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Siegen auf Teufel komm raus

Angetrieben von ihrem ehrgeizigen Vater, entwickelte sich die 19-jährige Janica Kostelic zur Seriensiegerin im alpinen Ski-Weltcup. Am Mittwoch will die Kroatin mit dem Slalomtitel bei der WM in St. Anton ihre euphorischen Landsleute beglücken

aus St. Anton MICHAEL SCHOPHAUS

Das sind so Geschichten, die man braucht. Wenn so etwas Aufregendes passiert wie mit Skiern einen Berg hinunter zu rasen. Wenn junge Damen am Steilhang mit dem freien Fall kokettieren, sich von Wellen im Berg ausspucken lassen und in artistischer Gewandtheit um Slalomstangen die Kurve kratzen. Und stürzen. Und jubeln. Und weinen. Und siegen. Mit zwei Stellen hinterm Komma. Da ist Drama drin und Herz und Schmerz. Dann kommen solche Geschichten gerade richtig.

Wie die Geschichte der Kroatin Janica Kostelic. Armes, kleines Mädchen aus Zagreb, vom ehrgeizigen Vater auf die Bretter gestellt, als sie eben erst ahnte, wie es ist, laufen zu lernen. Mit harter Hand, immer rauf und runter, auf jedem noch so winzigen Hügel, auf jedem noch so braunen Schneefleck des Balkan. Kein Wunder also, dass da Tränen flossen bei einem jungem Ding, dem man die Kindheit stahl. Doch Papa Ante trieb sie erbarmungslos an in den folgenden Jahren und wollte den Erfolg erzwingen, als er ihr großes Talent entdeckte. Schließlich wurde ihm ja auch nichts geschenkt, bis er endlich ein Handballspieler der Weltklasse wurde. Er überließ nichts dem Zufall, verplante Janicas Pubertät, verdrängte ihren Wunsch nach ganz normalen Flausen, nahm Boygroup-Poster von der Wand und griff in seiner erzieherischen Gier nach Mitteln, die ungewöhnlich waren und höchst seltsam. Geschichten, die er oft und gern verbreitet. Manchmal nächtigten sie nach dem Sommertraining auf dem Gletscher in einem kleinen Zelt, weil zwar der Wille da war, aber kein Geld, und einmal im Jahr zogen sie sich für zwei Monate auf eine einsame Insel zurück, um Ruhe und Kraft zu tanken für den Winter. Damit nicht genug: Vor ihren ersten Rennen soll sie statt vier Sterne im Hotel fürchterlich frierend echte Gestirne aus dem Liegesitz ihres klapprigen Autos Marke Ostblock gesehen haben. Zur Besinnung auf das Wesentliche. Zur Vermehrung von Ansehen und Vermögen. Zum Siegen auf Teufel komm raus!

Kennen wir das nicht? Aus Erzählungen von Turnerinnen, Eislaufprinzessinnen oder von den sagenhaften Anfängen einer Stefanie Graf? Als Vater Peter noch Gebrauchtwagen verkaufen musste und sein Töchterchen stundenlang Bälle gegen die Brühler Garagenwand hämmerte? Klar, kennen wir, bedauern wir, aber lesen es doch so gern. Vom Aschenputtel zur Königin. Mit Blut in den Schuhen und Rissen an den Händen. Oft gaben ihnen Ruhm und Reichtum Recht.

Ante Kostelic ging seinen Weg, schleppte seine Tochter durch die Alpen und achtete streng darauf, dass sie niemals aus der Spur geriet. Mit fünfzehn gewann sie von zweiundzwanzig Rennen zweiundzwanzig Rennen, ein Jahr später hetzte sie durch das komplette Programm im Skiweltcup. Gestern Aspen, heute Maribor, morgen Sestriere. Und immer Papa Ante portas. Da warst du zu langsam, Janica, und dort bist du auf einer falschen Linie gefahren, Janica, und wie du den Zielhang genommen hast, Janica, das war gar nichts. Als Handballspieler kennt man sich aus, und alle Warnungen von Experten und solchen, die sich dafür hielten, er würde seiner Tochter zu viel zumuten, schlug er in den Wind. Redet mal, sagte er, ihr werdet schon sehen.

Und wie sie es sahen. Janica Kostelic erreichte Plazierungen unter den ersten drei im Slalom, war im Riesenslalom mehrfach vorn und holte Weltcuppunkte in Super-G und Abfahrt. Plötzlich wussten es alle ja schon ganz, ganz lange, wurden die Kopfschüttler zu Schulterklopfern, und Janica Kostelic zu einem der größten Talente des Skisports ausgerufen. Wenn sie fährt, schwärmte die wissende Zunft der Pudelmützen, wirke es so, als spiele sie mit dem Schnee, als kralle sie nicht ihre scharfen Kanten in gefrorenes Wasser, sondern als glitte sie über einen Teppich weicher, weißer Wolken. So und ähnlich lauteten die Bilder, die schiefer waren als das Gefälle der Strecken, und nachdem sie in diesem Winter vor den Weltmeisterschaften auf dem Treppchen einen Stammplatz hatte, war kein Halten mehr mit Kitsch, Kommerz und Euphorie.

Eine schöne, nette Geschichte eben, die mittlerweile einen wichtigen Darsteller verloren hat. Papa Ante merkte, dass er mit seinen Kenntnissen vom Sprungwurf nicht mehr sehr weit kam, wenn es um die richtige Außenskitechnik ging, und übergab stolzen kroatischen Herzens seine geliebte Tochter und wohlfeile Einnahmequelle in die Obhut eines Landsmannes, an Vedran Pavlek, einen ehemaligen Skirennläufer. Der Vater zog sich zurück, aber geblieben sind die Ansprüche. Und die Frage, ob man eine Kindheit opfern darf für den Triumph zwischen den Stangen. Für Preisgelder von mittlerweile 400.000 Mark.

In ihrem Heimatland Kroatien stellt sich die Frage nicht. Dort steht eine ganze Nation Kopf, wenn Janica von Sieg zu Sieg eilt, denn schließlich hatte man dort seit Platz drei bei der letzten Weltmeisterschaft im Fußball schon länger nichts mehr zu feiern im Sport und schon gar nicht in der frühen Vergangenheit des Landes. Schlimme Kriege lassen sich eben besser vergessen durch Überlegenheiten im Wettkampf, und Erinnerungen an Blut und Verbrechen werden vor allem in Ländern gern verdrängt, in denen es noch etwas heißt, die kochende Volkseele selbst unterm dicken Anorak zu spüren. Janica ist Volksheldin in Kroatien, Papa ist stolz und gibt sich Recht in seiner unerbitterlichen Härte, und die Titelseiten der Zeitungen überbieten sich in der Schriftgröße bei der Ehrerbietung an ihren Sportstar. Wenn ihre Janica am Mittwochabend im Slalom antritt, wird eine Invasion ihrer Landsleute erwartet. In Sonderzügen werden sie zu tausenden nach Sankt Anton gekarrt und nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft vermutlich den Schnee heilig sprechen, auf dem Janica Kostelic hoffentlich zum Siege schwingt.

Jetzt erst recht, nachdem sie beim Lauf in der Kombination patzte und eine Serie von neun ersten Plätzen zu Ende ging. Einige wollen sogar, so ließen sie in vorfreudigem Überschwang nicht sehr ernst gemeint verlauten, ein bisschen was von der weißen Pracht in Kühltaschen nach Zagreb tragen und dort ehrerbietig auf die Straßen streuen.

„Kroatien ist das beste Land der Welt“, sagt Janica. Sie gibt sich mit ihren 19 Jahren unbekümmert, freundlich, hart und entschlossen, eine Reihe von Wesenszügen, die einige als Arroganz auslegen. Zu ihren Gegnerinnen bleibt sie gern und sehr entschieden auf Distanz, und wenn sich manche mal wegen schlechten Wetters auf einen guten Jägertee zum Tratschen in eine Skihütte verziehen, hat sie dafür nur kalte Verachtung über, bei so viel vorsätzlicher Verschwendung von Zeit. Da ist sie wieder ganz Papas Kind und übt bei jedem Schneesturm, Regenschauer oder Nebel. „ Wenn trainiert wird, wird trainiert“, sagt sie, „und sonst nichts!“

Ohne diesen brutalen Eifer hätte sie im letzten Winter sicher nicht den Anschluss an die Weltelite geschafft, nachdem sie sich im Dezember 1999 bei einem fürchterlichen Sturz so ziemlich alles gerissen hatte, was es zu reißen gibt in der Anatomie eines gemeinen Kniegelenks. Sie wurde über fünf Stunden lang wieder zusammengeflickt, und die Ärzte sahen das Ende ihrer frühen Karriere. Doch Janica blieb stur, glaubte an sich, ihren starken Körper und ihr unerschütterliches Selbstbewusstsein und stemmte, immer wenn kein nörgelnder Mediziner zu sehen war, unter Schmerzen leichte Gewichte mit ihrem verletzten Bein. „Das Bein tut seit einem Jahr weh, aber man darf einfach nicht daran denken. Ich habe nie daran geglaubt, dass Schluss sein könnte“, sagt sie. „Wenn du nicht gesund bist, stirbst du.“

Elf Monate später gewann sie ihr viertes Weltcuprennen. Und Papa Ante hat zum ersten Mal geweint.

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