: Monsun der Gefühle
Die iranische Autorin Fattaneh Haj Seyed Javadi kämpft gegen die Liebe: „Der Morgen der Trunkenheit“
Das alte Lied der Liebe, gesungen in einer iranischen Variante. Mahbubeh, 15 Jahre alt, lehnt alle reichen Freier ab und heiratet den richtig Falschen: einen Schreinerlehrling, arm und rätselhaft kalt, verdeckt hinter einer Maske aus Aggression und unbefriedigten Eitelkeiten. Aus ihrem Elternhaus wird sie deshalb verbannt. Danach aber kommt es dick und wie der Vater vorhergesagt hat: Streit, Prügelei, Demütigung und Betrug. Zu den Eltern zurückzukehren, ist Mahbubeh zu stolz. Am Schluss, nachdem ihr Sohn im Bassin des Nachbarn ertrunken ist und sie infolge einer misslungenen Abtreibung steril wird, bleibt ihr aber keine andere Wahl.
Was folgt, ist das Ende des Leids: Die Familie empfängt sie herzlich; sie willigt in die Heirat mit ihrem Cousin ein, der schon früher um ihre Hand angehalten hatte. Als zweite Frau ihres alten Freiers lebt sie mit seinen Kindern und seiner ersten Ehefrau glücklich und zufrieden. In ihrem Debütroman „Der Morgen der Trunkenheit“ liefert die 54-jährige iranische Schriftstellerin Fattaneh Haj Seyed Javadi ein Happy End nach der Tradition, die ihrer Ansicht nach als Fundament jeder Gesellschaft gepflegt und fortgesetzt werden muss.
Muss man noch erwähnen, dass dieser Roman in der engagierten Literaturszene des Iran auf wenig Gegenliebe stößt? Wohl kaum. Aber das Buch ist seit fünf Jahren ein Bestseller, was es vor allem Mädchen und jungen Frauen verdankt. Es gibt Läden, in denen das Buch für etwa 50 Pfennig pro Nacht verliehen wird – an mittellose Mädchen, die sich einen Kauf nicht leisten können und sich dennoch von der schnörkellos beschriebenen Liebe und dem quellenden Leid Mahbubehs faszinieren lassen wollen. Eine große Lektüreauswahl haben sie darüber hinaus nicht. Denn über die irdische Liebe zu schreiben ist im heutigen Iran eigentlich nicht erlaubt. Haj Seyed Javadi geht in ihrem Roman noch einen Schritt weiter und schmückt das Tabuthema mit erotischen Schilderungen des männlichen Körpers aus.
Dafür nehmen die Leserinnen die penetrante Pädagogik des Romans in Kauf, die sogar die Erzählsituation bestimmt: Die Hauptfigur Mahbubeh berichtet ihre leidvolle Geschichte ihrer Nichte, die sich ebenfalls in einen Falschen verliebt hat und ihn heiraten will. In nüchterner Sprache erzählt sie von ihrer früheren Gefühlswelt, die ihr selbst ein Rätsel geworden ist. Nichts lässt sich in diesem Monsun von Liebe, Stolz, Hass und Neid verstehen. Sie möchte nicht, dass ihre Nichte solchen Gefühlen verfällt, so wie sie es getan hat. Die gescheiterte Liebe Mahbubehs soll als ermahnendes Bild für Mädchen fungie- ren, die es wagen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Mehrere Monate musste der iranische Verleger um eine Vertriebslizenz ringen. Schließlich konnte er die Zensurbehörde mit der moralischen Botschaft der Geschichte überzeugen: Eine misslungene Liebe zu erzählen sei das beste Mittel, gegen die Liebe zu kämpfen. In anderen Worten erklärt die Autorin die gleiche Ansicht in einem Interview: „Ich bin mit einer vernünftigen Liebe einverstanden. Eine Liebe in jungen Jahren, die im ersten Blick funkelt, nur aus einer körperlichen Anziehung besteht und nicht durchdacht ist, kann nicht zu einem guten Ende führen.“ Aber ob das das Leserinteresse der jungen Iranerinnen trifft? Immerhin: Vom Monsun der Gefühle steht einiges drin in diesen gut 400 Seiten.
FAHIMEH FARSAIE
Fattaneh Haj Seyed Javadi: „Der Morgen der Trunkenheit“. Aus dem Persischen von Susanne Baghestani. Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2000, 407 Seiten, 49,80 DM
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