahmen der inzwischen 87-jährige gebürtige Berliner Georg Schmidt, ein ehemaliger Fotojournalist, der seit den 30er Jahren in Bremen lebt. Für den nordhessischen Verlag ist Schmidt, der unter anderem für Illustrierte gearbeitet hat und ein umfangreiches Archiv besitzt, offenbar so etwas wie ein Mann für alle Fälle, sobald es um Ein-Blick-zurück-Bremensien geht. So hat der Senior, der sich praktischerweise auch um Text und Layout kümmert, bereits ein Buch über die Kindheit in den 50ern zusammengestellt; ein Kompendium „Hurra, wir leben noch“, ist in der Mache.

Fotograf Schmidt war sichtbar fasziniert vom Trubel der Hafengegend, den er vor allem als 30-, 40-Jähriger erlebte. Und er identifiziert sich mit dem wirtschaftlichen Aufschwung, den die von ihm abgebildeten Menschen und Maschinen dokumentieren. Das hat jedoch zur Folge, dass die Begleittexte eine regelrecht wochenschaumäßige Interpunktion mit vielen, vielen Ausrufezeichen abbekamen. Das klingt dann so: „Überseehafen Bremen. Endlich ist der Tabak da! Blick in die Ladeluke: Faßtabak wird gelöscht – eine nicht ungefährliche Arbeit.“ Miefiger 50er-Jahre-Sex kommt ins Bild, wenn eine Dame ohne Oberkörper ihre Nylons herunterkrempelt, um die neueste Schmugglerinnen-Masche vorzuführen. Und erst die illegalen Kaffeebohnen im „Büstenhalter“! Nach der Lektüre des Bildbands weiß man, dass Frauen einfach leidenschaftlicher sind – zumindest beim Schmuggeln. Auf den anekdotenhaften, vor Superlativen und Lob auf Ex-Bürgermeister Wilhelm Kaisen strotzenden historischen Abriss zur Hafenentwicklung soll an dieser Stelle nicht mehr eingegangen werden.

Trotzdem: Es macht Spaß, sich die großformatigen, vor Masten starrenden Hafenpanoramen anzuschauen, Sacknäher, Kaffeeküper und Decksmänner bei der Arbeit kennen zu lernen. Die letzten Seiten des Buches zeigen dann moderne Containertechnik, schließlich den mit Millionen Kubikmetern Sand zugeschütteten Überseehafen. Damit ist das „Es war einmal“ plötzlich in der Gegenwart angekommen, der mit Nostalgie einfach nicht beizukommen ist. hase

Georg Schmidt, Der Bremer Überseehafen. Menschen, Bilder und Geschichten, 72 Seiten, Wartberg Verlag

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